Albert Serras Stück an der Volksbühne: Lustlos die Libertinage zitiert
An der Berliner Volksbühne inszenierte der spanische Regisseur Albert Serra sein Stück „Liberté“. Darin wird viel von Lust geredet. Das war’s dann auch.
Das schien das Schmuckstück im Programm der Berliner Volksbühne, der eine geheimnisvolle Solitär, der mit funkelnden Bildern zeigen sollte, wie man Theater heute auch machen kann: sinnlich, aufgeladen mit Gefühlen, deren Kultivierung ein Geschäft der Vergangenheit war. So ungefähr waren meine Erwartungen an „Liberté“, einer Bühneninszenierung des spanischen Filmregisseurs Albert Serra, der ein großes Gespür für Farben, Stoffe, Kostüme, Körper und Gesichter hat. Zuletzt 2016 zu sehen in seinem Film „Der Tod von Ludwig XIV“, mit Jean-Pierre Léaud als sterbendem König.
Was sollte schiefgehen, wenn dieser Künstler, der sich als Kenner für die Geschichte des Sinnlichen schon bewiesen hat, ein Stück über die Libertinage und ihr Verhältnis zum Freiheitssuchen in der Französischen Revolution machen will? Zumal wenn er dafür Schauspieler nach Berlin holt, die man durch ihre Geschichte selbst fast als Institutionen auf diesem Gebiet sieht, wie Helmut Berger und Ingrid Caven.
Dass das Mist geworden ist, ist nach dieser Einleitung schon zu ahnen. Und ganz kleinlich, und doch auch peinlich für so ein großes Haus, muss man sich erst mal über handwerkliche Mängel beschweren. Als Kritikerin mit einer Karte in der vordersten Reihe ausgestattet, waren die leisen Worte noch zu hören, aber Zuschauer weiter hinten riefen „lauter“, weil sie nichts verstehen konnten. Und dass bei einer Inszenierung, die sich aus der Sprache entfalten wollte: „Mir schwebte vor, mit nichts als Text zu arbeiten, mit Worten, fast im Flüsterton; äußerst reduzierten Bewegungen und ausdrucksstarken, konzeptionellen Aktionen“, beschreibt Serra sein ästhetisches Konzept auf dem Programmzettel. Obwohl er so etwas im Film kann, ist es ihm auf der Bühne misslungen.
Der Text, von Serra geschrieben, funktioniert nicht. Französische Adlige treten auf, geflohen vor der Langeweile und der Erstickung der Galanterie am Hof Ludwig XV. in Versailles, und sie stranden auf einer Wiese mit Teich zwischen Potsdam und Berlin. Unter ihnen ist die Duchesse de Valselay (Ingrid Caven), die den Plan hat, die Libertinage nach Preußen zu bringen, unterstützt von der Comtesse de Weinsbach (Anne Tismer). Eine Äbtissin (Jeanette Spassova) und ihre Novizinnen sollen für die Schule der Verführung gewonnen werden, aber das Projekt stockt und kommt kaum von der Stelle.
Warten, nichts als Warten
Nun lässt sich mit viel Fantasie zwar ein spannender Gegensatz imaginieren: wie auf der einen Seite aus dem stets verschleierten Reden über Sexualität eine Energie des Begehrens, die gesellschaftliche Ordnungen missachtet, mobilisiert wird, die auf der anderen Seite aber kein Ziel findet, sondern in den preußischen Sümpfen stecken bleibt. Warten, nichts als Warten, eine Situation, wie bei Beckett. Allein, der Text mobilisierte nichts. Er wirkte wie ein Aufguss der Vokabeln der Libertinage, als hätte man Sätze von Marquis de Sade zerschnitten, geschüttelt und neu verteilt. Glaubhaft mit den Sprechenden verbunden hat sich das nicht, so gerne man Ingrid Caven, Anne Tismer, Jeanette Spassova das auch abgekauft hätte. Und so brachte das Stück auch nichts von dem Aufbegehren, der zerstörerischen Potenz der Lust zurück, von der die historischen Quellen zeugen, aus denen das Drama schöpfen wollte.
Was sich sonst noch erzählen lässt, reicht auch nicht als Trost: Das Bühnenbild von Sebastian Vogler war schön anzusehen, eine idyllisch gemalte und gebaute Landschaft wie nach einem Rokokobild, stets in Dämmerlicht getaucht. (Endlich hatten die Werkstätten mal was zu tun, ein Gedanke am Rande.) Die Inszenierungsfotos sind auch schön, fangen das Licht aus den Sänften ein, in denen die Protagonisten hin und her getragen wurden. Dass gerade die, die am meisten von der Erregung und Befriedigung der Lust reden und ihren Körper zum Maß aller Dinge machen, sich selbst am wenigsten bewegen, sondern bewegen lassen, war ein hübscher Gag, aber auch nicht abendfüllend. Und Helmut Berger, der als Duc de Walchen in seiner Sänfte am Bühnenrand abgestellt ist und den abgeklärten Beobachter (mit Fernrohr) gibt, hat eine sehr überzeugende Sterbeszene. Dann ist das Stück aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr