Alte AKWs sind am schlimmsten: Spröde, ermüdet, verschlissen
Die acht ältesten Atomkraftwerke in Deutschland erhöhen das Unfallrisiko: Sie sind spröde, ermüdet, verschlissen und wären heute nicht mehr genehmigungsfähig.
Die deutschen Atomkraftwerke sind aus technischer Sicht unterschiedlich sicher; der Weiterbetrieb der acht ältesten Anlagen würde das allgemeine Risiko des Betriebs von Atomkraftwerken deutlich überproportional erhöhen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die der ehemalige Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg, im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion erstellt hat. Am Freitag wurde sie in Berlin vorgestellt.
Zu den Atomkraftwerken der älteren Bauart gehören die Druckwasserreaktoren Biblis A, Biblis B, Neckarwestheim 1 und Unterweser sowie die Siedewasserreaktoren Brunsbüttel, Krümmel, Philippsburg 1 und Isar 1. Diese sollten nach Ansicht der Grünen-Fraktion so schnell wie möglich vom Netz gehen.
Das Bundesumweltministerium habe bislang keine aktuelle Bewertung der Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke vorgelegt, kritisiert Renneberg in seiner Studie. "Aus den bereits bekannten Untersuchungen ergibt sich jedoch, dass bei allen Kernkraftwerken Fehler, die durch Alterung zumindest mitverursacht sind, zunehmen", heißt es darin. Bei den Kraftwerken der älteren Baulinien sei die altersbedingte Fehlerrate wesentlich höher. So hätten beispielsweise die Atomkraftwerke Neckarwestheim 1 und Biblis eine bis zu viermal so hohe jährliche Fehlerereignisrate wie die neueren Kraftwerke Neckarwestheim 2 und Emsland.
Ursache ist laut Renneberg nicht nur die Materialermüdung einzelner Bauteile, die aufgrund von Verspröden, Ermüden, Korrosion oder mechanischen Verschleiß nicht mehr richtig funktionieren, sondern auch die veraltete Gesamtkonzeption. So fehle bei Biblis A ein unabhängig arbeitendes Notfallkühlsystem; es seien weniger Wasserreserven zum Kühlen vorhanden; viele Leitungen seien bautechnisch nicht getrennt, was das Risiko im Brandfall erhöht.
Von Nachrüstungen hält Renneberg wenig. "Die alten Anlagen lassen sich aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nicht auf den Stand der Technik bringen", so der Experte. Jeder Versuch, die alten Reaktoren auch konzeptionell auf den heutigen Sicherheitsstandard zu bringen, käme einem Neubau nahe. "Planung, Genehmigung und Bau würden so große Zeiträume in Anspruch nehmen, dass die Sicherheitsverbesserungen für einen effektiven Sicherheitsgewinn zu spät kämen."
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kritisierte die Bundesregierung unter Verweis auf die Studie scharf. "Die Behauptung, Deutschland habe die sichersten Atomkraftwerke, ist ein Euphemismus, der einer Lüge nahekommt", so Trittin. Kein deutsches Atomkraftwerk sei heute noch genehmigungsfähig.
Auf der anderen Seite sei Deutschland, auch dank des Ausbaus der erneuerbaren Energien, mittlerweile ein Stromexporteur. Jährlich werde etwa so viel Strom ins Ausland geleitet, wie die acht ältesten Atomkraftwerke erzeugen könnten. "Wir könnten die alten Reaktoren also sofort abschalten, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden." Die alten, abgeschriebenen Atomkraftwerke würden nur deshalb weiterlaufen sollen, um den Stromkonzernen Extragewinne zu ermöglichen.
Wie der Staat solche Gewinne zumindest zum Teil abschöpfen kann - darüber debattierte der Bundestag am Donnerstagnachmittag. Die geplante Einführung einer Brennelementesteuer fand dabei im Prinzip die Zustimmung aller Fraktionen. Die von der Koalition gleichzeitig geplante Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke blieb aber stark umstritten. Union und FDP waren dafür, SPD, Linke und Grüne dagegen. Ende August will die Bundesregierung ihr neues Energiekonzept vorlegen.
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