: „Alles was du kannst, kann ich besser“
ABSCHLUSS DER TAZ-SERIE: DIE SPIELERiNNEN DES JAHRHUNDERTS. FOLGE 10: DIE 90ER-JAHRE – Wenn die 27-jährige Stürmerin Mia Hamm, erfolgreichste Fußballerin der USA, den Ball berührt, hält die Welt den Atem an ■ Von Beate Fechtig
Bei der Ernennung zu Jahrhundert-Fußballern haben alle Juroren immer das Problem mit den Äpfeln und Birnen übersehen: Wer wollte ernsthaft Katsche Schwarzenbeck mit George Best vergleichen, welcher Maßstab hätte für Michel Platini und Pelé gleichermaßen gelten sollen? Und: Alle Juroren waren viel zu früh. Wir haben bei der Wahl der Neunzigerjahre mit Bedacht die letzten Tage des vergangenen Jahrhunderts abgewartet. Vielleicht hätte ja jemand am 31. 12. noch 90 Tore in einem Spiel geschossen oder einer der vielen Kandidaten aus Brasilien (Romário, Ronaldo, Rivaldo) hätte sich noch als gesundheitlich stabil und formsicher erwiesen. Erst jetzt steht fest: Star der Neunziger kann nur eine Starin sein.
Die New York Times neigt in der Regel nicht zu Übertreibungen, aber in diesem Falle machte das Blatt eine Ausnahme. „Sie ist nicht Amerikas beste Fußballerin“, stand dort einmal über Mia Hamm, „sie ist Amerikas bester Fußballer.“
Okay, die 27-jährige Stürmerin hat für die USA 112 Tore geschossen und damit Männlein wie Weiblein übertrumpft. Sie war mit 15 Jahren Amerikas jüngste Nationalspielerin und bei bisher allen Frauenfußball-Weltmeisterschaften mit von der Partie. Aber nicht das allein macht sie zum Star: Mia Hamm erfüllt alle amerikanischen Träume. Sie hat den Killerinstinkt vor dem Tor, ist ansonsten (wie der Amerikaner sagt) „very beautiful“ und vor allem ist sie die geborene Siegerin. Sie war beteiligt am Olympiagewinn der Amerikanerinnen 1996 in Atlanta, wurde mit ihrem Team 1991 Weltmeister und versetzte im Sommer 99 die US-Öffentlichkeit in einen wahren Fußballrausch: Vor der Rekordkulisse von 90.000 ZuschauerInnen schlugen die US-Girls in Los Angeles die starken Chinesinnen im Elfmeterschießen und wurden Weltmeisterinnen. Kein Wunder, dass ein amerikanischer Spielzeughersteller eine „Soccer-Barbie“ auf den Markt warf – kreiert nach Hamms Ebenbild.
Ihre stolze Titelsammlung und die Topwerte auf der amerikanischen Beliebtheitsskala mischt Mia Hamm mit einer sympathischen (und publikumswirksamen) Portion Understatement: „Die Fans im Stadion rufen nur deshalb so oft nach mir, weil Mia so ein kurzer Name ist“, behauptet sie. Ihre Mitspielerin Julie Foudy bringt die Sache etwas besser auf den Punkt: „Die Kids hier haben uns Fußballerinnen schon immer super unterstützt, aber seit Mia dabei ist, gibt es nur noch ein Wort für ihre Begeisterung: Raserei.“
Die acht Millionen Fußballerinnen in Nordamerika verehren Hamm als begnadete Fußballerin, aber vor allem als Symbolfigur für Gleichberechtigung von Frauen im Sport. Natürlich gab es schon vor ihr weibliche Sportstars in den USA – Tennisspielerinnen, Turnerinnen, Eiskunstläuferinnen. Aber Hamm ist die erste Heldin einer körperbetonten Männersportart, ein weibliches Fußballidol. „Das ist großartig“, findet nicht nur die 14-jährige Nachwuchsspielerin Ellen Sherman: „Jetzt können wir Girls mitreden, wir können es ihr nachmachen!“
Die „Mia-Mania“ zahlt sich für Hamm in barer Münze aus: Etwa eine Million Dollar verdient Mrs. Frauenfußball jährlich – vor allem dank Nike. In großen Werbekampagnen hob der Sportartikel-Riese die Vorzeigefußballerin aufs Schild: Zusammen mit Andre Agassi warb sie auf einem Plakat 1996 für die Olympischen Spiele in Atlanta. Und weil sich die bescheidene Mia weigerte, einen Solo-Spot für die WM zu drehen, stellte Nike das halbe US-Team vor die Kamera: „Wir sind Fleisch und Blut. Wir gehören zusammen. In guten und in schlechten Zeiten“, erklärten die Kickerinnen pathetisch im TV. Die sentimental-patriotisch veranlagten AmerikanerInnen waren angetan.
