Alain Rappsilber im Interview: „Ruß kann man abwaschen“
Der schwule Schornsteinfeger über Männerbilder, Outings, Anfeindungen und die Notwendigkeit von politischem Engagement.
Wir sind im Hinterhof eines Hauses in der Urbanstraße verabredet, dort hat er seinen Schornsteinfegerfachbetrieb; der Ton gegenüber seinen Mitarbeitern ist herzlich und robust. Gerade kommt er von einer Massage. Die Arbeit über den Dächern und in Kellern geht auch an ihm nicht körperspannungsfrei vorbei.
taz: Herr Rappsilber, am heutigen Samstag feiert Ihre Innung ihr „Hoffest“ im Innungshaus an der Westfälischen Straße. Sind Sie der berühmteste Schornsteinfeger der Stadt?
Alain Rappsilber: Nein, um Gottes willen, warum?
Der Mann Geboren am 10. März 1973 in Berlin, aufgewachsen in Britz, dem südlichen Teil Neuköllns. In Kreuzberg hat er einen eigenen Schornsteinfegermeisterfachbetrieb, er ist bevollmächtigter Bezirksschornsteinfeger in Kreuzberg (http://kiezkehrer.de/) und in seiner Innung ehrenamtlich tätig.
Das Engagement In der LGBTI*-Community zählt er zu den stärksten eher stillen Unterstützern; er hat zu Zeiten der Loveparade diverse Lkws organisatorisch an den Start gebracht und ist Mitorganisator und Anmelder des Fetischfestivals Folsom Europe in Berlin (http://folsomeurope.info/). Hält sich, nach eigener Aussage, „fern vom Politzirkus und von Kungelrunden“. Mit seinem im TV-Medienbetrieb arbeitenden Zwillingsbruder ist er außerdem in der Berichterstattung von CSDs – wie voriges Jahr auch dem in Berlin – engagiert.
Der Ruhm 2012 war er Teil der Rosa-von-Praunheim-Doku „Rosas Welt – Teil 1“. Als Auszeichnung erhielt er vor einigen Jahren die Berliner Lebensrettungsmedaille, weil er während eines Brandeinsatzes eine bereits bewusstlose Mieterin aus den Flammen im obersten Stockwerks eines Hauses gerettet hatte. Rappsilber ist seit 19 Jahren mit demselben Mann liiert, er lebt in Rudow. (jaf)
Sie sind als schwuler Schornsteinfeger bekannt, Sie haben mit dafür gesorgt, dass das Haus Ihrer Innung während der CSD-Saison die Regenbogenflaggte hisst.
Ich freu mich auf den Samstag, wenn die Freisprechungen stattfinden. Meister und Meisterinnen, Gesellinnen und Gesellen werden beglückwünscht … das ist für uns ein großer Tag. Dass Frauen dabei sein werden, ist übrigens in unserem Handwerk nichts Außergewöhnliches, Anfang der siebziger Jahre hatten wir die erste Frau, die freigesprochen wurde, viel früher als Frauen in anderen Handwerkssparten.
Sie wollten schon immer Schornsteinfeger werden?
Nee, das stand nun echt nicht auf meinem Zettel. Als die Schule zu Ende ging, hätten es viele Berufe für mich sein können. Ich hatte Handball gespielt, machte Geräteturnen, war einfach im Sport gut und dachte, die Polizei wäre was für mich. Oder Automechaniker. Meine Tante, die arbeitete in der Bauaufsicht der Stadt, log mich dann an und sagte: Nee, Schornsteinfeger wirste, da bist du früh zu Hause, hast wenig zu tun und verdienst ordentliches Geld. Ein Satz, drei Lügen: Damals haben wir noch samstags gearbeitet, außerdem war kein Feierabend früh …
… und viel Geld?
Gab es auch nicht. Ich war zwar immer auf Kreuzberger Dächern, und da hatten wir, dank der vielen Kohleheizungen, echt viel zu tun – aber das Geld floss wirklich nicht in Strömen. Es war trotzdem eine sehr gute Berufswahl für mich. In den Neunzigern, am Kottbusser Tor, das war ’ne andere Welt, dörflicher, friedlicher und ruhiger.
In welcher Hinsicht?
