Ein Mensch und einige Rinder in einer steppigen Landschaft

Abdirashid Yasin hat keine Kamele. Von einer großen Herde sind sind nur noch wenige Rinder am Leben Foto: Katrin Gänsler

Am Horn von Afrika:Jahre der Dürre

Der Regen bleibt aus, Vegetation und Tiere sterben. Viele Familien in Somaliland betreiben Viehweidewirtschaft. Sie hungern oder geben auf.

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21.12.2022, 11:59  Uhr

Cambuul Osman ist ein hagerer, hochgewachsener Mann. Er trägt ein beige gemustertes Hemd, um die Beine hat er ein Tuch geschlungen. Er steht vor ihm einem aufgeschütteten Damm, der zu dem Ort Balisheikh gehört, knapp zwei Autostunden von der Stadt Burao in Somaliland am Horn von Afrika entfernt. Nur eine holperige Sandpiste, für die man einen Geländewagen oder ein Kamel braucht, führt dorthin. Strom gibt es nicht. Hier draußen weht der Wind.

Der 38-Jährige kennt die Gegend rund um den Damm gut, welche Bäume, welche Sträucher hier wachsen. Er hat seine Kindheit im Dorf verbracht und noch heute die Warnung seiner Eltern im Ohr: „Geh bloß nicht in die Nähe des Wassers!“ Damals sei der Teich tief gewesen, die Kinder hätten ertrinken können. Trotzdem lockte das Wasser die Kinder immer wieder an, auch Osman kam heimlich hierher.

Heute erinnert nur noch halb feuchte Erde daran, wie es früher hier aussah. Große Furchen durchziehen den Boden. Osman nimmt einen bräunlich-roten Erdklumpen in die Hand, bricht kleine Stücke ab und zerbröselt sie mit der Hand. „Der letzte Rest Wasser ist vergangene Woche versickert“, sagt er. „Das macht mich traurig und ärgerlich.“ Das ganze Dorf ist von dieser einen Wasserstelle abhängig.

Ein Mensch hält vertrocknete Erde in seinen Händen

Früher war das Wasser hier so tief, dass Cambuul Osman nicht in seine Nähe durfte Foto: Katrin Gänsler

Es ist nicht so, dass es am Horn von Afrika gar nicht mehr regnet. Hier in Balisheikh hat es erst vor kurzer Zeit einen Schauer gegeben, woran einige feuchte Stellen erinnern. Das reicht aber nicht aus. Stattdessen wäre ein voller Regenmonat notwendig. Der Regen aber wird immer unzuverlässiger, was Menge, Ort und Zeit betrifft. „Wenn er zu stark ist, fließt fast alles ab. Wenn er zu schwach ist, dringt fast nichts in den Boden ein“, sagt Thomas Hörz, der für die Welthungerhilfe in Somaliland arbeitet.

Vorsichtige Entwarnung

In diesem Jahr ist das Gleichgewicht in besonderem Maße gestört. Schon seit Monaten betonen Hilfsorganisationen wie auch die Vereinten Nationen, dass das Horn von Afrika ein „klimatisches Ereignis erlebt, das seit mindestens 40 Jahren nicht mehr aufgetreten ist“. In Teilen von Äthiopien, Kenia und Somalia sind vier aufeinander folgende Regenzeiten ausgeblieben, rund 36 Millionen Menschen seien wegen der Dürre auf humanitäre Hilfe angewiesen. Vergangene Woche kam vonseiten des Welternährungsprogramms (WFP) eine vorsichtige Entwarnung. Zu Somalia twitterte Direktor David Beasley: „Neue Einschätzungen deuten darauf hin, dass die Hungersnot in Schach gehalten wurde – vorerst.“ Eine völlige Entwarnung sei dies aber nicht, es habe bereits Tote infolge der Dürre gegeben.

