piwik no script img

Aktivistin über Roma in Deutschland„Sie sind sowieso schon hier“

Zwischen Roma und der Mehrheitsbevölkerung muss sich etwas ändern, sagt die Rumänin Flavia Constantin. Der Schlüssel liege bei den Frauen.

„Ich empfand kein Mitleid mit diesen Menschen“, sagt Flavia Constantin über die Roma in Berlin-Neukölln. Bild: David Oliveira

Roma, die an einer Straßenecke stehen und Autoscheiben putzen – eigentlich war ich auf eine solche Szene vorbereitet. Egal ob in Bukarest, Paris oder irgendeiner anderen europäischen Metropole: Überall siehst du im Straßenbild Roma, die Autos waschen, betteln oder mit trashigen Bands durch die Straßen ziehen. Warum dann nicht auch in Berlin-Neukölln?

Trotzdem warf es mich für einen Moment aus der Bahn. Ich empfand kein Mitleid mit diesen Menschen. Am liebsten hätte ich ihnen zugerufen: Was tut ihr hier? Wieso nehmt ihr dieses Leben einfach hin? Kämpft für eure Rechte, tut endlich was! Ja klar, ich weiß, teach and preach. Natürlich bringt es nichts, diesen Menschen zu sagen, was sie tun oder lassen sollen. Wenn sich wirklich etwas verändern soll an der Situation der Roma, dann müssen diese Menschen den Wandel selbst gestalten.

Aber es muss jetzt etwas passieren, wir brauchen eine Veränderung. Wir Roma müssen zeigen, dass wir unseren Platz in der Gesellschaft haben wollen, dass wir dazugehören. Aber auch die Mehrheitsgesellschaft muss einen Schritt auf uns zu tun.

Flavia Constantin

ist 26 Jahre alt und hat in ihrer Heimatstadt Bukarest Anthropologie und Politologie studiert. Sie arbeitet für das rumänische Parlament in der Abteilung für Menschenrechte und nationale Minderheiten.

Das Buvero-Journalismustraining wird organisiert vom Roma-Center Göttingen und der Organisation Romedia, die sich für die Stärkung der Roma in Deutschland und in ihren Herkunftsländern einsetzen.

Ich glaube, der Schlüssel zu dieser Veränderung sind die Frauen. Viele Roma-Frauen haben nie gelernt, für sich selbst einzustehen. Ihre Welt kreist ausschließlich um die Familie, um das Haus, um die Gemeinschaft. Das muss sich ändern. Da müssen wir anfangen. Mit den Frauen, nicht mit den Männern. Denn die Frauen sind diejenigen, die Ideen in die Köpfe ihrer Kinder pflanzen. Sie sind das eigentliche Rückgrat der Gemeinschaft. Ohne sie funktioniert nichts. Wenn du die Frauen stärkst, stärkst du langfristig auch die Gemeinschaft.

Das Buvero-Journalismustraining für junge Roma-Fauen, an dem ich zurzeit teilnehme, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die letzten zwei Wochen waren furchtbar anstrengend und unglaublich aufschlussreich. Wir haben journalistisches Grundhandwerk gelernt: Woher bekomme ich die nötigen Informationen? Wie entsteht ein Storyboard? Wie erzähle ich eine Geschichte? Das primäre Ziel von Buvero ist nicht, dass wir nach dem Workshop als Journalistinnen unser Geld verdienen.

Mit 15 das erste Kind, mit 23 begeisterte Fotografin

Es geht vor allem darum, dass wir gestärkt und selbstbewusst in die Welt rausgehen und anderen jungen Roma-Frauen zeigen, dass es möglich ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dass dieses Konzept funktioniert, erlebe ich jeden Tag im Workshop.

Mariana, mit der ich gemeinsam aus Bukarest nach Berlin geflogen bin, hat Rumänien vorher noch nie verlassen. Mit 12 Jahren brach sie die Schule ab, mit 15 bekam sie ihr erstes Kind. Jetzt ist sie 23, lebt in einem winzigen Dorf ohne Stromversorgung und versucht alles, um ihre beiden Kinder irgendwie durchzubringen. In den ersten Tagen des Workshops war sie sehr unsicher. Mittlerweile hält sie alles, was ihr über den Weg läuft, mit der Kamera fest und ist wahnsinnig neugierig auf die Welt.

Ich glaube, wir müssen eine eigene, neue, positive Bildkultur entwickeln. Als Gegenentwurf zu den stereotypen Bildern, die die europäischen Massenmedien über Roma verbreiten. Wir haben es satt, in die Opferrolle gedrängt zu werden, die der Sozialschmarotzer. Es ist immer das Gleiche: Die Zigeuner nehmen unser Geld, sind nicht vertrauenswürdig, nicht effizient, sind dreckig, betteln und singen auf der Straße.

