■ Algeriens Präsident Bouteflika amnestiert Islamisten: Staatsoberhaupt (fast) aller
Abdelaziz Bouteflika schickt sich an, Algerien aus der Krise zu führen – und genau das hätte wirklich niemand erwartet. Während seiner Kandidatur waren Medien und Opposition Sturm gegen ihn gelaufen: Als verknöcherter Nostalgiker, der das verfahrene algerische Machtgefüge um jeden Preis zementieren will, galt ihnen der Mann, der mit der Unterstützung großer Teile der Armee und des Staatsapparats rechnen konnte. Als die ersten Anzeichen von Wahlbetrug auftauchten, trat die Opposition geschlossen zurück. Bouteflikas Unterstützer – alle großen Massenorganisationen des einstigen Einparteiensystems und die Angehörigen der Terrorismus-Opfer – hatten genau das erwartet.
Und jetzt das: Noch nicht einmal 100 Tage im Amt, enttäuscht Bouteflika alle Erwartungen, sowohl die seiner Gegner, als auch die seiner Anhänger. Er tut genau das, was die Mächtigen jahrelang strikt ablehnten – und sucht die Aussöhnung mit der verbotenen Islamischen Heilsfront und deren Umfeld. Der endgültige Gewaltverzicht der Armee des Islamischen Heils (AIS), dem militärischen Flügel der FIS, vor drei Wochen, wird mit einer Teilamnestie für Tausende von politischen Gefangenen beantwortet. Ein „Gesetz zur nationalen Versöhnung“ soll folgen. Wenn es durch das Parlament ist, kommt Bouteflikas eigentliche Probe: Der Präsident will eine Volksabstimmung ansetzen – wohl wissend, daß er sich mit seiner Politik nicht nur beliebt macht. Allerdings ist ihm auch klar, daß diejenigen, die – auf der einen wie auf der anderen Seite – von der vollständigen militärischen Vernichtung des jeweiligen Gegners träumen, stark zusammengeschrumpft ist. Eine gut erklärte Kampagne, und das Referendum müßte somit leicht zu gewinnen sein. Gelingt Bouteflika dies, wird er schlagartig vom unbeliebtesten Präsidenten Algeriens zum Staatsoberhaupt fast aller.
Eine Gefahr geht von der Amnestiepolitik Bouteflikas indes wohl kaum aus. Die Islamisten sind heute – nach einem siebenjährigen Konflikt mit über 120.000 Toten – nicht mehr in der Lage, den Mächtigen gefährlich zu werden. Der Staats- und Armeeapparat Algeriens hat seine militärische Überlegenheit bewiesen, jetzt kann er sich großzügig zeigen, um so wieder an Legitimität zu gewinnen. Und nur ein ruhiges Algerien kann die wirtschaftlichen – und damit auch die sozialen – Probleme angehen. Und die Wirtschaft kontrollieren noch immer die Generäle, denen der Präsident sein Amt verdankt. Reiner Wandler
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