Amos-Oz-Übersetzerin Ruth Achlama: „Seine Bücher leben“
Ruth Achlama hat 13 Bücher des israelischen Schriftstellers Amos Oz übersetzt. Zu dessen Todestag spricht sie über die Arbeit an seinen Werken.
taz: Frau Achlama, Sie sind 1945 geboren und in Mannheim aufgewachsen. Jetzt leben Sie seit 45 Jahren in Israel und sind eine der wichtigsten Übersetzerinnen vom Hebräischen ins Deutsche. Wie ist es dazu gekommen?
Ruth Achlama: Ich hatte in der Schule keine eindeutige Begabung. Nur Nuancen in der Sprache entdecken, das konnte ich schon früh. Als ich als Kind „Onkel Toms Hütte“ gelesen habe, dachte ich: „Was für eine schreckliche Übersetzung!“. Vielleicht liegt es daran, dass ich als Kind viel mit Erwachsenen zusammen war und dadurch einen großen Wortschatz hatte.
Wie kamen Sie zum Hebräischen?
Israel hat mich schon in meiner Schulzeit begeistert. Das Pionierwesen, die jungen Menschen, die ein neues Land aufbauen, das hat mich fasziniert. Bei meinem Jurastudium in Heidelberg habe ich dann „meine ersten Juden“ kennengelernt. Während des Sechstagekrieges 1967 hat ein junger Heidelberger mit seinem VW-Bus Geld für Israel gesammelt, und ich habe geholfen. So bin ich in den jüdischen Studentenverband hineingewachsen, ein lustiges, liberales Grüppchen. Dort kam noch der israelische Mann dazu, mit dem ich nach Israel auswanderte. Und dann gab es in Deutschland in den siebziger Jahren plötzlich eine große Nachfrage nach Literatur aus Israel – aber kaum Übersetzer. Es gab die Jekkes, also die deutschen Juden, die aus Nazideutschland geflohen waren. Ihr Deutsch war schön, aber etwas veraltet, Vorkriegsdeutsch. In diese Lücke bin ich gestoßen.
Sie sind zu Suhrkamps Hausübersetzerin für Amos Oz geworden. Gibt es ein Buch, das Sie am liebsten übersetzt haben?
Schwer zu sagen. Jedes Buch hat seine Geschichte. Das erste ist das erste – und allein schon deshalb bedeutsam („Der perfekte Frieden“, 1987, Anm. d. Red.). Das zweite war der Briefroman „Black Box“, der gut zu mir gepasst hat, weil es darin diesen interessanten Juristen gibt und ich aus meinem Jura-Referendariat die Juristensprache kannte. Außerdem hatte ich mich zu einer Meisterin des Briefeschreibens entwickelt, weil die Begin-Regierung Ende der Siebziger solchen Schnickschnack wie ein Telefon nur für die Siedlungen in den besetzten Gebieten für nötig hielt. Über das dritte Buch stand ein Lob für die Übersetzung in der FAZ. Für das vierte – „Der dritte Zustand“ – hat Oz den Friedenspreis bekommen. Den Roman mag ich übrigens auch deswegen gerne, weil sich mit diesem Buch die Frauenfiguren ändern. Er fing da wohl an, über seine Mutter hinwegzukommen …
Ruth Achlama, geboren als Renate Böteführ in Quedlinburg, ist Übersetzerin vom Hebräischen ins Deutsche für Schriftsteller wie Amos Oz, Yoram Kaniuk, Meir Shalev. Sie konvertierte 1972 zum Judentum und wanderte 1974 mit ihrem Mann Abraham Achlama nach Israel aus. 1995 erhielt sie den Paul-Celan-Preis. 2019 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen.
… die Suizid begangen hat, als Oz knapp dreizehn war. Wie hängt das mit seinen Frauenfiguren zusammen?
Die Frauen in seinen ersten Romanen, etwa Hannah in „Mein Michael“, kommen schlecht mit ihrem Leben zurecht. Sie sind rätselhaft, unstet, packen nicht an. Das ändert sich mit „Der dritte Zustand“.
Oz ist bereits mit fünfzehn Jahren von zu Hause weggegangen.
Ja. Sein Vater hat sich recht schnell getröstet, aus der neuen Beziehung hat Oz zwei Halbgeschwister. Er ist aus all dem ausgebrochen, ist in den Kibbuz gegangen und hat seinen Namen gewechselt. Aus Amos Klausner wurde Amos Oz, was übersetzt Kraft, Stärke heißt. Im Kibbuz war er ein „jeled chuz“, das ist eigentlich unübersetzbar, „ein Kind von außen“, und dann war er auch noch aus Jerusalem, seine Eltern waren Revisionisten. Außerdem war Amos nicht groß und stark, wie es das Kibbuz-Ideal wollte, sondern einer, der gerne schreibt und liest.
1939–2018, Geburtsname Amos Klausner, war ein israelischer Schriftsteller und Essayist. Er hat die Friedensbewegung Peace Now mitbegründet. Oz erhielt zahlreiche Preise, unter anderem den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992 und den Heinrich-Heine-Preis 2008. Am 28. 12. 2018 ist er an einem Krebsleiden in Petach Tikwa gestorben.
