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Alltag und Familie im Corona-ModusCorona-Chor im Mietshaus

Familienleben im Ausnahmezustand. Die Alten: im Krisenmodus. Die Kinder dagegen: Musterbeispiele staatsbürgerlicher Vernunft- wer hätte das gedacht?

Okay, dann eben auch kein Spielplatz mehr Foto: Sebastian Kahnert/dpa

E rstaunlich, wie schnell man sich an den Ausnahmezustand gewöhnt. Urlaub abgesagt, Konzert- und Theaterkarten storniert, so selten einkaufen wie möglich, statt Sport im Studio allein vor dem YouTube-Video turnen. Und man akzeptiert ohne Weiteres, dass der Staat (!) in Berlin (!!) sämtliche Kneipen und Clubs dicht macht.

Besonders gestaunt habe ich darüber, wie schnell der Nachwuchs bereit und in der Lage ist, sich den sich täglich verändernden Lagen anzupassen. Uns Eltern hatte es gegraust vor dem Coronakrisenalltag: Der eine, Freiberufler ohne Aufträge, voller Sorgen und doch jetzt für Bildung, Beschäftigung und Zur-Krisenvernunft-Erziehung der Kinder zuständig. Die andere als physisch präsenter Stabilitätspfeiler in einer sich zusehends in kleine digitale Arbeitseinheiten aufsplitternden Zei­tungs­re­dak­tion.

Dann die Sorgen um die Verwandtschaft: Geht der Schwager jetzt pleite? Kommt Opa rechtzeitig aus der Reha? Wie geht es der Tante im Altenheim? Und das alles untermalt von einem zwanghaft abgerufenen und nicht abreißenden Strom von schlechten Nachrichten, Seuchenprognosen von Virologen, aktualisierten Todesraten, immer neuen Grenzschließungen und lokal unterschiedlich ausgeprägten Panikreaktionen.

In den USA horten sie jetzt Waffen, und der Inhaber des Sprirituosenladens in unserer Straße nagelte seine Tür mit Latten zu, um sich vor eventuellen Plünderungen zu schützen. Paranoid, ja – aber wer ist in diesen Tagen nicht mindestens einmal doch kurz panisch geworden, bei aller rationalen Aufgeklärtheit, die man sonst gern zur Schau trägt? Es sterben mehr Menschen im Straßenverkehr und an der saisonalen Grippe, ja. Aber. Als ich dieses grauenhafte Video gesehen habe aus einer norditalienischen Notaufnahme, da musste ich dann doch den Gin aufmachen, den ich noch schnell im Spirituosenladen gekauft hatte.

Mama, wann kommt die Ausgangssperre?

Die Kinder dagegen: kleine Musterbeispiele der Vernunft, wer hätte das gedacht?! Am Montag hieß es noch ganz unreflektiert: Hurra, Coronaferien! Am Dienstag: Na gut, dann eben Hausunterricht mit Papa am Küchentisch, dann aber auf den Spielplatz. Am Mittwoch: Okay, dann eben kein Spielplatz mehr. Welche Freunde dürfen wir noch treffen? Und am Donnerstag, bereits ganz staatstragend: Mama, wann kommt die Ausgangssperre? Was hat Merkel gesagt?

Merkel hat zwar ein Musterbeispiel an politischer Kom­mu­ni­ka­­tion hingelegt in ihrer Ansprache: Augenmaß, Mündigkeit, Verantwortungsbewusstsein. Aber ob das reichen wird, da habe ich so meine Zweifel, wenn ich mich im Kiez umschaue: Der Männerfriseur nebenan ist zur informellen Kneipe geworden, der Späti zur Flüsterbar, und am Ufer lagert die Jugend dicht aneinander gedrängt und lässt die Pulle kreisen, als ob nix wäre. Man konnte zwar beobachten, dass am Donnerstagabend bereits deutlich weniger los war – offenbar hatte die Kanzlerinnenansprache unmittelbare Wirkung gezeitigt. Aber ob das von Dauer ist? Es wird schließlich Frühling, und die Hormone schlafen nicht, Corona hin oder her.

„Die Pest“ ist im Buchladen ausverkauft

In Bayern profilierte sich Söder bereits als Staatsmann und hält seine Landsleute durch Zwang vom Biergarten fern. Besser, man stimmt sich schon mal ein auf die Kasernierung. Also noch schnell zum Buchladen, Literatur auf Vorrat besorgen. Jetzt wäre doch ein guter Zeitpunkt, mal „die Pest“ von Camus zu lesen? Die Buchhändlerin lacht: Zu spät, ist schon seit Wochen ausverkauft. Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ sei aber auch sehr schön.

Habe ich noch zu Hause: „Ha! Ihr seid nur zwei? Ich dachte, ihr wäret mehr. Er lacht. Also das ist die Hölle. Ich hätte es nie geglaubt... Wißt ihr noch: Schwefel, Scheiterhaufen, Rost... Was für Albernheiten. Ein Rost ist gar nicht nötig, die Hölle, das sind die anderen.“

Na ja, noch sind wir nicht so weit. Vielleicht könnte man es erst mal mit dem Fragebogen von Max Frisch versuchen, der leicht angestaubt im Bücherregal steht. Frisch ist sowieso für alle Lebenslagen gut, warum nicht auch für diese spezielle? „Beneiden Sie manchmal Tiere, die ohne Hoffnung auszukommen scheinen, z.B. Fische in einem Aquarium?“ Oder auch: „Wieviele Stunden am Tag oder wieviele Tage im Jahr genügt Ihnen die herabgesetzte Hoffnung: daß es wieder Frühling wird, daß die Kopfschmerzen verschwinden, daß etwas nie an den Tag kommt, daß Gäste aufbrechen usw.?“

Vielleicht ist aber auch Max Frisch keine gute Idee: „Wenn der Atem aussetzt und der Arzt es bestätigt: sind Sie sicher, daß man in diesem Augenblick keine Träume mehr hat?“

Besser ins Bad gehen, Hände waschen und bei geöffnetem Fenster in den Corona-Chor der Nachbarn einstimmen. Während die einen „Happy Birthday“ absingen, dichten die anderen einen Seemannsklassiker um: „La Corona, oje! Einmal muss es vorbei sein...“

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Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
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