: Alte Öffent-lichkeit
Jürgen Habermas warnt vor dem Rückfall ins 19. Jahrhundert
Kleinmut ist eine Krankheit. Vielleicht eine deutsche. Jürgen Habermas geißelte den kleinmütigen Opportunismus kurzfristiger Machterhaltung der politischen Eliten, als er am Mittwoch in Berlin den Großen Deutsch-Französischen Medienpreis entgegennahm. Es ist anzunehmen, dass die bayerische Komödie ihn dazu inspirierte. Aber auch die Sozialdemokratie bekam ihr Fett weg: Sie unterfordere den Wähler normativ.
Kleinmut hier und der Mut zur gestaltenden Politik dort: Es ist bekannt, dass Habermas Macron für einen Visionär hält. Die auch von Heiko Maas an diesem Abend beschworene offene Diskussion und französische Leidenschaft darf man allerdings für einen deutschen Mythos halten. Große Gesten ersetzen noch keinen Diskurs.
Habermas’ Ton ist schärfer geworden. Vielleicht wird man erst in einigen Jahren die Bedeutung seiner Rede erkennen: Europa ist im Zerfall begriffen. Der Rückzug hinter nationale Grenzen könne nicht die Antwort auf einen unregulierten Kapitalismus sein. Am Ende fügt Habermas merklich aufgeregt seinem Skript einen Satz hinzu: Das gelte erst recht für die Asylpolitik, wenn die nationalen Bevölkerungen nicht in ihre Zeit als Kolonialmächte zurückkehren wollten.
Stellen Sie sich vor, der Spiritus Rector der BRD warnt sein Publikum vor dem Rückfall ins 19. Jahrhundert und alle bleiben auf ihren Stühlen sitzen, bis der Servicearbeiter den nächsten Sekt bringt. Dann, könnte man meinen, ist der Adressat der falsche. Habermas’ Anrufung gilt den „tonangebenden Eliten“. Ein Bewusstseinsprozess solle von ihnen ausgehen. Intendanten, Politikerinnen, Journalistinnen und Professoren, sie applaudieren und sitzen. Man weiß nicht, ob aus Selbstzufriedenheit oder weil sie verstanden haben, dass Öffentlichkeit so nicht mehr funktioniert. Was bleibt, ist die Ordnung der Inszenierung. Vielleicht ist Konsens eben doch das Ende der Politik. Tania Martini
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