Somaliland hat sich 1991 nach einem Bürgerkrieg von Somalia getrennt und ist bis heute international nicht anerkannt

Und wer lebt, verliert zunehmend die Perspektive. Somaliland hat sich 1991 nach einem Bürgerkrieg von Somalia getrennt und ist bis heute, zahlreichen Bemühungen zum Trotz, inter­national nicht anerkannt. Hilfsorganisationen haben Büros in der Hauptstadt Hargeisa, leisten humanitäre Hilfe, arbeiten mit lokalen Partnern zu­sammen und versorgen seit Jahren Opfer von Dürre mit dem Nötigsten. Geht es um Investi­tionen, dann ist das Land vor allem abhängig vom Geld der in der Diaspora lebenden So­ma­li­lände­r.in­nen.

Für die Stromversorgung in Städten rattern Generatoren, die mit importiertem Diesel betrieben werden, während die Dörfer im Dunkeln bleiben. Eine Industrie, die Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl schaffen könnte, gibt es nicht, dafür Millionen von Kamelen, Rindern, Schafen und Ziegen. Die Viehwirtschaft macht etwa 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, während in der Landwirtschaft nur zwischen 8 und 15 Prozent erwirtschaftet werden. Das macht das Land besonders anfällig für den Mangel in der Agrarproduktion, wenn der Regen ausbleibt.

Schätzungsweise betreiben bis heute 55 Prozent der rund 3,5 Millionen Ein­woh­ne­r.in­nen Pas­to­ra­lismus, das heißt Viehweidewirtschaft, sie ziehen mit ihren Tieren umher. Allerdings schlagen längst nicht mehr alle jeden Abend an einem neuen Ort ihr Zelt auf. Viele haben Häuser, zu denen sie abends zurückkehren, oder beauftragen ein Familienmitglied, längere Strecken mit den Tieren zurückzulegen. Es gibt Schätzungen, dass zudem etwa 25 Prozent der Bevölkerung indirekt von der Viehwirtschaft abhängig sind, weil sie beispielsweise die Vierbeiner transportieren oder als Metz­ge­r.innen arbeiten.

Typisch für Somaliland sind die großen Kamelherden. Überall tauchen unvermittelt die beigefarbenen Tiere mit den dunklen Augen auf, bleiben an Sträuchern und kleinen Bäumen stehen und knabbern an grünen Blättern. Ihre Milch war einst Tauschgut unter Familien und gilt bis heute als wichtige Protein- und Vitaminquelle der nomadischen Bevölkerung. Kamelmilch und Zucker ergeben als Tee eine Mahlzeit.

Wertvolle Kamele

Verkauft werden die Tiere, die je nach Größe und Zustand rund tausend US-Dollar kosten, vor allem nach Saudi-Arabien, bevor muslimische ­Pil­ge­r.in­nen zur Hadsch nach Mekka kommen und Kamelfleisch konsumieren. Den Absatz gestoppt hat in den vergangenen Jahren auch die Coronapandemie. Kamen 2019 noch knapp 2,5 Millionen Menschen in die heilige Stadt der Muslime, wurde die Zahl im Jahr darauf auf 10.000 begrenzt.

Abdirashid Yasin hat keine Kamele. Der 25-Jährige ist zwischen Balisheikh und Burao unterwegs und treibt die kleine Rinderherde auf der Suche nach Futter voran. Das haben schon sein Vater und seine Großväter getan. Yasins hellgraue Tiere sind mager und manche so dünn, dass jede Rippe hervorsticht. Es ist Nachmittag, die Sonne steht tief. Doch die Euter der Kühe sind nicht prall gefüllt. Zehn Tiere besitzt Yasin gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder. Gerade habe es etwas geregnet, erzählt er erleichtert und blinzelt gegen die Sonne. „Doch davor herrschte Dürre.“

Auch wenn in den vergangenen Wochen und Monaten von der schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten die Rede war, hat die Notlage für Yasin und seine Familie bereits vor sechs Jahren schon begonnen. Damals blieb der Regen aus, das Vieh fand nicht mehr ausreichend Wasser und Gras. Besonders dramatisch war es im Frühjahr 2017, als im Land mindestens jede zweite Ziege, jedes zweite Kamel, Schaf und Rind starben. Im Jahr darauf nahm der Niederschlag zwar zu, um dann ab 2019 immer weniger zu werden. Je länger die Dürre anhält, desto mehr Pflanzen gehen ein und desto weniger Nahrung steht den Tieren zur Verfügung.

