Al Gore in Berlin: Glaube, Liebe, Klima
Erderwärmung ist eine spirituelle Angelegenheit, sagt Al Gore. In einer exklusiven Zeltmission bekehrt er Klimasünder. So rettet er die Welt - und ein paar Seelen.
BERLIN taz Plötzlich war er da. Gerade hatte man sich noch an Rotwein und dem fliegenden Buffet gefreut und nett mit den Tischnachbarn geplaudert. Doch dann ein Raunen und ein an anschwellender Applaus. Zwischen den VIP-Tischen vor der Bühne stehen die Menschen auf. Irgendwo da muss er sein, zwischen Otto Schily, Jürgen Trittin und den Managern des Energiekonzerns EnBW. Und tatsächlich, dort steht er: Der frischgekürte Friedensnobelpreisträger Al Gore, der Kämpfer gegen den Klimawandel, der Verkünder einer carbonfreien Zukunft.
Es ist ein bisschen wie bei einer Zeltmission von besonders frommen Christen - nur exklusiver. Ins Tipi am Kanzleramt kamen nur geladene Gäste, um bei Kalbsmedaillons und gutem Rotwein Al Gores Botschaft zu hören. Von dem Dutzend Abgesandten der sogenannten Bürgerrechtsbewegung Solidarität vor dem Eingang lässt sich zum Glück niemand verwirren. "Climate Change is a lie, smells like Nazi-Genocide" singen sie in lieblich klingenden Chorälen. Und sie fordern, Gore an den Eisbären Knut zu verfüttern. Hat man da noch Worte?
Es ist ja nicht so, dass es keine kritischen Fragen an Al Gore und seinen Auftritt hier zu stellen gibt. Angeblich soll EnBW 180.000 Euro dafür bezahlen. Ist der Klimawandel tatsächlich ein so exklusives Thema? Soll hier ein prominenter Fürsprecher für die CO2-arme Atomenergie gekauft werden? Schließlich kämpft EnBW derzeit darum, einen Reaktor in Neckarwestheim länger laufen zu lassen, als im Atomkonsens vereinbart. Und was soll das Verbot, über den Vortrag zu schreiben? Hat Gore nicht extra einen Film gemacht, um möglichst viele Menschen vor schmelzenden Gletschern und steigendem Meeresspiegel zu warnen? Sind ihm Urheberrechte und Tantiemen am Ende doch wichtiger als die Rettung der Welt?
Nein, sind sie nicht. Alle Einnahmen aus diesem Abend gehen zu 100 Prozent an eine Stiftung zugunsten des Klimaschutzes. Na also. Und ein flammendes Plädoyer für Atomkraft gibt der 45. Vizepräsident der USA auch nicht ab. Da müssten noch Probleme gelöst werden. Überhaupt würden sich die Menschen in Zukunft ihre Energie aus vielen dezentralen Kraftwerken holen. Der Energiesektor werde der Computerbranche folgen. Dort hätten kleine vernetzte PCs die riesigen Rechenzentralen abgelöst. "Das ist schwer für sie", warf er den EnBW-Managern ins Gesicht. Der Mann hat offenbar Spaß an unbequemen Wahrheiten.
Und dass die Medien nicht über seinen Vortrag berichten dürfen, ist dann am Ende auch nicht tragisch. Zum einen gibt es das Ganze ja auch auf DVD. Und zum anderen fällt das Eingangsstatement, das auch mit Kameras und Mikrofonen aufgezeichnet werden darf, dann viel länger aus als geplant. Und schon hier fällt immer wieder die entscheidende Formulierung des Abends: "I believe - Ich glaube". Denn der Kampf gegen den Klimawandel sei "keine politische oder ideologische Angelegenheit", sondern eine "moralische, ethische und spirituelle".
Damit ist klar, worum es hier geht. Hier wird nicht nur die Welt, sondern auch die Seelen der Zuhörer werden gerettet. All jener, die die großen Limousinen des Shuttle-Service genutzt haben, um hierher zu kommen. All jener, die neue Kohlekraftwerke planen. All jener, die noch zweifeln oder in Klimasünde leben alle fragt Al Gore, was sie ihren Kindern und Enkelkindern sagen werden, wenn sie einmal fragen, was habt ihr getan? Was sagen wir ihnen? Und was sagen wir den Pinguinen und Eisbären, die sich auf schmelzenden Eisschollen zusammenkauern? Den Klimaflüchtlingen? Den Kröten, die aussterben? Den Überschwemmungsopfern? Den Hitzetoten? Wir haben gesündigt und müssen Buße tun und unser Leben ändern was sonst soll man sagen, nach einer Predigt im Missionszelt.
Und es gibt ja einen Ausweg. Wie er denn auch beim zweitausendsten Vortrag dieser Art so enthusiastisch sein kann, wird Al Gore am Ende gefragt. Er glaube an das, was er sagt, mit seinem ganzen Herzen, lautet die Antwort. "And I want you to believe in it, with all your heart." Kein Raum für Zweifel an wissenschaftlicher Genauigkeit, keine Fragen nach Tantiemen. Jeder im Zelt glaubt an und preist Al Gore mit Standing Ovations. Voller Begeisterung will man noch nach der Veranstaltung ein wenig näher an den Mann herankommen. Ein wenig Glanz für den bevorstehenden Kampf draußen in der Welt erhaschen. Doch dann ist er weg, so plötzlich wie er gekommen war. Doch er wird wiederkommen vielleicht schon im nächsten Jahr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen