piwik no script img

Alter und GesellschaftDemenz als Lebensform akzeptieren

Jeder Vierte hat schon mal Demenzkranke betreut. Am wichtigsten für Angehörige ist, sich nicht zu isolieren, sagt der Pflegereport der DAK.

Ein Dozent markiert ein Spielbrett für Demenzkranke Foto: dpa

Berlin taz | Frau Becker, voll berufstätig, betreut und pflegt ihre an Demenz erkrankte Mutter, die noch alleine lebt. Eine Stunde täglich ist Becker vor Ort, dreimal täglich ruft sie an. Zweimal am Tag kommt ein Pflegedienst zur Unterstützung. Die Mutter freut sich, wenn die Tochter vorbeischaut. Das Größte ist, von der Tochter und deren Freundin mitgenommen zu werden ins Restaurant. „Da blüht sie förmlich auf“, erzählt Becker. Der Mutter geht es besser, „wenn sie mit anderen Leuten zusammen ist“. Die Tochter hat ihre Mutter jetzt in einer Wohngruppe für Demente angemeldet.

Frau Becker war eine der InterviewpartnerInnen im Rahmen des am Donnerstag vorgestellten Pflegereports der DAK-Krankenkasse mit dem Schwerpunkt Demenz. Die Gesellschaft stehe vor der Aufgabe, „Demenz als Lebensform zu akzeptieren“, erklärte der an der Studie beteiligte Sozialforscher Thomas Klie von der Evangelischen Hochschule Freiburg.

Etwa jeder Vierte hat laut der Befragung schon Erfahrung in der Betreuung von Demenzkranken gesammelt. Dabei gehe es inzwischen vor allem darum, die Belastung „auf mehrere Schultern“ zu verteilen, resümierte Klie. Sonst könnte die Pflege von Demenzkranken auch für die Angehörigen zum „Gefängnis“ werden. Neun von zehn der Pflegenden wünschten sich mehr Unterstützung.

In den Interviews stießen die Forscher auf Modelle, wo etwa der demente alte Vater mit Ehefrau und Tochter unter einem Dach lebte und auch die Enkel und ein alter Freund oft vorbeischauten. Das klingt ideal. Häufig aber isolieren sich gerade Ehepaare, wenn ein Partner den anderen pflegt und die erwachsenen Kinder nur einmal in der Woche vorbeikommen. „Eigentlich war ich mit meinem Mann eingesperrt die ganze Zeit“, erzählte eine pflegende Angehörige. 69 Prozent der Kranken lebten oder leben die meiste Zeit zuhause und werden dort versorgt.

Pflegenden geht es dann besser, wenn sie noch eine emotionale Verbundenheit mit dem Patienten verspüren und es noch Momente der Gemeinsamkeit, vielleicht sogar Humor im Alltag gibt, ergab die Studie. Es entlastet auch, wenn man noch einen Pflegedienst in die Betreuung mit einbeziehen kann. Mit Pflegedienst empfanden zwei Drittel die Versorgung als „angemessen“. Von denen, die sich ohne Pflegedienst kümmerten, sagte dies nicht mal die Hälfte der Betreuenden. 86 Prozent der Befragten gaben an, mehr finanzielle Hilfe zu brauchen.

Obwohl die Betreuenden stark belastet waren, hielt fast jeder Zweite der Befragten mit kranken Angehörigen „ein gutes Leben mit Demenz durchaus für möglich“, sagte DAK-Chef Andreas Storm. Ein überraschendes Ergebnis des Reports sei „die positive Haltung vieler Menschen zur Demenz“, so Storm. Im Rahmen des Reports wurden rund 1.400 Personen befragt, darunter 330 Leute mit Erfahrung in der Dementenbetreuung. In Deutschland sind 1,7 Millionen Menschen an einer Demenz erkrankt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Omega-3 Fettsäuren (die sich im Fisch oder Margarine „Rama“ von Unilever sich befinden) und grüner Tee sind in der Forschung gegen Demenz (v.a. Alzheimer) mit kleinen jedoch guten Ergebnissen.

    http://www.ngfn.de/de/alzheimer.html

    http://www.lipididiet.eu/

     

    In Bezug auf Tee stellt sich dann die Frage, ob in China und Japan genau so viele Menschen an Demenz leiden oder deutlich weniger? Ob es möglich ist durch Essens und Trinkgewohnheiten, die Demenz präventiv ausschließen?

     

    Die Ärztezeitung sagt:

     

    "Jede dritte Demenz lässt sich verhindern

    Kein Übergewicht, kein Tabak, kein Diabetes - dies reduziert das Alzheimerrisiko beträchtlich. Am wichtigsten ist jedoch mehr Bewegung."

    https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/demenz/article/869116/alzheimer-jede-dritte-demenz-laesst-verhindern.html

     

    Da kann man trotzdem streiten und sagen, dass die ausreichende, regelmäßige und richtige Wasserzufuhr (Mineralwasser) noch wichtiger ist! Körperzellen benötigen regelmäßig Wasser für die Lebensprozesse der Zellen. Ältere Menschen bestehen viel weniger aus Wasser als Jüngere Menschen; und ältere Menschen trinken viel zu wenig.

  • Betreuende Menschen brauchen also mehr fachliche oder finanzielle Unterstützung. Z. B. Frau Becker ist voll berufstätig. Wenn Sie auf der Arbeit ist, dann ist keiner bei Ihrer Mutter.

     

    Wie auch Deutsches Institut für Demenzprävention (DIDP) sagt, Menschen, die unter Demenz leiden, brauchen eine besondere Zuwendung.

    http://www.didp.org/demenzpaevention.htm

     

    Dann kann man doch für betroffene Menschen (pflegebedürftige Menschen und die sie pflegenden Angehörigen):

     

    - höhere staatliche Zuschüsse bewilligen und/oder

    - Reduzierung der Arbeitszeit bis auf Halbtagsarbeitsstellen (20 Std. /Woche) unter vollem Lohnausgleich legitimieren und/oder

    - Kostenlosen mobilen Pflegedienst (vor Ort) 3-5 Stunden am Tag organisieren. Die finanzielle Belastung dafür sollen Krankenkassen im vollen Umfang tragen.

     

    Da wir ein Sozialstaat sind, dann steht der Hilfe für pflegebedürftige Menschen und sie pflegende Angehörigen nichts im Wege!