Seit 2017 hat Yasins Familie 500 Tiere verloren. Davon haben sie sich nicht erholt. Die humanitäre Hilfe reicht kaum für den Kauf von Nahrungsmitteln, geschweige denn für den Aufbau einer neuer Lebensgrundlage. Jene Tiere, die überleben, sind zu mager, um beim Verkauf einen akzeptablen Preis zu erzielen. Yasin schaut die wenigen Rinder an, die ihm geblieben sind. Mit jedem Tier, das stirbt, wird die Familie ärmer. „Von dieser Herde können wir nicht leben“, sagt er. Staatliche Hilfen erhält Yasin keine. Er ist auf sich alleine gestellt und muss zusehen, wie er seine drei Kinder versorgt. „Ich hoffe, dass Allah das tut. Daran glaube ich“, sagt er knapp.

Arbeitssuche in den Städten

Junge Männer zieht es deshalb zunehmend in die Städte Hargeisa, Burao oder Berbera. Vor allem in Berbera hoffen sie, rund um den Hafen Arbeit zu finden. Mit seinem Ausbau soll er zum neuen Drehkreuz am Horn von Afrika werden. Häufig kommen die Ar­beitsmigrant.innen bei Angehörigen unter. Familien und Clans – in Somaliland gehören etwa 80 Prozent dem Issaq-Clan an, der sich wiederum in Untergruppen verzweigt – helfen einander. Klar ist: Sie müssen ihr altes Leben und vor allem die Tiere zurücklassen.

Seit 2017 hat Yasins Familie 500 Rinder verloren. „Ich bleibe“, sagt er. „Wenn es sein muss, sterbe ich mit meinen Tieren“

Egal, wie viele Dürren und wie wenig Regen die Zukunft bringen wird, Abdirashid Yasin will seine Rinder nicht alleine lassen, obwohl schon einige Verwandte in die Stadt gezogen sind. „Ich bleibe bei meinen Tieren“, sagt er. Wenn es sein muss, bleibt er bis zur letzten Minute. „Wenn sich nichts ändert, dann sterbe ich hier mit ihnen.“ Er zeichnet ein düsteres Szenario für die Zukunft. Fällt kein Regen mehr und die Dürre hält an, dann wird es zwischen Balisheikh und Burao weder Menschen noch Tiere mehr geben.

Der Klimawandel wirkt sich am Horn von Afrika besonders stark aus. For­sche­r.in­nen der Universität Arizona in Texas veröffentlichten 2015 eine Studie, in der es heißt: „Das Horn von Afrika ist durch globale und regionale Erwärmung des vergangenen Jahrhunderts und mit einer in den vergangenen 2.000 Jahren beispiellosen Geschwindigkeit zunehmend trockener geworden.“ Die sonst „lange Regenzeit im März, April und Mai“ hätte zunehmend geringere Niederschlagsmengen.

Dagegen brachte der Tropensturm Sagar im Mai 2018 schwere Überschwemmungen, bei denen mehr als 1.700 Familien ihre Häuser verloren. Von Klimawandel spricht Abdirashid Yasin allerdings nicht. „Ich gehe davon aus, dass es Gott ist, weil er doch für alles verantwortlich ist“, sagt er schicksalsergeben.