Auch wenn diese Verallgemeinerung in Europa allgegenwärtig ist, verletzt sie mich immer wieder. Ich habe studiert, habe einen Job. Es gibt viele wie mich. Das interessiert nur niemanden. Stattdessen werden wieder und wieder die gleichen traurigen Bilder reproduziert.

Der Begriff Zigeuner ist für mich ein Paradox. Roma untereinander benutzen das Wort Zigeuner. Sie würden nie über die Roma aus so und so reden. Sie sagen Zigeuner, wenn sie über andere Roma sprechen. Wenn aber jemand außerhalb der Roma-Gemeinschaft Zigeuner sagt, klingt das schnell nach Schimpfwort. Das Wort Zigeuner wurde schon immer für Menschen gebraucht, die durch ihre Lebensweise als nicht gesellschaftsfähig beachtet wurden.

Die Soßen-Debatte

Ich kann also nachvollziehen, dass es in Deutschland momentan diese Debatte um die Zigeunersoße gibt. In Rumänien ist die Umbenennung der Zigeunersoße bereits beschlossene Sache. Ich finde es nicht dramatisch, wenn mich jemand Zigeuner nennt. In Bukarest ist Zigeuner mittlerweile ein Slangwort, dass sich nicht mehr auf Roma bezieht, sondern auf eine freie Lebensführung. Auch wenn ich mich persönlich nicht zu den Betroffenen zähle, kann ich die Initiative des Vereins nachvollziehen und unterstütze sie.

Aber ich denke, die Einstellung der Menschen wird sich so nicht ändern lassen. Natürlich kann man die Soße umbenennen und das Wort verbieten, aber davon verschwindet doch das Problem nicht. Das Verbot ist nur ein Versuch, Autorität über Diskriminierung zu erlangen. Angesichts der Tatsache, dass viele Roma in Deutschland unter prekärsten Umständen leben, sollte man erst den Lebensstandard dieser Menschen verbessern, bevor man solch eine Debatte führt.

Wenn es um Roma in Berlin geht, fällt mir nur ein Wort ein: Ausgrenzung. Die Roma, die ich hier sehe, gehören nicht zur deutschen Gesellschaft. Schuld an dieser Situation sind beide Seiten – die Roma und die deutsche Politik. Die Roma beschweren sich immer über die deutsche Bürokratie. Sie sagen, es sei zu schwierig, an die richtigen Papiere für eine Wohnung oder eine feste Stelle zu kommen. Also gehen viele Roma den Schritt in die Legalität gar nicht erst.

So entstehen aber auch keine Kontakte zu Vertretern der Mehrheitsgesellschaft, die die Integration erleichtern würden. Die Politik müsste einen Schritt auf die Roma zugehen und beispielsweise den bürokratischen Aufwand erleichtern, wenn es um Jobs oder Wohnungen geht. Es müsste mehr Menschen geben, die zwischen der Politik und den hier lebenden Roma vermitteln. Menschen, die sich auf beiden Seiten gut auskennen und Verbindungen herstellen können.

Flaschensammeln bringt mehr Geld als ein Job in Rumänien

Die meisten Roma verlassen Rumänien, um das Überleben ihrer Familie zu sichern. Nachdem das Ceausescu-Regime Ende der 1980er Jahre stürzte und die Wende kam, verloren viele Roma ihre Jobs in den staatlichen Betrieben. Viele dieser Männer haben danach nie wieder eine feste Anstellung gefunden, die sie über Wasser halten konnte. Deswegen kommen so viele Roma nach Deutschland. Weil sie hier mit Flaschensammeln und Singen mehr Geld verdienen als in einem regulären Job in Rumänien.

Ich glaube nicht, dass die Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts im Januar 2014 dazu führen wird, dass massenweise Rumänen und Bulgaren nach Deutschland strömen. Sie sind sowieso schon hier. Wieso sollten diese Menschen darauf warten, dass sie offiziell arbeiten können, wenn sie es inoffiziell bereits tun?

Für Akademiker und Leute mit einer Ausbildung wird die neue Freizügigkeit ein Anreiz sein, um nach Deutschland zu kommen. Ich selbst schwanke noch zwischen Berlin und London. Zwei Metropolen, die viel zu bieten haben. Jedenfalls mehr als Bukarest. Dort gibt es einfach keine guten Stellen, und wenn doch, dann sind sie schlecht bezahlt. Mal sehen, wohin es mich in Zukunft verschlägt.

(Protokoll von Gesa Steeger)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare