Album von Avalon Emerson und The Charm: Zwischen Dancefloor und Indiepop
US-DJ Avalon Emerson ruht sich nicht auf den Lorbeeren ihres Erfolgs aus. In ihrem Album „& The Charm“ nimmt sie ironisch Oberflächlichkeit aufs Korn.
„This moment flung you far/Into a future where you are/ Another unreality star“, spottet Avalon Emerson auf ihrem jüngst erschiennen Album über Social-Media-Sternchen. Mit zarter, angesichts ihrer beißenden Songtexte fast ironisch zurückhaltender Stimme singt Emerson über Beziehungen, Intimität und Spiritualität im Zeitalter der Nonstop-Medialität. Richtig: Sie singt.
Denn gerade als die US-amerikanische Elektro-DJ einen Punkt in ihrer Karriere erreicht hatte, an dem sie sich getrost auf ihren Lorbeeren hätte ausruhen können, veröffentlicht sie ein neues Projekt: Avalon Emerson & The Charm, und das Debütalbum klingt eher nach Popmusik.
Zumindest ließe sich dem gleichnamigen Album dieser etwas unscharfe Genrebegriff überstülpen, in Wahrheit klingt Emersons Musik viel zu eigensinnig, um sie einem eindeutigen Stil zuzuordnen. Die 34-jährige Musikerin wuchs in Arizona im Südwesten der USA auf und begann in den Zehner-Jahren auf Warehouse-Partys in der Bay Area aufzulegen. 2014 zog sie nach Berlin und mauserte sich binnen wenigen Jahren zu einer Koryphäe der internationalen elektronischen Musikszene.
In kaum einem Club mit Renommee hat sie noch nicht gespielt, im Berliner Berghain gehört sie zum Stamm der Resident-DJs. 2020 erhielt sie den Ritterschlag, als sie einen Mix für die Reihe „DJ Kicks“ des Labels „Studio!K7“ aufnehmen durfte.
Schillernde Synthesizer-Träumerei
Schon damals bewies Emerson mit ihrer Coverversion von „Long Forgotten-Fairytale“ der The Magnetic Fields, dass sie nicht nur auflegen, sondern auch singen kann. Nun wurden Magnetic Fields mit ihrem Synthesizer-Nerdtum zum stilistischen Vorbild ihres Debütalbums. Ebenso führte Avalon Emerson die Musik von Arthur Russell als Inspiration an, dessen experimentierfreudiger Sound zwischen zeitgenössischer Avantgarde und Dancefloor seiner Zeit weit voraus war und stilbildend für den elektronischen Dancefloor wurde.
Mit elektronischer Clubmusik hat das Werk von Emerson & the Charm wenig zu tun. Lieber wollte die 34-jährige US-Amerikanerin mit ihrem neuen Projekt etwas schaffen, „dessen Vergnügen länger anhält als ein oder zwei Drehungen auf der Tanzfläche“, lässt sie sich in der Pressemitteilung zum Album zitieren. Dafür tat sie sich erstmals mit Künstlerkolleg:Innen wie etwa dem britischen Avant-Popproduzenten Bullion (Nathan Jenkins) zusammen, der das Album auch produzierte.
Bullion hat Emersons Stimme zum Signalinstrument gemacht, sie trägt alle Songs, begleitet von verspielten, treibenden Melodien, durch eine schillernde Synthesizer-Träumerei: So entsteht Dreampop, wie er im Buche steht, und doch durch die Songtexte und Singstimme von Emerson sehr eigensinnig wirkt.
In den Texten navigiert sich die Künstlerin durch komplizierte Beziehungen („Sandrail Silhouette“) und macht sich im „Karaoke Song“ über belanglosen Smalltalk lustig: „What are you reading /How is your mom/ Where did the time go/I don't want to know/Not wondering what I don't know“. Dabei bleibt ihr Sound, selbst wenn die Texte zynisch oder düster, fast dystopisch werden, stets hoffnungsvoll und warm.
Avalon Emerson & The Charm: „& The Charm“ (Another Dove)live: 17. Mai Berghain Kantine, Berlin
Mitunter meint man gar die karge Wüstenlandschaft Arizonas aus den Texten herauszuhören, in der Emerson aufgewachsen ist. Auch wenn in der zweiten Hälfte der Tracks auf dem Album mehr elektronische Elemente auftauchen, bleibt die Stimmung der Musik sanft, fast ein wenig benebelt.
Dem Album gelingt damit die schwierige Balance der Popmusik: Sie ist eingängig, ohne beliebig zu sein. Mit Avalon Emerson & The Charm hat sie etwas gänzlich Neues geschaffen, das dennoch unweigerlich vertraut, fast tröstlich wirkt. Auf ihrer anstehenden Tour wird sie live mit ihrer Frau Hunter Lombard und ihrem langjährigen Freund Keivon Hobeheidar auftreten. Eine feste Besetzung soll „The Charm“ jedoch nicht haben. Vielmehr ist eine fortlaufende, sich ständig verändernde Zusammenarbeit geplant.
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