Zerstörerische Holzkohleproduktion

Die Futterknappheit sei nicht nur dem Klimawandel geschuldet, erklärt Thomas Hörz von der Welthungerhilfe. Der Agrarexperte vermutet: „Die Holzkohlegewinnung ist der destruktive Faktor für die Naturweiden.“ Die Holzkohle wird überall an den Straßenrändern in großen Bündeln verkauft und ist, weil es an Strom und Geld für Gas fehlt, zum Kochen nötig. Damit die Menschen keine weiten Wege zurücklegen müssen, werden ganze Bäume gefällt und zerkleinert. Das Endprodukt habe einen geringen Brennwert, sagt Hörz. Es wäre umweltschonender, nur ein Viertel oder Drittel des Astwerks zu verarbeiten. Bäume könnten weiter wachsen und ihre Wurzeln versorgen.

Mit dem Verkauf der Kohle lässt sich jedoch schnelles Geld verdienen. Das werde, sagt Hörz, oftmals verwendet, um die Sucht nach Khat zu befriedigen. Die Kau-Droge kommt aus Äthiopien und hat eine stimulierende Wirkung. Konservativen Schätzungen zufolge konsumiert jeder zweite Somaliländer sie regelmäßig. Noch sind es fast ausschließlich Männer. In anderen Analysen wird von bis zu 80 Prozent Kon­su­men­t.in­nen ausgegangen.

„Wir hängen von Allah ab“

„Die Dürre hat uns alles genommen“, sagt Mustafa Xayd Nur, dem das Camp Guryo-Samo am Rande der Stadt Burao 2015 unfreiwillig zur neuen Heimat geworden ist. Auch seine Tiere verendeten, der 55-Jährige fand sich in dem Camp für Binnenflüchtlinge wieder. „Die Tiere sind gestorben, weil es kein Wasser mehr gab.“

Aus der temporären Unterkunft hat sich eine kleine Stadt entwickelt. Es gibt eine Moschee, eine schlecht ausgestattete und überbelegte Schule, wie Lehrer Cabdiraxman Abshir Falul beklagt. Die einstigen Viehthüter.in­nen wohnen dicht gedrängt nebeneinander und haben aus festen Plastikplanen kleine Zelte gebaut. Rechts und links der Straße, die das Camp in zwei Viertel teilt, sind Wellblechhütten entstanden. In der Abendsonne laufen ein paar Ziegen umher, bevor sie für die Nacht in ihren Pferch gebracht werden. Von Herden kann nicht mehr die Rede sein. Frauen, denen traditionell die Ziegen gehören, besitzen heute noch zwei, drei oder vielleicht vier Tiere. Manche hatten vor der Dürre von 2017 hundert Mal so viele Tiere.

Es gibt Befürchtungen, dass die Camps zu den neuen Elendsvierteln des Landes werden könnten. Dort gibt es zwar eine Grundversorgung, rationierte Nahrungsmittel und teilweise Geld, aber keine Zukunft und vor allem keine beruflichen Perspektiven.

Mustafa Xayd Nur wollte das nicht hinnehmen. Als er hier ankam, erinnerte er sich daran, dass sein Großvater einst auch Landwirtschaft betrieben hat. In Somaliland ist das eine seltene Kombination gewesen, die Nur jetzt die Zukunft sichert. Abseits der Straße hat er mit Ästen ­einen kleinen Schutzwall gegen die freilaufenden ­Ziegen errichtet. Hier baut er Tomaten, Zwiebeln und Wassermelonen an. Der Gemüseanbau benötigt allerdings ein gutes Bewässerungssystem.

Auch Mustafa Xayd Nur sagt: „Wir hängen von Allah ab.“ Gleichzeitig will er seine Zukunft nicht dem Schicksal überlassen. Nach seiner Ankunft entdeckte er in der Nähe des Camps ein Wasserloch. Wenn es gelingt, Dämme zu errichten und Systeme zu installieren, die auch schlechten Niederschlag gut speichern, gibt es noch Hoffnung. Aus den Vieh­wirt­schaf­te­r.in­nen könnten Farmer werden, hofft er. „Wir müssen neue Wege für unsere Zukunft suchen“, sagt der 55-Jährige. Zur Bestätigung greift er zwei große, grün-gestreifte Wasser­melonen.

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