Altkanzler Schmidt und die Medien: Zum 100. keinen Bambi

Das Verhältnis des barschen Altkanzlers zu den Medien: Von einem greisen Kettenraucher, der sich zuletzt willig vom Boulevard hat feiern lassen.

Die Zeiten haben sich geändert: Talkshowgast Helmut Schmidt. Bild: dpa

Es wäre schwer zu bestreiten, dass der greise Kettenraucher Helmut Schmidt vor der Kamera eine bessere Figur macht als, beispielsweise, Guido Westerwelle, der vor noch nicht allzu langer Zeit in einem ulkigen "Guidomobil" durchs Land gereist ist. Ein Wahlkampfmanager, der Schmidt 1976 dazu geraten hätte, ein "Helmutmobil" zu besteigen, wäre wahrscheinlich sofort zum Nachtdienst in der Lokalredaktion der Hamburger Morgenpost degradiert worden, und das wäre auch gut so gewesen.

"Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen." Aus diesem barschen, Helmut Schmidt zugeschriebenen Bonmot spricht die wohltuende Nüchternheit einer Politikergeneration, die das Volk weder mit Vollbärten noch mit Auftritten im großen Samstagabendprogramm animieren wollte. Eine Vision der reinen Lebensfreude mutete erst der Sozialdemokrat Rudolf Scharping den Wählern zu, als er sich mit einer Dame im Swimmingpool fotografieren ließ, und im frühen 21. Jahrhundert schrickt keine Familienministerin mehr davor zurück, neben Thomas Gottschalk Platz zu nehmen. Die Zeiten haben sich geändert, mit kräftiger Nachhilfe durch Helmut Schmidts Amtsnachfolger Helmut Kohl, der uns den Zugriff auf ein Fernsehprogramm ermöglichte, in dem der Klatschkolumnist Paul Sahner Prominente danach fragen durfte, wann sie das letzte Mal Sex gehabt hätten.

In den Siebzigerjahren waren solche Exzesse noch nicht möglich. Die Frage, wann er das letzte Mal Sex gehabt habe, wäre dem Bundeskanzler Helmut Schmidt von niemandem gestellt worden, aber man kann ihm und seinen Kabinettsmitgliedern auch nicht nachrühmen, dass sie den damals führenden Verleger journalistischer Obszönitäten mit Missachtung gestraft hätten. Im Gegenteil: "Nach dem Kanzlerwechsel beeilten sich bemerkenswerterweise sowohl Schmidt als auch Genscher, Springer im Sommer 1974 aufzusuchen", schreibt Axel Springers Biograf Hans-Peter Schwarz. "Schloss Schierensee bot jetzt den angemessenen Rahmen. Springer konnte die neuen Herren wie ein großer Herr empfangen." Diesem großen, über Harald Juhnkes Besäufnisse, Romy Schneiders Sexualkontakte und andere Erscheinungen des kulturellen Lebens wachenden Herrn stattete Schmidt anschließend seinen "besten Dank für das Teilnehmenlassen an den schönen Schätzen auf Schierensee" ab, "für Gespräch, Brief und Drucke der mich immer interessierenden Kapitänsbilder (besitze selbst auch zwei)". Die genaue Kenntnis der Tatsache, dass Springer seine schönen Schätze auf Schloss Schierensee sowie das gesamte Schloss der Fabrikation dreckiger Bettgeschichten verdankte, hielt Schmidt nicht davon ab, dem Schlossherrn einen Kratzfuß darzubieten. Als der von Springer verstoßene Lotse Schmidt 1982 von Bord ging, konnte er also die Erinnerung an die Kapitänsbilder auf Schloss Schierensee mitnehmen, die ihm den Eindruck einer stabileren Machtposition als seiner eigenen vermittelt haben dürften.

Noch bemerkenswerter als das Tempo, in dem der Regierungschef Schmidt 1974 dem Oberhaupt der vierten Macht im Staat entgegengeeilt war, ist die Gefügigkeit, mit der sich unser angeblich so störrischer Altkanzler Schmidt den Bedürfnissen der Gossenpresse angepasst hat. In seinem neunzigsten Lebensjahr hat er sich eine öffentliche Ehrung durch die Redaktion der Bild-Zeitung gefallen lassen und zum Dank für sein Lebenswerk einen "Bild-Osgar" in Empfang genommen, während andere Leute die Erforschung und die publizistische Verwertung ihres Geschlechtslebens durch die Juroren erdulden mussten. Aus Helmut Schmidts privatem Umfeld sind bislang nur ein paar harmlose Aufnahmen von Segeltörns an die Öffentlichkeit gelangt. Er darf sich aber jetzt schon darauf freuen, dass die Strolche, die ihn geehrt haben, alle kommenden Schläge unter seine Gürtellinie mit dem Hinweis auf seine eigene Mediengeilheit rechtfertigen werden. Dem ewigen Opportunisten Schmidt geschähe das leider ganz recht, aber vielleicht wird er uns ja an seinem 100. Geburtstag damit überraschen, dass er wenigstens einen Bambi als Auszeichnung für seine lebenslänglich bewiesene Stromlinienförmigkeit verschmäht. Jüngere Menschen könnten daraus lernen, dass man nicht jeden Blödsinn mitmachen muss, um im Leben voranzukommen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.