Aktivistin über Nahostkonflikt: „Viel Wut hat sich angestaut“

In Israel kommt es zu Unruhen zwischen jüdischen und muslimischen Israelis. Rula Daood berichtet aus der Stadt Lod, die nachts abgeriegelt ist.

Ein brennendes Auto auf einer Straße in der Stadt Lod

In Lod kam es zu Zusammenstößen, nachdem ein 25-Jähriger erschossen wurde Foto: Oren Ziv/dpa

taz: Rula, nicht nur der Konflikt zwischen Israel und der Hamas ist eskaliert. Seit vergangener Woche herrscht auch eine explosive Stimmung in vielen israelischen Städten mit gemischter jüdischer und arabischer Bevölkerung. Sie leben in Lod, wo ein arabischer und ein jüdischer Mann bei Zusammenstößen getötet wurden. Wie ist die Situation?

In den letzten zwei Tagen sind organisierte bewaffnete Gruppen von Siedlern in die Stadt eingedrungen, etwa aus der Siedlung Izhar im Westjordanland. Sie heizen die Spannung an, und die Polizei unternimmt nichts dagegen. Gleichzeitig gibt es Massenfestnahmen junger arabischer Israelis. Die Polizei steht an jeder Straßenecke. Eine Anwältin von Standing Together hat von palästinensischen Israelis erzählt, die festgenommen und geschlagen wurden und davon abgehalten werden, ihre Anwälte zu treffen. Abends kann man in die Stadt nicht mehr rein oder raus. Für einige Tage waren sämtliche Geschäfte geschlossen.

Wer sind die palästinensischen Israelis, die festgenommen werden?

Zumeist junge Männer und Frauen, die politisch aktiver sind als die vorherige Generation und keine Angst mehr haben, auf die Straße zu gehen.

Wir haben allerdings nicht nur Gewalt von Siedlern oder der Polizei gegen palästinensische Israelis gesehen, sondern auch andersherum. In Umm al-Fahm wurde eine jüdische Familie mit Kindern angegriffen.

Wir von Standing Together sprechen uns gegen jede Form von Gewalt aus. Wir versuchen sichtbar zu machen, was hier passiert. Das größte Problem ist die rechte Regierung, die wir in Israel schon so lange haben. Sie gibt der noch extremeren Rechten Macht. Das hat uns an den Punkt gebracht, an dem wir heute sind.

35, ist Codirektorin von Standing Together, einer arabisch-jüdischen Bewegung, die verschiedene Gesellschaftsgruppen in Israel im Kampf für eine gerechte Gesellschaft verbinden möchte.

Wieso kommt dieser Gewaltausbruch jetzt?

Die israelischen Behörden drohen seit einem Monat, palästinensische Familien im Ortsteil Sheikh Jarrah in Ostjerusalem aus ihren Häusern zwangszuräumen, weil Siedler darauf Anspruch erheben. In der Knesset sitzen seit der letzten Wahl (im März, d. Red.) außerdem sogenannte ultrarechte jüdische Kahanisten. Sie kamen nach Sheikh Jarrah, brachten gewaltbereite Leute mit und propagierten, dass dies ihr Land sei. Dann hielt die israelische Polizei auch noch an einem der höchsten Feiertage des Ramadan Muslime davon ab, auf das Gelände der Al-Aksa-Moschee zu kommen. Es war offensichtlich, dass es eskalieren würde. Die Rechte, angeführt von Netanjahu, tanzt zum Rhythmus des Krieges. So kann sie Araber und Juden weiter spalten.

Ihr habt Standing Together 2015 gegründet, ebenfalls zu einer Zeit der Gewalt.

Ja, während der sogenannten Messer-Intifada …

… in der Pa­läs­ti­nen­se­r mit Messern Israelis angriffen. Mehr als 30 Israelis haben ihr Leben verloren und 200 Palästinenser wurden von israelischen Sicherheitskräften getötet.

Es gab so viel Hass und Gewalt und keine Kraft, die dagegen anging. Da haben wir, ein Haufen Ak­tivist*innen, uns zusammengesetzt und diese jüdisch-arabische Bewegung gegründet, die jetzt mehr als 3.000 zahlende Mitglieder hat. Und auch jetzt, während des Krieges, sagen Tausende Menschen, dass wir keinen Krieg und keine Besatzung wollen.

Sind die Ursachen der aktuellen Unruhen überall gleich?

Der Hauptgrund ist derselbe. Nach Jahren der Diskriminierung hat sich viel Wut aufgestaut. Die Mechanismen des Drucks gegen die palästinensischen Israelis sind aber unterschiedlich. In Lod etwa ist der Bürgermeister religiöser Zionist. Er setzt Siedler in dicht besiedelte arabische Nachbarschaften. In Jaffa werden staatseigene Häuser, in denen arabische Familien zur Miete wohnen, zum Verkauf angeboten, was zur Zwangsräumung führt.

Die Hamas ist auf die Proteste aufgesprungen, um an Popularität auch unter palästinensischen Israelis zu gewinnen, und hat mit dem Raketenbeschuss begonnen. Die Kämpfe, die international große Unterstützung gefunden hatten, sind so aus dem Fokus verschwunden. Sind arabische Israelis nicht wütend?

Wir Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in Israel, im Gazastreifen und im Westjordanland verstehen uns als zusammengehörig. Aber meine Realität ist eine andere als die in Gaza, und wir palästinensischen Israelis haben gemischte Gefühle. Wenn Hamas Raketen abschießt, schießt sie die ja auch auf mich. Einige arabische Israelis betrachten Hamas als Widerstandsgruppe, andere nicht.

War das friedliche Zusammenleben zwischen jüdischen und arabischen Israelis die ganze Zeit eine Illusion?

Nein. Es gibt unterschiedliche Perioden. Während eines Krieges ist es sehr leicht zu polarisieren. Und dennoch haben wir, Tausende von Menschen, uns entschieden, zusammenzustehen und gleiche Rechte für alle zu fordern. Wenn eine Bevölkerungsgruppe eine andere besetzt, ist niemand wirklich frei. Ich glaube, die Menschen, die keinen Krieg und keine Besatzung wollen, stellen immer noch die Mehrheit.

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