Kreuzberg, wo ich auch später lebte, ehe wir rausgentrifiziert wurden, war damals wie ein verlorenes Viertel. Es sollte ja, so war die Planung, komplett autogerecht saniert werden, die Skalitzer Straße als Autobahn mitten in der Stadt. Kohleheizungen gab es noch und noch, weil sich die Umstellung auf sauberere Heizformen nicht mehr lohnte – man dachte ja, das wird sowieso alles abgerissen. Das hat sich geändert – und Kreuzberg ist einfach ein wunderbares, wenn auch sehr teures Viertel geworden.
Hat es Sie nicht gestört, als Schornsteinfeger unentwegt in Ruß zu arbeiten, dauernd schmutzig zu sein?
Na mit Schmutz haben wir Schornsteinfeger nichts am Zylinder, nur mit Ruß. Und den kann man abwaschen, das ist gar nicht so schwer. Meine Oma sagte mir damals, Melkfett oder Vaseline helfen. Vorher einschmieren – so wie Schauspieler vor der Aufführung in die Maske gehen, hatten wir als Schornsteinfeger auch eine zweite Haut: eine sehr fettige. Abends hat man sich dann quasi abgeschminkt. Melkfett auf der Haut zu haben war im Winter beim Fegen auch die beste Wärmedämmung. Ich hab nie gefroren. Aber heute ist das ja alles nicht mehr so. Wenn ich überlege, was ich früher an Ruß nach draußen geschleppt habe.
Ein schwuler Schornsteinfeger – ist das nicht gegen das Klischee: Schwule Männer arbeiten eher im Frisörhandwerk, oder?
Das ist nur der oberflächliche Blick, ich kenne viele schwule Handwerker, auch Schornsteinfeger, aber die zeigen sich nicht, sie wollen in ihren Berufen nicht als schwule Männer auffallen. Vor allem wegen der Kollegen, mit denen sie zusammenarbeiten – die Sprüche wollen sie nicht aushalten. Aber auch bei Tischlern, Glasern, bei den Elektrikern gibt es nicht nur heterosexuelle Handwerker.
Und bei Frauen?
Tischlerinnen kenne ich, die auch Lesben sind, sie sind in allen Handwerksberufen. Aber auch hier gilt: Sie leben ihr Lesbischsein privat und zeigen sich nicht öffentlich. Auf’m Bau, klar, gibt’s auch schwule Männer, aber ehrlich gesagt, da arbeiten normalerweise sehr, sehr viele Männer aus Osteuropa, und bei denen ist mit Schwulem kein Blumenpott zu gewinnen, auf’m Bau ist die Atmosphäre extrem homophob.
Und wie kamen Sie zu Ihrem Outing?
Wowereit hat es vorgelebt, warum, dachte ich, nicht auch ich? Der Regierende Bürgermeister hat ja 2001 bei seiner Kandidatur für sein Amt gesagt: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so.“ Das fand ich enorm beeindruckend und dachte, das kann ich auch.
Dürfen wir annehmen, dass das in Ihrer Innung nicht jeder begrüßt hat?
2012, als ich zum Bezirksschornsteinfeger bestellt wurde, da wurde mir von Kollegen so nebenbei zugeraunt, man hätte mich vergasen sollen. So what? Das habe ich einfach mal ignoriert. Danach gab’s noch ein Stürmchen im Wasserglas, als ich mit dafür sorgte, dass meine Innung eine Regenbogenfahne zum CSD hisst. Das war nicht zur Freude all meiner Kollegen. Vergangene Zeiten, die sind vorbei. Wir als Handwerksorganisation unterstützen den CSD auch finanziell tüchtig, das schafft kein anderes Handwerk. Die Handwerkskammer weigert sich ja nach wie vor, die Pride-Flagge während der CSD-Tage öffentlich zu zeigen. Ich hoffe, die neue Handwerkspräsidentin Carola Zarth wird da mal einen anderen Weg gehen.
Wie war Ihr Coming-out?
Ich hatte ein sehr spätes Coming-out, erst so mit Mitte zwanzig. Man hat zwar auf Männer geguckt, auch mal was mit Frauen probiert, das hat mir aber keinen Spaß gemacht. Wir waren mal mit so einer lustigen Männerrunde in Köln im Puff, und ich wurde tatsächlich von meinen Kumpels da zu einer reingeschickt …
… die typische heterosexuelle Männerselbstvergewisserungssituation.
