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Alleingang in der Drogenpolitik

■ Wohlfahrtsverbände sind nicht von Jugendsenatorin Stahmer über den Zusammenschluß der Drogenberatungsstellen informiert worden. Träger befürchten, daß sich fachliche Standards verändern

Die großen Wohlfahrtsverbände der Stadt sind in hellem Aufruhr über die Drogenpolitik des Senats. Stein des Anstoßes ist der von Jugendsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) und der Landesdrogenbeauftragten Elfriede Koller vergangene Woche veröffentlichte neue Drogen- und Suchtbericht. Wie berichtet, plant Stahmer eine grundlegende Veränderung des Drogenberatungswesens. Die elf Beratungsstellen, die mehrheitlich den Wohlfahrtsverbänden unterstehen, sollen mit den 18 Beratungsstellen für Alkohol- und Medikamentenmißbrauch zu sieben Suchtzentren gebündelt werden.

Ein Zusammenschluß der großen Wohlfahrtsverbände – Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Caritas- Verband, Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPW), das Deutsche Rote Kreuz und das Diakonische Werk – wird dazu eine gemeinsame Erklärung herausgeben. Hauptkritik ist, daß Ingrid Stahmer das Suchthilfesystem ohne Beteiligung der freien Träger und Verbände und ohne Berücksichtigung fachlicher Standards verändern will. „Wir sind total aufgebracht“, beschreibt die Referentin für Suchthilfe beim DPW, Heike Drees, die Stimmung. Der DPW bekommt als Dachorganisation für freie Träger über 70 Prozent des Landesdrogenetats, der 1997 rund 18 Millionen Mark beträgt.

Ingrid Stahmer und Elfriede Koller hatten mehrfach betont, daß es „über die Reform eine Reihe von Gesprächen“ mit verschiedenen Trägern gegeben habe, und diese „großes Einverständnis“ signalisiert hätten. „Wir wüßten gern, wer das war“, kommentierte Heike Drees und verwies darauf, daß von den Verbänden keiner zu einem Gespräch eingeladen worden sei. Auch den Drogenbericht habe man nicht bekommen. Die Absprache „hinter verschlossenen Türen“ lasse befürchten, daß Projekte, die dem Senat „nicht ins Konzept passen“, hinfällig werden. Auch die Drogenkoordinatoren der Bezirke und die zuständige Abteilung der Gesundheitsverwaltung seien von Stahmer nicht einbezogen worden, stellte Drees fest. Und das, obwohl die Bezirke aufgrund der Verwaltungsreform allein für die Alkohol- und Medikamentensuchtberatung zuständig sind und dafür eine Globalsummenzuweisung für dieses Jahr von 5,7 Millionen Mark erhalten haben. „Offenbar“, so Drees, „braucht die Jugendsenatorin keine Kooperationspartner zur Umsetzung der notwendigen Reformen.“

Auch der DPW hält Reformen für notwendig – z.B. eine bessere Vernetzung der Projekte. Stahmers Suchtbericht sei aber „zu technokratisch und pauschal“. Der Bericht lasse eine Zerschlagung des seit 20 Jahren sehr erfolgreich arbeitenden Hilfesystems befürchten. Nicht umsonst „hat Berlin im Vergleich zu Hamburg und Frankfurt am Main weniger Abhängige von illegalen Drogen“.

Zur Freigabe von Heroin an langjährige Abhängige, wie von Hessen und Hamburg geplant, stehe in Ingrid Stahmers Papier kein Wort. Ebensowenig über das von Schleswig-Holstein geplante Apotheken-Projekt zum Verkauf von Haschisch, Druckräume und die Vergabe von Spritzen im Knast. „Dabei würde es Berlin gut zu Gesicht stehen, eine Vorreiterrolle für eine innovative Drogenpolitik zu übernehmen“, kritisiert Drees den Senat. Plutonia Plarre

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