Amy Winehouse auf der Bühne: Expressives Augenrollen
Rock 'n' Roll-Gesamtkunstwerk Amy Winehouse spielte in Berlin: Motown-Souliges im Bordell-Ambiente. Perfekt toupiert und inszeniert. Und viel zu kurz.
Ein Boulevardblatt hatte sie am Abend zuvor in der örtlichen Filiale eines weltbekannten Burger-Imbisses gesichtet: Amy in town! Das war beruhigend, denn man hatte sich ja schon gefragt, ob sie überhaupt anreisen würde. Schließlich hatte sie ihre Europatournee schon auf den Oktober verschoben und war im Sommer wegen angeblicher Drogen- und Alkoholexzesse ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Als Amy Winehouse am Montag auf die Bühne des Berliner Tempodroms trat, nahm sie erst einmal einen kräftigen Schluck von einem Getränk, das aus der Entfernung nach Whisky-Cola aussah. Altmodische Stehlampen tauchten die Bühne in ein schummriges Licht, auf der sich ihre neunköpfige Begleitband postierte. Diese Puffbeleuchtung und ein schwerer weinroter Samtvorhang beschworen das Ambiente eines Fünfzigerjahre-Bordells, was gut ins Gesamtkunstwerk Amy Winehouse passte, deren Arme ja mit Pin-up-Girl-Tattoos übersät sind.
Schon immer wirkte sie damit wie eine suizidgefährdete Figur aus einem David-Lynch-Film wie "Wild at Heart". Dieser Rolle scheint sie auch im richtigen Leben gerecht werden zu wollen, denn niemand verkörpert das sex&drugs&rocknroll-Klischee derzeit so glaubwürdig wie Amy Winehouse. Im Gegensatz zu ähnlich exzessiven Kollegen wie Robin Williams, Pete Doherty oder Britney Spears steht sie derzeit allerdings auch noch auf ihrem künstlerischen Höhepunkt.
Ihr Album "Back to Black" dürfte schon jetzt so etwas wie die Konsensplatte des Jahres sein. Wer in diesem Jahr eine CD verschenken wollte, konnte getrost dazu greifen, so geschmackssicher war diese Produktion mit ihren Anklängen an den Motown-Sound und die frühen Girlgroups des Soul geraten. Diese Genre-Vorbilder paart Amy Winehouse mit unverblümten Texten voll britischem Straßenslang, in ihrer Dramatik erinnert sie stark an Shirley Bassey - kein Wunder, dass sie für den Titelsong des nächsten James-Bond-Films im Gespräch war.
Für ihren Auftritt in Berlin hatte sie sich als Verstärkung nun zwei ausdrucksstarke Background-Sänger und -tänzer zur Seite gestellt, die in ihren gut sitzenden Anzügen für Bühnenbewegung sorgten. Amy Winehouse selbst beschränkte sich auf kurze Ansagen, Augenrollen und eine leicht derangierte Gestik. Eher routiniert trug sie ihr Repertoire vor, das sie um Songs wie "That thing" von Lauryn Hill oder den Ska-Hit "Youre wondering now" von den Specials ergänzte. Dann, nach kaum einer Stunde, war plötzlich Schluss. So ähnelte ihr Auftritt eher einem showcase, wie man solche Kurzauftritte auf Festivals und Musikmessen gemeinhin nennt. Auch war nur ein einziger Fotograf zugelassen, der sich den strengen Auflagen ihres Managements fügen musste. Über die Hintergründe darf man nun weiter spekulieren: Ists der angegriffene Gesundheitszustand? Strategische Verknappung? Oder sind es nur Star-Allüren?
Mag sein, dass der 24-Jährigen die Dinge ein wenig über den Kopf gewachsen sind. Aber es ist ja auch eine Menge passiert in diesem Jahr. Neben den abgesagten oder missratenen Auftritten, den Abstürzen und Schlägereien, mit denen sie fast täglich die Klatschspalten der britischen Presse füllte - zuletzt war von Magersucht die Rede -, heiratete sie im Mai ihren Freund und heimste ansonsten einen britischen Musikpreis nach dem anderen ein. Ihre Eskapaden verleihen ihrer Musik eine lebensnahe, geradezu existenzielle Note. Bei diesen Geschichten verhält es sich allerdings wie mit ihrer hochtoupierten Turmfrisur, die teilweise aus Kunsthaar besteht: Reales Drama und Inszenierung sind unentwirrbar verknäult.
Nun muss sie halt ihre Kurztour durch Deutschland herunterreißen, bevor sie wieder ins Studio geht, um ein neues Album aufzunehmen.
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