Alptraum auf den Malediven: 150 Zentimeter bis zum Untergang
Tropenparadies in Gefahr: Die Malediven könnten schon bald im Meer verschwinden. Eine Auswanderung aller Einwohner nach Indien oder Australien ist bereits in Planung.
Als Mohamed Anni Nasheed, der frisch gewählte Präsident der Malediven, direkt nach der Verkündung der Ergebnisse der ersten freien Wahlen vor wenigen Monaten vor die Fernsehkameras trat, hätte es einiges zu sagen gegeben. Zum Beispiel, was er zu tun gedenkt, um die Jugendlichen vom Heroin wegzubekommen - jeder dritte Malediver unter 21 Jahren ist drogenabhängig -, oder welche Pläne er gegen die Armut hat: 60 Prozent der Malediver verdienen gerade mal 1 Dollar am Tag. Zu beiden Punkten sagte er kein Wort. Stattdessen tat Mohamed Anni Nasheed etwas, was weltweit noch kein Präsident vor ihm getan hat: Er kündigte an, seinem Volk in einem anderen Land eine neue Heimat zu kaufen. Schließlich haben die Malediver ein noch weitaus größeres Problem als Armut und Heroin. Eines, das einer biblischen Katastrophe gleichkommt: Ihr Inselstaat versinkt im Meer.
Schon heute sieht man beim Blick aus dem Wasserflugzeug, das die Touristen vom Flughafen nahe der Hauptinsel Male ins gebuchte Resort bringt, fast nur Wasser. Dabei ist das Staatsgebiet der Malediven doppelt so groß wie Belgien. 99,9 Prozent davon macht allerdings der Indische Ozean aus. Der Rest sind zumeist kleine Inseln, die aussehen wie aus einem Comicstrip - ein Häufchen Sand mit windschiefen Palmen, gerade mal einen Meter über dem Meeresspiegel gelegen. Nur unwesentlich größer, aber genauso flach ist die eine halbe Flugstunde westlich von Male gelegene Touristeninsel Velavaru. Sollte der Meeresspiegel wie von Experten vorhergesagt bis zum Ende des Jahrhunderts um bis zu 1,5 Meter ansteigen, wäre Velavaru in wenigen Jahrzehnten im Meer versunken. Genau wie die restlichen 1.190 Inseln der Malediven.
Gischt spritzt hoch, als die Schwimmer der "Twin Otter" bei der Landung das Wasser berühren. Ein bunt bemaltes Dhoni, das traditionelle Holzboot der Malediver, bringt die Touristengruppe ans Ufer. Auf Velavaru, an dessen Pier das schmale Holzboot festmacht, stehen 80 klimatisierte Bungalows mit Whirlpool und Strandzugang in einem tropischen Palmengarten. Flughunde segeln durch die Luft. Der blütenweiße Strand fällt sanft ins glasklare Meer ab. Von Katastrophenstimmung ist nichts zu spüren. Stattdessen wartet am Strand ein gut gelauntes Empfangskommando. Ein Angestellter verteilt zum Frischmachen nasse Läppchen vom Silbertablett. Drei andere wuchten das Gepäck auf einen Handwagen. Auf den Malediven existieren zwei komplett voneinander getrennte Welten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Während die Einheimischen zumeist am Rande des Existenzminimums leben, biegen sich auf den Resortinseln die Büfetttische unter gewaltigen Lasten von kanadischem Hummer, Parmaschinken und neuseeländischen Lammsteaks. 1.000 Liter Süßwasser verbraucht ein Tourist am Tag alleine beim Duschen, zu trinken gibt es norwegisches Gletscherwasser, 15 Dollar die Flasche. Die Einheimischen sind froh, wenn sie genug Diesel zum Betrieb der Meerwasserentsalzungsanlage haben.
