Alstereis: Das unorganisierte Vergnügen
Das offizielle "Alstereisvergnügen" ist in Hamburg vorerst abgesagt - für Massenandrang und Budenzauber ist das Eis noch nicht dick genug. Doch auch ohne behördlichen Segen gehen die Menschen aufs Eis - und werden weich.
Das Flüssige ist fest geworden. So fest, dass man drüber gehen kann. Muss man nicht mehr drum herum laufen oder fahren. Wer von draußen drauf guckt, ist irritiert. Weil er da was sieht, was nicht sein kann. Hund, Möwe, Ente, Schwan: ja. Aber Mensch? Nur wer auf dem Eis steht, findet nichts dabei.
Für den "Mann auf der Boje" des Bildhauers Stefan Balkenhol, der sonst im Wasser steht, damit man ihn für einen echten Menschen hält, läuft es gar nicht. Normalerweise leistet ihm kein Schwein Gesellschaft. Und nun, wo wir alle da sind, ist er weg.
Ein paar sind schon vor acht auf der Alster, in einem Sonnenaufgang, der dazu führt, dass einige zu spät zur Arbeit kommen, weil sie mit ihren Mobiltelefonen, vor allem von den Brücken, knipsen. Den Himmel, der so Farben hat wie die Klamotten von Babys oder deren Haut. Und die Kirchtürme im Dunst, und die Kamine, die rauchen, und den Atem der Läufer, der vor ihrem Mund Rauchwolken macht, die Sonne, die auf dem Eis einen goldenen Strich macht, und die Menschen, die sich auf dem Eis die Füße vertreten.
Diejenigen, die da am Morgen fotografieren, kommen in der Mittagspause wieder. Auch ohne organisiertes "Alstereisvergnügen", wie das in Hamburg heißt, ohne Glühweinbuden und Tamtam ist es genau das - ein Vergnügen. Kostet keinen Eintritt, macht Spaß, und man wird nicht verhaftet, obwohl die für Spaß zuständigen Behörden die Alster noch nicht frei gegeben haben. Weil das Eis für den organisierten Mumpitz noch nicht trägt.
Den Unorganisierten ist das egal, sie bringen, wie das Ehepaar Maria und Anton Kuric, Essen und Trinken mit. Und Sitzkissen. Die Kurics sitzen am Fähranleger bei der Moschee und warten nicht. Weil die Fähre eh nicht kommt. Sie trinken heißen Rumgrog und geben Menschen mit kalten Nasen auch was ab. Sie essen Kekse und kommen jeden Tag her. Seit Sonntag. Er ist Architekt, sie Bibliothekarin, beide pensioniert und 35 Jahre verheiratet.
Das Ehepaar Kuric schaut den Eishockeyspielern Pia, 16, Mäx, 16, Vincent, 14 und Valerie, 14 zu. Die haben zwei Reifen aufs Eis gelegt. Das sind die Tore. Die Vier gehen aufs Christianeum, das humanistische Gymnasium in Othmarschen, und spielen seit Sonntag. "Wir haben keine schlechten Erfahrungen mit dem Eis gemacht", sagt Pia. Gespielt wird, bis es dunkel wird, "oder wir platt sind", sagt Mäx. Eine der Mütter hat Kekse und heiße Getränke dabei.
Die Hamburger Umweltsenatorin Anja Hajduk (GAL) hat das so genannte "Alstereisvergnügen" für dieses Wochenende abgesagt. Damit wird es zunächst keine Buden auf der Alster geben.
Der Grund: Noch sei die Eisdecke mit 12 bis 18 Zentimetern zu dünn, um massenhaft betreten zu werden. Erforderlich seien 20 Zentimeter.
Die Unfälle: Am Dienstag Nachmittag brach sich "Tagesschau"-Moderator Claus-Erich Boetzkes ein Bein, als er auf dem Eis spazieren ging. Nach Mopo-Berichten war am Vormittag ein 11-jähriger Junge in Ufernähe vor dem Atlantic-Hotel ins Eis eingebrochen, er stand hüfthoch im kalten Wasser.
Das letzte Alstereisvergnügen gab es in den Wintern 1996 und 1997. Hunderttausende betraten die Alster, die mit Glühwein- und Essensbuden übersät war
Schwierig wird es nur, wenn Fräulein Smilla, ein Cockerspaniel, in der Nähe ist. Der will nämlich mitspielen und rennt dann, Puck im Maul, stolz übers Eis. Herrchen ruft "aus, aus", aber Fräulein Smilla gehorcht nicht. Außer er findet ein Stück Eis, das er fressen will. Was Herrchen ebenfalls rügt: "Ich glaub nicht, dass das gut für Dich ist, Smilla."
Das Eis ist mal hell-, mal dunkelgrau und es hat eine Maserung wie Holz. Es sind tiefe Riefen drin, es liegt an manchen Stellen Schnee, es gibt kleine Eishaufen. Dann sind da Flächen, die sind so glatt, da kommt keine Eisbahn mit. Manchmal macht es Geräusche. Nicht nur, wenn ein Schlittschuhläufer elegant drüber zischt, oder ein Unbeholfener dumpf draufplumpst, sondern einfach so. Dann zuckt man ein bisschen zusammen.
Ziemlich in der Mitte ist eine tiefe Rinne, als ob da was zusammen gefügt wurde. Hier ist ganz schön still. Keine Musik, keine Autos, kein Läuten, Klingeln. Nur das "Ssst" der Schlittschuhläufer, und manchmal spricht einer in sein Telefon und versucht zu erklären, wie schön das hier ist.
Unter den Brücken ist das Flüssige nicht hart. Da geht keiner in die Nähe. Man braucht nicht überall Schilder und Wachdienste, wenn die Gefahr offensichtlich ist. Christian, 34, Netzwerkbetreuer, saust kühn mit dem Rad übers Eis. "Man muss die Stellen suchen, auf denen es nicht so glatt ist", sagt er. Knickerbocker feiern ein Comeback, Frauen in Nerzmänteln gehen mit Männern in hohen Nerzmützen spazieren. Ältere Ehepaare schnaufen mit Nordic-Walking-Stöcken über die spiegelglatte Fläche. Eine junge Mutter auf Schlittschuhen schiebt ihren Kinderwagen in hohem Tempo durch die Gegend. Das Kind verpennt alles.
Klara ist Fünf und fliegt morgen mit ihrer Mutter nach Djakarta, Indonesien. "Da ist Regenzeit, so etwa 25 bis 30 Grad", sagt Mutter Ice Gruss. "Da müssen wir ganz andere Kleider anziehen", weiß Klara. Und schon liegt sie auf dem Bauch und lacht, weil sich drüben ein Erwachsener lang gemacht hat.
Der Erwachsene guckt rüber und lacht ebenfalls. Kaum wird das Flüssige fest, wird das Harte weich.
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