Die Frau, zu der sie mich schickten, die merkte aber gleich, was mit mir los ist. Wir redeten noch ein bisschen miteinander, dann gingen wir raus, dann sagte sie vor allen anderen: Das war der beste Fick, den ich in 20 Jahren hatte – und gab mit das Geld zurück mit den Worten: Ich bezahl dafür auch!
Hässliche Männerwelt, oder?
Ich wollte in der Gruppe nicht auffallen als Außenseiter, aber ich merkte, dass ich bei bestimmten Themen nicht so mitreden konnte – und auch nicht wollte. Mein Steckenpferd war eher so moderne Technik, Fotografie, aber andererseits wollte ich da gruppendynamisch auch nicht so aus der Reihe fallen. Man hat gelernt, sich zu verstellen, deshalb war das für mich eine gute Situation, ich stand einigermaßen gut da. Man hat es damals so gelernt, um nicht anzuecken, und im Handwerk sowieso, bestimmte Sachen nie öffentlich gemacht, denn man hat ja mit vielen Kunden zu tun.
Wie hat kurz darauf Ihre Familie Ihr Outing aufgenommen?
Mein Zwillingsbruder ist ebenfalls schwul. Er ist früh nach München gegangen, hat viel mit Medien gemacht. Ich war eher das Nesthäkchen. Und ich habe viel Sport gemacht. Mein älterer Bruder ist Elektriker, er ist verheiratet und hat zwei Kinder. In meiner Familie ist alles in Ordnung. Meine Mutti braucht sich wirklich überhaupt keine Sorgen mehr zu machen.
Hatte Sie sich Sorgen gemacht?
Ach, anfangs dachte sie, sie hätte irgendetwas falsch gemacht bei mir und meinem Bruder, aber den Zahn haben wir ihr ganz schnell gezogen: Alles richtig gemacht, alles schön, alles schick. Heute ist es so: Wer mich nicht akzeptiert, den lasse ich stehen, da bin ich ganz schmerzfrei.
Sie veranstalten das Leder- und Fetischfestival Folsom Europe mit, das Mitte September in Berlin stattfindet. Warum?
Ich hatte Anfang der nuller Jahre für viele Magazine geschrieben, als Amateur, habe vor allem Fotos gemacht. Dann fragte mich ein Bekannter, ob ich ihm bei diesem Projekt helfen könnte. Das war Folsom. Und ich dachte, klar, die kämpfen um öffentliche Sichtbarkeit, um Anerkennung, denen geht es wie mir – da helfe ich.
Was ist das eigentlich genau für ein Fest, was passiert da denn so?
Da geht hetero- und homosexuell zusammen, Männer, klar, aber auch viele Frauen. Wir waren die ersten Eventveranstalter, die eine Frauenbeauftragte hatten. Das Event kommt aus den USA, und dort ist es viel mehr als die Feier von sexuellen Reizen und Vorlieben, sondern eine der größten Spendenorganisationen des Landes. Dort fing es in den Achtzigern an – geholfen wurde mit dem gesammelten Geld vor allem den Aidsinitiativen …
… die in den USA der Ronald-Reagan-Ära staatlich so gut wie keinen Support hatten.
Alles an Geld musste durch die Community gesammelt werden, sonst hätte es diese Bewegung nicht gegeben. Und Folsom zählt zu den größten Spendensammlern. Mich fragte dann Jürgen Rentzel von Box, einer Leder/Fetisch-Zeitschrift, mit dem ich schon für schwule Medien zusammengearbeitet hatte, ob ich mithelfen könnte. Ja, das wollte ich – mit meinen Erfahrungen, die ich bei den Loveparades gesammelt hatte und bei anderen Events.
Klaus Wowereit hat ja durch die bürgerliche Presse, etwa durch den damaligen Tagesspiegel-Redakteur Bernd Ulrich, viel Ärger bekommen, weil er ein Grußwort für ein Folsom-Programmheft schrieb – er habe durch diese Zeilen dem Ruf Berlins geschadet.