Von den steigenden Fluten sind die Resortinseln allerdings genauso betroffen wie die Inseln der Einheimischen. Abdul Azeez Hakeem, den alle nur Azeez nennen, hat den schwersten Job, den das Velavaru-Resort zu bieten hat. Der Meeresbiologe soll die Insel gegen die Fluten verteidigen. Den Grund für den Anstieg des Meeresspiegels sehen Experten in der Klimaerwärmung. Wenn an den Polen das Packeis schmilzt, schwappen auch auf den Malediven die Wellen ein klein wenig weiter den weißen Strand hinauf.
Auf eine Debatte, ob der Klimawandel tatsächlich stattfindet, will sich Azeez nicht einlassen. "Viele sagen, es fehlt noch der endgültige Beweis, wie hoch der Meeresspiegel wirklich steigt", sagt er. "Aber wir haben keine Zeit, auf diesen Beweis zu warten." Als besonders ungerecht empfinden Azeez und seine Landsleute, dass die Malediver zum Treibhauseffekt so gut wie nichts beitragen - ihr kleines Land ist nach Regierungsangaben für 0,0012 Prozent des globalen Kohlendioxidausstoßes verantwortlich.
Für den Meeresbiologen Azeez geht es bei seiner Arbeit um mehr als nur darum, eine Touristenbehausung zu schützen. Der 60-Jährige kämpft um seine Heimat. Er ist auf dem Nachbaratoll aufgewachsen und hat lange in Male gelebt. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts klagte der englische Archäologe H. C. P. Bell über die Überbevölkerung auf der gerade einmal 2 Quadratkilometer großen Hauptinsel. Damals lebten 5.000 Menschen in Male. Heute sind es 100.000. Bis unter die Decke gestapelt schlafen sie in den winzigen Wohnungen der mehrstöckigen Häuser. Während Alkohol für die einheimischen Muslime verboten ist, steht über Heroin nichts im Koran. Die offizielle Statistik spricht von 12.000 Abhängigen, die Dunkelziffer soll weitaus höher liegen. Nachts kämpfen Jugendbanden mit Macheten um die Vorherrschaft im Heroingeschäft. Auf Male ist nirgendwo eine Palme zu sehen und auch kein feinsandiger Strand. Den gibt es auf den Touristeninseln wie Velavaru. Zumindest jetzt noch. Denn die Auswirkungen des Klimaphänomens "El Niño" haben die Lage seit Ende der 90er-Jahre zusätzlich verschärft. Infolge von sich verändernden Meeresströmungen stiegen damals die Wassertemperaturen im Indischen Ozean für mehrere Wochen um 3 Grad. Zu warm für die hitzeempfindlichen Korallen. In Teilen der Malediven starben die sensiblen Organismen gleich massenhaft ab. Viele Inseln liegen seitdem schutzlos da, weil die sie umgebenden Korallenriffe nicht mehr wie vorher bis knapp unter die Wasseroberfläche reichen, sondern tiefer unten enden und die Wellen jetzt ungebremst an den Strand schlagen, was besonders während der Monsunstürme zu starker Erosion führt.
Den Strand zu erhalten, bezeichnet Meeresbiologe Azeez schon heute als einen "stetigen Kampf gegen die Natur". Vier Mitarbeiter hat er dafür auf Velavaru im Einsatz. Morgens um sechs, wenn die Touristen noch schlafen, machen sie ihre Runde. Besonders bei stärkerem Seegang finden die Männer immer wieder Stellen, an denen die Wellen Sand weggespült haben. Auf einigen Nachbarinseln sind schon ganze Strandabschnitte verschwunden. Palmen fallen um, weil das Wasser die Wurzeln freigespült hat. Um das zu verhindern, schaufeln die Männer auf Velavaru Sand mit einem Elektrobagger auf die ausgespülten Stellen. Reicht das nicht, pumpen sie Sand vom Grund der Lagune auf den Strand. Wenn die Touristen nach dem Aufstehen auf die Terrassen ihrer Strandvillen treten, sind die Reifenspuren längst weggeharkt.
