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Aktuelle Lage in der UkraineRätselhafte Luftangriffe

Ukrai­ne­r können auf ihrem Handy live verfolgen, wo welche Raketen im Land abgeschossen werden. Ein Bericht aus dem Luftschutzbunker.

Trost im Luftschutzkeller: Eine Mutter mit ihren zwei Kindern während eines Raketenalarms in Kyjiw Foto: Valentyn Ogirenko/reuters

Luzk taz | Für die Ukrainer im Osten und Süden des Landes gehören russische Raketenangriffe längst zum Alltag. Anders im Westen: hier sind die Menschen bei jedem Angriff noch sehr beunruhigt. Beim letzten Raketenangriff eilten deshalb viele Menschen dort so schnell wie möglich in die Schutzräume.

Auch der Keller meines Hauses in Luzk war am 26. Juli voller als gewöhnlich. Und das, obwohl die russischen Angriffe mit dutzenden Raketen diesmal mitten am Tag stattfanden und nicht wie sonst üblich in der Nacht. Die Kinder spielten auf dem Zementfußboden, während die Erwachsenen die Raketenbewegungen auf ihren Handys verfolgten. Vor einigen Wochen hatten die Befehlshaber der ukrainischen Luftstreitkräfte erneut damit begonnen, die Bevölkerung detailliert über die Luftangriffe zu informieren. Die Militärs melden jetzt online, welche Raketen welchen Typs abgeschossen werden und auf welche Ziele im Land sie ausgerichtet sind.

Im Luftschutzkeller telefonieren einige mit ihren Angehörigen, die das Ende des aktuellen Angriffs in der Kyjiwer Metro abwarten, andere bitten ihre betagten Eltern, einen Schutzraum in Lwiw aufzusuchen. Für kurze Zeit verstummen die Gespräche, weil von draußen Donnergeräusche kommen: Kampfflugzeuge, die vom nur wenige Kilometer entfernten Militärflugplatz Luzk starten. Dann sagt einer: „Entweder sind sie losgeflogen, um russische Raketen abzufangen. Oder sie werden zum Schutz vor russischen Angriffen in Sicherheit gebracht.“ Die Luftabwehr hat derweil schon die ersten russischen Raketen im Luftraum über der Ukraine zerstört.

Dieses Mal haben die Russen sie aus einer Region am Kaspischen Meer abgefeuert. Es waren Marschflugkörper russischer Produktion vom Typ Ch-101/Ch-555. Die Ukrainer verzeichneten insgesamt 36 Raketenabschüsse von acht strategischen Tu-95-Langstreckenbombern.

Häfen und Militärflugplätze sind Hauptziele

Die Russen haben sich zudem ein Rätsel ausgedacht: Die Raketen wurden aus südöstlicher Richtung in den Luftraum der Ukraine geschossen, sie flogen dann in Richtung Westen, änderten aber dauernd die Flugrichtung. Die ukrainische Armee hat ihre gesamte Luftabwehr deshalb in Alarmbereitschaft versetzt: Flugabwehrraketeneinheiten, mobile Einsatztruppen, Kampfflugzeuge.

Ein Vertreter der Luftwaffe, Juri Ignat, erzählte, dass ein Teil der Raketen auf die westukrainischen Bezirke Riwne, Wolyn, Schytomyr und Ternopil zuflog, in den Luftraum über dem Bezirk Lwiw eindrang, dann aber eine 180-Grad-Wendung machte und von den Russen in die Region Chmelnyzkyj gelenkt wurde, in das Gebiet der Stadt Starokostjantyniw. Dort befindet sich einer der größten Militärflugplätze des Landes, von dem aus ukrainische Angriffsflugzeuge losfliegen, die Raketen aus westlicher Produktion abschießen können.

Diesen Angriff konnten die Ukrainer abwehren und drei Marschflugkörper vom Typ „Kalibr“ und 33 vom Typ Ch-101/Ch-555 zerstören. Aber damit war der Luftalarm an diesem Tag noch lange nicht vorbei. In der Nacht zum Donnerstag feuerten die Russen zwei „Kalibr“-Marschflugkörper sowie acht iranische Kamikaze-Drohnen von einem Schiff auf dem Schwarzen Meer. Alle Drohnen konnten abgefangen werden, die Kalibr-Raketen aber zerstörten einen Teil der Hafen-Infrastruktur im Bezirk Odessa. Die Häfen im Süden der Ukraine sowie die Militärflugplätze sind derzeit Hauptziel russischer Angriffe.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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