Alle zu Hause: Das Corona-Fenster
Corona hält mich zu Hause und zwingt mich vor die Glotze. Dort hat mich ein alter Krimi von Alfred Hitchcock auf eine tolle Idee gebracht.
![Museumsleiter Stephan Huck hält 2016 im Deutschen Marinemuseum in Wilhelmshaven ein Fernrohr von Admiral John R. Yellicoe in Händen. Museumsleiter Stephan Huck hält 2016 im Deutschen Marinemuseum in Wilhelmshaven ein Fernrohr von Admiral John R. Yellicoe in Händen.](https://taz.de/picture/4585837/14/80726391_1_-1.jpeg)
Geh bloß nicht raus, Osman! Bleib zu Hause! Gib Covid keine Chance! Bleib gesund“, hämmert mir Frau Merkel mehrmals am Tag eindringlich ins Ohr. Aber den ganzen Tag den Fernseher anzustarren, ist auch nicht das Gesündeste. Man bekommt dadurch vielleicht kein Corona, aber dafür Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Arterienverkalkung, Herzinfarkt, Depression, Übergewicht, Diabetes, Prostata, Hämorrhoiden, alles fürchterliche Krankheiten, die man im Ernstfall liebend gern gegen Corona ohne Symptome tauschen würde.
Dann bringt mich ausgerechnet die Glotze auf eine tolle Idee! Genauer gesagt, ein Film, den ich mir eben angeguckt habe. Noch genauer gesagt, ein Kriminalfilm von Alfred Hitchcock. „Das Fenster zum Hof“.
Sofort bestellte ich mir übers Internet – ich soll ja nicht raus – das beste Fernrohr, dass es auf dem Markt gibt. Laut Hersteller kann ich damit sogar die grünen Männchen auf dem Mars beobachten. Das müsste reichen, um alle unsere Nachbarn im Umkreis von 500 Metern auszuspähen.
Bereits am nächsten Tag baue ich das Monstergerät vor unserem Wohnzimmerfenster auf und hoffe auf einen kleinen nachbarschaftlichen Mord, um mir die Lockdown-Quarantäne spannender zu gestalten.
Hinzu kommt, dass ein kleiner Mord bei den Nachbarn, einem eventuellen Mord bei uns zu Hause womöglich vorbeugen könnte. Nach einem Jahr Corona liegen nämlich die Nerven derart am Boden, dass selbst unser geniales Fernrohr zur Mordwaffe wird.
Eminanim droht mir das schwere Ding auf den Kopf zu hauen, falls sie damit nicht sofort Hümeyranims Küche ausspionieren darf. Sie hätte schon länger den Verdacht, dass Hümeyranims Plätzchen auf keinen Fall selbstgemacht, sondern aufgewärmte Billigware sind. Jetzt endlich hätte sie die nötigen Beweise, diesen großen Schwindel auffliegen zu lassen! „Sie wird sich noch bitter wünschen, dass das Corona sie rechtzeitig weggerafft hätte“, zischt sie.
Mein kommunistischer Sohn Mehmet hat im Bücherregal seines Kumpels Heiko seine vor Jahren verschollenen gesammelten Werke von Karl Marx entdeckt, von dem sein Kumpel seitdem völlig unverschämt behauptet, er hätte sie doch zurückgegeben.
Meine kleine Tochter Hatice tobt die ganze Zeit rum, weil sie gesehen hat, wie ihre Freundin Selma in ihrem Kinderzimmer mit drei anderen Kindern rumtobt. „So eine doofe Zicke! Mir hat sie gesagt, sie darf wegen Corona mit keinem Kind mehr spielen. So eine Lügnerin! Ihre Puppe kriegt sie nicht mehr zurück“, schimpft sie und haut verärgert gegen das Fernrohr.
Ich selber ziehe meinen Pyjama an, lege mich aufs Sofa, köpfe ein Bier und höre im Fernsehen der Kanzlerin zu. Alle anderen Männer im Umkreis von 500 Metern machen nämlich genau dasselbe.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!