Das Image vom tropischen Urlaubsparadies darf auf keinen Fall gefährdet werden. Denn die Geschäfte laufen gut. Mehr als eine halbe Millionen Reisende kamen im letzten Jahr auf die Malediven. Vor zehn Jahren waren es nicht einmal die Hälfte. Um die Einnahmen weiter anzukurbeln, hat die Regierung neue Inseln für den Bau von Resorts freigegeben. 80 Resorts gibt es schon jetzt, in den nächsten fünf Jahren könnten 40 neue hinzukommen. Die steigenden Besucherzahlen verschärfen aber auch das schon jetzt akute Müllproblem. Auf Velavaru gibt es wie in den meisten Resorts eine Müllverbrennungsanlage. Der Großteil des Abfalls, vor allem Plastik und Metall, wird aber nach Thila Fushi gebracht, eine Industrieinsel westlich von Male. In acht Jahren soll die Kapazität der Insel allerdings erschöpft sein. Umweltschützer sprechen schon jetzt von einer toxischen Bombe.
Um die Wucht, mit der die Wellen bei Sturm auf den Strand treffen, abzuschwächen, versucht Azeez auf Velavaru die Korallenriffe zu verstärken. Im Taucheranzug watet der Meeresbiologe ins Meer, bis ihm das glasklare Wasser bis zur Brust reicht, dann steckt er das Atemgerät in den Mund, schiebt die Brille über die Augen und taucht ab. Mit kräftigen Flossenschlägen schwimmt Azeez auf eine etwa 5 Meter lange Metallkonstruktion zu, die er und seine Männer vor einigen Monaten auf dem Grund der Lagune versenkt haben. Was aussieht wie ein metallenes Bettgestell, ist ein künstliches Riff. Davor auf dem Meeresboden steht eine Plastikkiste mit abgebrochenen Korallen, die seine Mitarbeiter vor allem nach Stürmen am Strand finden. Azeez greift hinein. Luftblasen steigen aus seinem Atemgerät an die Oberfläche. Mit einem Kabelbinder befestigt Azeez die Koralle an einem der Metallstreben. An vielen Stellen sind sie schon dicht mit Korallen bewachsen, vor allem mit solchen, denen die höheren Temperaturen nichts ausmachen. Noch ist das künstliche Riff in der Erprobungsphase. "Unsere Hoffnung ist", sagt Azeez später am Strand, "dass wir mit unseren Konstruktionen eines Tages die natürlichen Riffe verstärken können".
Der Tsunami im Dezember 2004 hat den Maledivern gezeigt, wie verwundbar ihr Land ist. 69 der 199 bewohnten Inseln wurden vollständig überflutet. Anders als in den anderen von der Katastrophe betroffenen Staaten gab es für die Malediver kein sicheres Hinterland, in das sie hätten fliehen können - viele klammerten sich an Palmen oder schwammen um ihr Leben. Der Klimawandel kommt viel langsamer als der Tsunami, aber die Vernichtung könnte umso gründlicher sein.
Die zerstörten Resorts wurden damals in Windeseile wieder aufgebaut. Der Tourismus macht den Großteil des Bruttosozialprodukts aus. Und er ist auch der Schlüssel für die Finanzierung des geplanten Ausweichquartiers. Teile der Einnahmen aus dem Tourismus sollen in einen Staatsfonds fließen, mit dem der Kauf der neuen Heimat für die Malediver finanziert werden soll. Präsident Mohamed Anni Nasheed zählt das benachbarte Indien, Sri Lanka und das dünn besiedelte Australien zu den möglichen Ländern, auf deren Territorium die heute 300.000 Malediver ihren neuen Staat gründen könnten. Die Regierungen der genannten Länder hätten ihr Verständnis für die Situation der Malediver bekräftigt, heißt es. Verträge oder Abkommen gibt es noch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?