Am Schauplatz des G-7-Gipfels: Elmau in Elmau zu Elmau
Auf Schloss Elmau soll im Sommer die Weltpolitik auf deutsche Hochkultur treffen. Hotelier Mueller-Elmau präsentiert zuvor eine Selbstbetrachtung.
ELMAU taz | Es ist ein stolzer Hang hier oben. Und wenn nicht alles täuscht, ist es sogar der stolzeste des ganzen Landes. Wobei: Hang lässt sich vielleicht nicht sagen. Es ist natürlich eine Aue, eine Elmaue, auf der, zwischen den Alpspitzen, der schmelzende Schnee bei Stille knackt als Zeichen natürlicher Vergänglichkeit. Auf dieser Aue wird bald der Enzian blühen. In Elmau in Bayern.
Die langen Flure in dem einhundert Jahre alten Schlosshotel sind mit schweren roten Läufern ausgelegt. Es riecht nach brennendem Kaminholz. In der Teestube mit Blick auf den Wettersteinkamm läuft leise Jazzmusik. Einst war dieses Schloss Ziel entrückter Naturromantiker, die bei Tanzabenden der Zivilisation entfliehen und ihrer wahreren Bestimmung nahekommen wollten. Heute ist es ein Ort, an dem in abendlichen Lesungen über Heidegger räsoniert wird, über Napoleon oder über „die Wurzeln des Streits zwischen Juden und Arabern“.
Dazwischen im Angebot: Jivamukti-Yoga, Frühstücksetageren, Körperanwendungen, Fünf Sterne Superior. An diesem Tag sind Journalisten eingeladen, diesen Gastort sogenannter deutscher Hochkultur kennenzulernen, einen Ort der transatlantischen Verheißung.
Denn spätestens wenn hier Anfang Juni für kurze Zeit die Staats- und Regierungschefs der G-7-Staaten die kultivierte Versunkenheit übergroßer Ohrensessel genießen sollen, wird auch Elmau zu einem Weltsymbol werden. „Welches Stück Deutschland wollen wir der Welt zeigen?“, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert im Januar bei einem Besuch in der Region gefragt. „Dies hier ist das Beste, was man überhaupt anbieten kann.“
So sinnlich wie ein Wikipedia-Eintrag
Nun, Mitte März, hat Schlossherr Dietmar Mueller-Elmau geladen. Er ist ein großer Mann mit glatt fallenden kinnlangen Haaren, einem bübischen Lachen und beachtlicher Selbstgewissheit. Er hat ein Buch geschrieben über Elmau. Und so redet nun also der Elmau in Elmau zu Elmau. Mueller-Elmau zeigt seinen Blick auf diesen Ort, der auch ein bürgerlicher Blick auf Deutschland und die Welt ist. Und es ist ratsam, der Geschichtsstunde zu folgen, die er anzubieten hat. Denn wofür steht eigentlich dieser Ort?
Eine literarische Pflichtlektüre hat Mueller-Elmau nicht vorgelegt. Schon die ersten Seiten bieten eine im Stakkato gehaltene Aufzählung von Jahreszahlen und Ereignissen, so sinnlich wie ein Wikipedia-Eintrag. Auch liest sich seine Selbstbetrachtung bisweilen wie ein anhaltendes Vorwort: mit Würdigungen aller möglichen Personen, die ihm bei diesem und jenem geholfen haben – bis hin zur Kreditfinanzierung durch die Kreissparkasse Garmisch-Partenkirchen.
Doch nehmen wir die Selbstbetrachtung ernst: Man erkennt in ihr einen streitfreudigen Mann an einem Ort, der sich sehr fokussiert auf das eigene Treiben in den eigenen vier Wänden, in denen die Welt zu Gast ist. Es ist, geistesgeschichtlich gesehen, vor allem eine transatlantische Welt, es sind deren Protagonisten.
Hier, wo es zum Brauch gehört, den klassischen Konzertgenuss und den intellektuellen Disput zu pflegen, und wo die feineren Herrschaften zu später Stunde unter großem Gelächter die Mundzüge von Jürgen Habermas imitieren, hatte Mueller-Elmau einst als radikaler Erneuerer und Individualist die geerbten Hoteltische in der Mitte durchsägen lassen. Sein Signal an die Welt: „Ein Signal für das Ich“. Dieses Hotel soll eine Oase sein für die bedingungslose individuelle Freiheit, den amerikanischen Traum.
Es gibt dafür auf der Elmauer Alm eine politische Entsprechung: eine Rückbesinnung auf die Westbindung. „Nie“, sagt Mueller-Elmau bei der Buchvorstellung, „ging es Deutschland so gut wie unter amerikanischer Herrschaft.“ Wie hätte also an diesem Ort ein Land wie Russland an einem G-8-Gipfel teilnehmen sollen? Es passt ganz gut, dass hier nicht die G-20-Staaten residieren sollen, sondern die G 7. Und so ist dieser Ort des Aufbruchs letztlich wieder ein Ort deutscher Hochkultur, wie wir sie kennen: nach vorn zurück durch die Vergangenheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“