Buchtipp:
Alptransfer
Man fährt, von Deutschland kommend, durch die Tauerntunnel, lässt Villach links liegen und ab geht’s nach bella Italia. Die Grenze wird bei Tarvisio – nein, korrekt: Tarvisio/Tarvis/Trvis – überschritten, und schnell braust man durchs Kanaltal auf der Stelzenautostrada direttissimo an die Adria, Jesolo, Lignano, Caorle, Grado; oder rasch weiter durch das lästige Triest (Trieste/Trst) zu den slowenischen und kroatischen Küstenverschandelungsanlagen, Erholungsorte genannt.
Kurt. F. Strasser und Harald Waitzbauer sind per Auto, per Bahn und zu Fuß durch diese Gegend gestreift. Richtig, gestreift, denn dieses Land, Alpen, Friaul, Karst und Küste, erschließt sich nicht dem raschenBlick, Da muss man schon jenseits der Autobahnen kleine Dörfer aufsuchen, sich an den Tresen der Gastwirtschaften stellen, um mitzukriegen, dass hier ein Multikulturalismus des Alltags existiert. In Ugovizza/Uggowitz/Ukve in der Mitte des Kanaltals spricht man in der Schenke mal Friulanisch, mal Kärtnerdeutsch, mal Italienisch, mal Windisch (ein mit Germanismen aufgeladener slowenischer Dialekt), die Leute springen mitten im Satz.
Die Autoren belassen es nicht bei der dörflichen Idylle. Sie steigen die Berge zwischen Kanaltal und Soča/ Isonzo hoch, beschreiben die Stellungen aus dem Ersten Weltkrieg, die vom blanken Wahnsinn berichten: In zwölf Isonzoschlachten kamen rund eine Million Menschen ums Leben, wovon das Museum in Kobarid/Karfreit Zeugnis ablegt. Der Fluss, beliebt bei KajakfahrerInnen, soll heute noch erhöhte Bleiwerte enthalten.Was hier an Material ins Gefecht geworfen wurde, verdeutlicht ein Berg oberhalb von Gorizia, dessen Gipfel um 16 Meter kupiert wurde.
Denn es handelt sich hier um eine der neuralgischen Stellen des zerrissenen Europas. In dieser Region stoßen romanische, germanische und slawische Kultur aufeinander, viele Völker und Volksgruppen zogen durch, siedelten hier, verschmolzen mit anderen Gruppen, bildeten „neue“ Ethnien, vermischten sich aufs Neue, verwirrten oft die Sprachforscher mit tatsächlich oder vermeintlich eigenen Sprache, etwas das Friulanische oder das Resianische. Und immer wieder wechselten die Herrschaften, änderten sich die Grenzziehungen, wobei das moderne 20. Jahrhundert die schlimmsten Auswüchse zeitigte. Ausführlich gehen die Autoren der wechselhaften Geschichte nach, was dem Leser manchmal Geduld und Konzentration abverlangt. Es handelt sich eben nicht um einen bunt kolorierten Touristenführer, sondern um ein Buch, das einen näher an die Widersprüche und Probleme dieser Region heranführt.
Balduin Winter Kurt F. Strasser / Harald Waitzbauer: „Über die Grenzen nach Triest. Wanderungen zwischen Karnischen Alpen und Adriatischem Meer“. Böhlau Verlag, Wien 1999, 288 Seiten, 58 DM
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