Im normalen Leben ist Mariel Margaret („Mia“) Hamm eine zurückhaltende, fast schüchterne Frau. „Fußball hat mich zu dem gemacht, was ich bin“, meint sie nachdenklich, „mein Talent ist mir als Geschenk in die Wiege gelegt worden. Als Ausgleich wahrscheinlich für mein fehlendes Selbstbewusstsein auf anderen Gebieten.“
Als viertes von sechs Kindern wurde sie 1972 in Selma, Alabama, geboren. Ihre Fußballbegeisterung hat sie von Bill Hamm, ihrem Vater, der als Colonel der amerikanischen Luftwaffe eine Zeitlang im fußballbegeisterten Italien stationiert war. Die wendige Beweglichkeit, die Mia Hamm zu der wohl torgefährlichsten Stürmerin der Welt macht, kommt von der Mama: Stephanie Hamm war Balletttänzerin. Der größte Förderer der ballbegabten Kleinen aber war Bruder Garrett, ein Adoptivkind der Familie von thailändischer Abstammung. „Er war ein großartiger Fußballer“, so Mutter Stephanie, „und Mia machte ihm alles nach. Wenn die Kinder auf der Straße spielten und Teams wählten, holte Garrett sie immer in sein Team. Nur er hat ihr Talent erkannt, die anderen wählten Mia nie, weil sie als Kind so klein war.“
Vor zwei Jahren, im Alter von 28, starb ihr Lieblingsbruder Garrett an einer seltenen Knochenmarkskrankheit. Mia war untröstlich. „Garrett wollte nie über seine Krankheit sprechen – deshalb werde ich jetzt in der Öffentlichkeit darüber reden“, beschloss sie und gründete die „Mia Hamm Foundation“, eine Stiftung zur Unterstützung Knochenmarkskranker. Benefiz-Spiele des US-Nationalteams und viele Spenden brachten 150.000 Dollar ein, die Stiftung konnte erfolgreich Knochenmarkspender vermitteln. „Das“, sagt Mia Hamm, „war das schönste Erlebnis meines Lebens – außerhalb des Fußballplatzes.“
Mia Hamm, studierte Politikwissenschaftlerin, verfolgt mit ihrer Stiftung auch ein politisches Ziel: Sie will gerade jungen Frauen im Sport Möglichkeiten schaffen. „Das ist eine wichtige Verantwortung“, so Hamm, „den Mädchen und Frauen vorzuleben, dass sie alles erreichen können – egal in welcher Sportart.“ Um dieser Botschaft Nachdruck zu verleihen, legt sie sogar den Basketball-Megastar Michael Jordan mit einem gekonnten Judogriff aufs Kreuz, nachdem sie ihn zuvor beim Fußball, Basketball, Laufen und Fechten kaltgestellt hat. Zwar spielt sich diese Szene nur in einem Werbespot ab (Hintergrundmusik: „All you can do, I can do better“), trotzdem hat das ganze Symbolcharakter: Mrs. Frauenfußball ist mindestens genauso gut wie Mr. Basketball. Oder wie US-Nationaltrainer Toni DiCicco es einmal ausdrückte: „Wenn Mia Hamm den Ball berührt, hält die Welt den Atem an. Sie ist der Michael Jordan des Frauenfußballs.“
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