Das war reine Politik, man versuchte, dem offen schwulen Klaus Wowereit zu schaden, dabei war es sein Job, als oberster Repräsentant der Stadt international zu werben. Berlin war im Arsch damals, wirtschaftlich, vom Selbstbewusstsein her – und Folsom war eine gute Idee, Berlin in aller Welt bekannter zu machen. Wowereit hatte ja auch schon den Letter of intent an die amerikanischen Lizenzverwalter geschrieben, dass Berlin dieses Event ausrichten will. Berlin – tolerant, divers und weltoffen, das war die Botschaft.
Und wie sehen Sie es heute?
Wenn man wie ich beruflich schon mehr als 40.000 Wohnungen gesehen hat und sich manchmal dachte, das hätte Gott auch wirklich verhindern können, dass ich das auch noch sehe, dann war die ganze Aufregung um Wowereits Grußwort für das Folsom-Magazin lächerlich. Am Ende hat diese verkniffene Kritik an dem Regierenden Bürgermeister seinen Kritikern ja nichts genützt – mit Folsom kamen Abertausende nach Berlin, aus aller Welt und machten aus dem Wochenende das umsatzstärkste des ganzen Jahres. Allein aus Nordamerika kamen zehn- bis fünfzehntausend Leute.
Berlin war in der Tat international zu seinem perfekten Ruf gekommen: „Arm, aber sexy“, oder?
Wir hatten zur Kritik an Wowereit und Folsom überhaupt 4.000 Presseartikel, Berichte der BBC und von CNN. Nichts von den schlüpfrigen Anwürfen stimmt, so von wegen Sodom & Gomorrha: Es gab keine Verletzten, keine Prügeleien, nix davon. Prada- und Gucchi-Tüten trugen die Leute aus den Läden, an den Folsom-Tagen wird ordentlich Geld umgesetzt. Andererseits ist Folsom nichts, was den Rahmen sprengt – es ist wie beim Oktoberfest, wo sich niemand drüber aufregt, wenn da Trachten, Lederhosen und Dirndl getragen werden.
Was unterscheidet die Leder- und Fetischszene von den konventionellen queeren Szenen?
Es ist mehr Geld im Umlauf, aber das ist auch logisch, denn Folsom wird von vielen älteren Männern und Frauen besucht, die haben ja mehr Kohle als jüngere. Ich würde sagen, es gibt vielleicht mehr Zusammenhalt in der Fetischszene. Jedenfalls hat Folsom eine reiche, geschwisterliche Geschichte.
Inwiefern?
Folsom ist auch eine Geschichte, die von Benefiz handelt. Ein Event der Ledervereine und ihrer Sozialbeauftragten. Ledervereine waren auch immer Sozialvereine, das war schon in den sechziger Jahren so, als man sich half, wenn es im Alter nicht so lief. Die Aidshilfen entstanden aus den Leder- und Fetischvereinen. In den USA kommen zu diesem Event drei- bis vierhunderttausend Leute zusammen. Da reichen keine Spendenbüchsen, da braucht es Spendentonnen.
Folsom in den USA scheint eine Art Volksfest zu sein.
Und, gemessen an Berlin, wirklich Sodom & Gomorrha, so prüde, wie es sonst in Amerika zugeht. Bei uns ist es eher gemütlich, ein gibt ein paar Räumchen, draußen Bierbände, sexy Kerlchen und Frauen in der Fugger- und Welserstraße. So unterstützen wir die Aidspräventionsarbeit, inzwischen vor allem für osteuropäische Projekte. Aids wird dort meist totgeschwiegen, HIV-Infizierte haben es dort bitter, da darf unsere Solidarität keine Worthülse bleiben.
Längst nicht mehr ist Klaus Wowereit Regierender Bürgermeister, sondern Michael Müller. Haben Sie von dem ein Grußwort erhalten?
Im vorigen Jahr haben wir angefragt, aber man druckste rum – dass das schwierig sei –, ohne uns Näheres mitzuteilen. Wir haben dieses Jahr nicht wieder gefragt, die Leute kommen auch so.
Was, Alain Rappsilber, treibt Sie an?
Ich weiß nicht – aber so viel ist sicher: Ich bin ein glücklicher Schornsteinfeger, der schwul ist. Was immer das auch für andere bedeutet, das ist mir egal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“