Wie gut kennt man einen, dessen Literatur man fast zwei Jahrzehnte lang übersetzt hat?
Wenn man übersetzt, geht man ja ganz tief in den Text hinein, muss bei jedem Satz sehen, wie man ihn gleichwertig ins Deutsche rüberbringt. Da lernt man jemanden kennen. Ansonsten habe ich immer gesagt, dass es Amos’ Aufgabe ist, Bücher zu schreiben und für den Frieden zu kämpfen und meine, seine Bücher zu übersetzen und nicht, mich aufzudrängen. Unser Verhältnis war sehr nett, aber beruflich. Allerdings konnte ich ihn jederzeit anrufen und fragen.
Das war nicht selbstverständlich?
Nein, seine Telefonnummer war geheim. Er hätte sich sonst wohl nicht vor Anrufen retten können. Romantisch vor Frauen. Politisch vor Männern.
Inwiefern?
Er war ja politisch aktiv, hat Ende der 1970er Jahre Schalom Achschaw – Peace Now – mitgegründet. Die Leute kriegten Drohanrufe. Samech Yishar, der Verfasser von „Ein arabisches Dorf“, berichtete, dass er immer wusste, wann die Erzählung, die von der Vertreibung der Araber aus einem Dorf 1948 handelte, in der Schule wieder durchgenommen würde. Denn dann bekäme er Drohanrufe. Die Erzählung stand natürlich nur zu Zeiten von linken Regierungen auf dem Lehrplan und dürfte mittlerweile daraus verschwunden sein.
Wie viel bei einer Übersetzung sind Sie, wie viel ist Amos Oz?
Ich versuche, den Stil aufzugreifen. Wenn einer lange Sätze macht, kann man das nicht in Stakkato verwandeln. Wenn jemand in Umgangssprache schreibt, kann ich nicht Hochsprache benutzen. Das Buch muss so wirken wie im Original. Wenn die Leute im Hebräischen lachen, sollten sie es auch im Deutschen tun.
Das Neuhebräische ist ja noch eine sehr junge Sprache. Konnten Sie die Veränderung der Sprache in Oz’ Büchern sehen?
Jede lebendige Sprache ändert sich, das Hebräische ändert sich rasanter. In Oz’ ganz frühen Werken, die jetzt erst auf Deutsch erschienen sind, hatte er noch in einem recht hochgestochenen Hebräisch geschrieben. Das war aber schon bei seinem Roman „Mein Michael“ weg. Erst nach und nach wurde überhaupt Umgangssprache benutzt, er hat das früh in seine Sprache aufgenommen.
Oz hatte sich eigentlich als Kind geschworen, niemals nach Deutschland zu kommen.
Ja, er und seine Eltern boykottierten deutsche Produkte. Das galt allerdings nicht für Bücher. Und dann wurden in den siebziger Jahren Siegfried Lenz, Heinrich Böll und Günter Grass ins Hebräische übersetzt, und damit sah Amos, dass es eine neue Kultur in Deutschland gab, eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Mit Lenz war er schließlich bis zu dessen Tod eng befreundet. Oz hat sich immer wieder mit dem speziellen Verhältnis zwischen Deutschland und Israel beschäftigt. Er hat mehrfach gesagt, dass er tagsüber Deutschland genießen kann – die Freunde, das Essen, die Landschaft –, aber nachts keinen Schlaf findet. Insofern passte Oz für Deutschland, und Deutschland passte für ihn.
Er ist Deutschlands wohl beliebtester israelische Autor geworden.
Es gibt kaum einen Literaturpreis in Deutschland, den er nicht bekommen hätte. Von dem großartigen autobiografischen Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ kriege ich bis heute Tantiemen. Das Buch verkauft sich weiterhin. Oz wurde oft als das Gewissen Israels bezeichnet. Führende israelische Politiker der Arbeitspartei, wie zum Beispiel Schimon Peres, waren mit ihm befreundet und berieten sich gern mit ihm. Der Friedenspreis, den Oz 1992 bekommen hat, ist natürlich wie geschaffen für ihn. Auch in Deutschland gab es ja Schriftsteller, die nebenher politische Ratgeber waren. Diese Kombination, der Literat als politisches Gewissen des Landes, das hatten Israel und Deutschland gemeinsam.
Oz sagte immer wieder, er wollte als Kind ein Buch werden, weil es ihn unsterblich machen würde.
Das ist ihm gelungen. Seine Bücher leben. Vor allem seine „Geschichte von Liebe und Finsternis“. Die Kombination einer Autobiografie mit der Geschichte des Landes, das gelingt selten auf diesem Niveau. Er hat kurz vor seinem Tod noch ein wunderbares letztes Büchlein geschrieben, ein Vermächtnis für seine Kinder und Enkel: „Der letzte Vortrag“, das im kommenden Jahr in Deutschland erscheinen wird. Darin fasst er grandios sein politisches Erbe zusammen. Diesen schmalen Band sollte man an alle Haushalte verteilen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs