Aktivistenbündnis in Bedrängnis: Yes Men brauchen Nachwuchs
Mit ihren spektakulären Aktionen schufen die Yes Men eine neue Form intelligenter Politkampagnen. Jetzt schwächelt die Protestavantgarde.
Sie sind die Päpste einer weltweit begeisterten Jungschar. Ihr Geheimnis: Effektive Politik mit Leuchtkraft. Leicht bekömmlich, schrill und sexy. Die Yes Men sind das vielleicht kultigste Aktivistenbündnis der Welt. Mit ihren Überraschungscoups haben die Medienguerilleros in den letzten zwölf Jahren immer wieder auf sich aufmerksam gemacht.
Mit Aktionen wie einem gefakten Auftritt bei BBC lösten sie gesellschaftliche Debatten aus und führten Riesenkonzerne wie den US-amerikanischen Industrieriesen Dow Chemical der Welt vor. Etwa als sie im Jahr 2004 behaupteten, das Unternehmen übernehme endlich die volle Verantwortung für die tausenden Opfer der Chemiekatastrophe von Bhopal im Jahr 1984. Das war mitnichten der Fall - das Unternehmen dementierte heftig und geriet massiv in die Schusslinie. Genau das ist das Rezept der Yes Men: Sie überbieten ihre Klassenfeinde in deren eigener Absurdität.
Doch die Opas der Kommunikationsguerilla haben ein Problem: Ihnen fehlt der Nachwuchs. Denn die Gesichter von Shooting-Stars wie Andy Bichlbaum und Mike Bonano sind inzwischen so bekannt, dass sie kaum noch jemanden täuschen können.
Nachfolger aus dem Labor
Zuletzt ging im Oktober 2009 eine Yes-Men-Aktion gegen die US-Handelskammer gründlich schief, weil ein Lobbyvertreter das Spektakel stoppte, noch ehe es richtig begann. Kurz: Es mangelt an frischen Gesichtern, es fehlt der geistreiche Fake-Nachwuchs.
Dieser Text stammt aus der aktuellen sonntaz vom 7./8. August 2010 -ab Samstag mit der taz am Kiosk oder direkt in ihrem Briefkasten.
Das Original: Seit zwölf Jahren wollen sie die Welt neu regeln, indem sie Medien und Firmenbosse hinters Licht führen. Bekannt sind die Yes Men als "Andy Bichlbaum" und "Mike Bonanno".
Die größten Coups: Über die gefälschte WTO-Homepage zu einem Salzburger Seminar geladen, schockierte "Dr. Bichlbaum" im Jahr 2000 mit seinen Theorien über den absoluten Freihandel. Nach der BBC-Aktion von 2004 (siehe oben) folgte 2009 ein weiterer großer Auftritt: Am 4. Juli wurde in einer vermeintlichen Spezialausgabe der New York Times verkündet: Der Irakkrieg ist zu Ende. Über eine Million Ausgaben dieser Fälschung wurden von den Yes Men verteilt. Auch legendär: Mit absurden Erfindungen demonstrieren die Aktivisten den Ernst der Lage. So werde durch den Klimawandel ein Überleben ohne "Survivalball" bald nicht mehr möglich sein.
Der Nachwuchs: Mit dem neu gegründeten "Yes Lab" sollen interessierte Gruppen angeleitet werden, selbst Aktionen im Yes-Men-Style auf die Beine zu stellen.
Mit dem Yes Lab, einem eigenen Institut, wollen die Yes Men nun ambitionierte Nachwuchs-Betrüger mit dem nötigen Handwerk ausstatten. Dazu sammeln sie auf ihrer Homepage gerade Geld, um ihr Aktionskonzept zum Exportschlager einer unterhaltungswilligen Bewegungsbranche zu machen. "Auch wegen unserer Erfolge haben wir realisiert, dass es höchste Zeit ist, systematische Unterstützung anzubieten für Leute, die Ähnliches planen", sagt Yes Man Andy Bichlbaum.
Bis September sollen 50.000 US-Dollar gesammelt werden, rund 20.000 seien schon eingegangen. Davon soll eine Bürokraft eingestellt und eine feste Struktur für den kreativen Protest aufgebaut werden. Die Idee kommt offenbar gut an: Täglich wächst laut Bichlbaum die Zahl derjenigen, die die Yes Men um Konsultationen bitten.
Doch auch das Yes Lab wird wohl keine Massenströmung werden, sondern eher ein Elitenprojekt. Denn wer mit der Gruppe Aktionen planen will, muss schon eigene Themen und Infrastruktur mitbringen, UnterstützerInnen mobilisieren können und viel Arbeit investieren. Dafür bietet das Protestlabor virtuelle Beratung und ab September auch konkrete Workshops zur Aktionsvorbereitung an. Streng geheim, versteht sich.
Wie die Resultate aus dem Yes-Men-Labor aussehen könnten, davon lässt es sich im Netz bereits ein eigenes Bild machen. Vor wenigen Tagen machte das erste Yes-Lab-Projekt auf sich aufmerksam. In einem Video versprach eine vermeintlich französische Regierungssprecherin dem Inselstaat Haiti umfängliche Reparationszahlungen in Höhe von 21 Milliarden Dollar - als Entschädigung für die französischen Profite aus Kolonialherrschaft und Sklavenhaltung.
Die Nachricht war falsch, der Sinn erfüllt: Ein Sprecher des französischen Außenministeriums reagierte empört, die AktivistInnen antworteten entspannt: "Wenn die Regierung uns dafür verfolgen will, verschafft sie uns nur noch mehr Sichtbarkeit." Drei weitere Projekte sind laut Bichlbaum derzeit in Planung. Über ihre Zielrichtung wird noch geschwiegen. Nur eins sagt Bichlbaum: Mit deutschen Organisationen sind noch keine Projekte geplant.
Deutscher Supercoup fehlt
Das muss nicht wundern. Immer wieder versuchen in Deutschland zwar PolitaktivistInnen an belustigende Verwirrungsstrategien anzuknüpfen, doch die Aufmerksamkeitswellen bleiben meist überschaubar.
Ein kleiner Coup gelang immerhin Studierenden der Universität Lüneburg. Sie fakten einen Werbefilm, der in schönstem Managementsprech für die Kommerzialisierung der Universität warb. So verwechselbar war die Satire, dass tagelang auf dem Campus Unklarheit herrschte, ob die Uni-Leitung es ernst meinen könnte.
Ansonsten machen in Deutschland eher intelligente Kleinprojekte von sich reden: Berliner Knuddelhase "Pink Rabbit" etwa frönt seinem Deutschlandhass durch zuckersüße Protestauftritte beim politischen Feind. Und die spaßhungrigen Linksausleger der "Hedonistischen Internationale" veranstalten muntere Heiterkeitsfeste und Jubelparaden, um ihren Unmut zu zelebrieren.
Lachparaden, Smart-Mobs und Guerilla-Gardening - die Aktionsformen, derer sich BewegungsaktivistInnen hierzulande bemächtigen, sind zahlreich. Doch wahre Supercoups beherrschen nur selten die Medien. Vielleicht wird es auch hier Zeit für die große Schule, für die Enkelkinder der Yes Men.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Der alte neue Präsident der USA
Trump, der Drachentöter
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens