Amnesty International über Tigray: Wo Vergewaltigung Kriegswaffe ist
Äthiopische und eritreische Kämpfer sollen Hunderte Frauen und Mädchen „entmenschlicht“ haben, heißt es in einem Bericht. Das Ausmaß sei schockierend.
„Es ist klar, dass Vergewaltigung und sexuelle Gewalt als Kriegswaffe eingesetzt wurden, um Frauen und Mädchen in Tigray dauerhaften physischen und psychischen Schaden zuzufügen“, sagte Callamard weiter. Die Opfer seien „erniedrigt“ und „entmenschlicht“ worden.
Der Bericht stützt sich auf Interviews mit 63 Überlebenden. Einige berichteten davon, wie sie wochenlang gefangen gehalten und von mehreren Männern gleichzeitig vergewaltigt wurden. Andere erzählten, dass sie vor den Augen von Familienangehörigen vergewaltigt wurden. Manche berichteten, dass ihnen Gegenstände wie Nägel und Kies in die Vagina eingeführt wurden, was laut Amnesty „dauerhafte und möglicherweise irreparable Schäden verursachte“.
„Sie vergewaltigten uns und ließen uns hungern“, berichtete eine 21-jährige Überlebende, die laut eigenen Angaben 40 Tage lang festgehalten wurde. Es seien viele Männer gewesen, die sich bei den Vergewaltigungen gegenseitig abgewechselt hätten. Insgesamt seien mit ihr etwa 30 Frauen entführt worden, die alle vergewaltigt wurden.
Hohe Dunkelziffer
Zu den mutmaßlichen Vergewaltigern gehören laut Amnesty äthiopische Regierungssoldaten, Truppen aus dem benachbarten Eritrea sowie Sicherheitskräfte und Milizionäre aus der äthiopischen Region Amhara. Mehr als zwei Dutzend Überlebende berichteten Amnesty, sie seien nur von Eritreern vergewaltigt worden, während andere sagten, Eritreer und Äthiopier hätten zusammengearbeitet.
Amnesty erklärte, dass medizinische Einrichtungen in Tigray von Februar bis April 1.288 Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt registriert hätten. Ärzte nehmen allerdings an, dass viele Überlebende sich nicht melden.
Im Norden Äthiopiens tobt seit November ein Konflikt zwischen Regierungstruppen und der in Tigray regierenden Gruppe TPLF. Nachdem die Regierung die Region mit Unterstützung aus dem ehemals verfeindeten Nachbarland Eritrea zunächst einnehmen konnte, eroberten mit der TPLF verbündete Kämpfer die Regionalhauptstadt Mekele im Juni zurück. Ministerpräsident Abiy Ahmed rief daraufhin einen einseitigen Waffenstillstand aus.
Am Dienstag rief er die Bevölkerung jedoch zur Generalmobilmachung auf. Alle „fähigen und erwachsenen Äthiopier“ sollten sich den „Streitkräften, Spezialeinheiten und Milizen anzuschließen und ihren Patriotismus“ zeigen, sagte der Friedensnobelpreisträger von 2019.
Die Vereinten Nationen stufen die Lage der Zivilisten in Tigray und den angrenzenden Regionen als verheerend ein. 400.000 Menschen droht demnach Hunger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind