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Aktionsform „Plastic Attack“Behaltet euren Müll doch selbst

Kunden lassen überschüssige Verpackungen im Supermarkt zurück. „Plastic Attack“ kommt nun auch in Brüssel zum Einsatz.

So viele Waren. So viel Verpackung Foto: ap

Brüssel taz | „Ein Skandal, all dieser Kunststoff“, sagt Fanny. Minutenlang schon steht die Frau im Supermarkt am Ausgang und befreit ihre eingekauften Äpfel und Paprika aus den Hüllen und entsorgt das Plastik in einem von zwei riesigen Kartons. Ihre Freundin Amélie müht sich derweil mit der einzeln verpackten Gurke ab. „Eigentlich probieren wir, kein Plastik zu kaufen“, sagt sie. Offenbar ist dieser Versuch kaum umzusetzen.

Es ist früher Samstagnachmittag. An der Place de la Bourse im Zentrum Brüssels findet die erste Plastic Attack auf dem europäischen Festland statt. Was nach einer Punk-Band der 80er klingt, ist eine neue Protestform gegen Kunststoffverpackungen. Erste Aktionen gab es bereits in Großbritannien. Nach Belgien geholt hat sie Edwin Groenendijk, ein 48-jähriger Designer aus einem Vorort von Brüssel. Kurz vor Ostern sah er das Video einer Aktion auf Facebook. „Das müssen wir hier auch machen“, denkt er.

Sein Auge fällt auf den besagten Supermarkt der Delhaize-Kette. Er startet einen Aufruf auf Facebook, der den immer ausufernderen Gebrauch von Plastik anklagt, wovon in Belgien „noch immer das meiste verbrannt“ werde. Bald bekommt Groenendijk eine Nachricht vom Kommunikations-Chef des Supermarkts. Der Mann macht sich Sorgen: Was ist der Zweck der Aktion, und warum bei Delhaize? Groenendijk beruhigt ihn. Schon im Aufruf schrieb er, der Protest sei nicht gegen den Betrieb gerichtet, und die Mitarbeiter sollten respektvoll behandelt werden.

Anfang April nehmen belgische Medien das Thema auf. Edwin Groenendijk ist etwas nervös, als er am Morgen der geplanten Plastic Attack aufwacht. Es ist nämlich das erste Mal, dass er politisch tätig wird. Er gehört keiner Umweltgruppe an, zumindest bisher. In Zukunft will er mit Aktivisten aus Gent zusammenarbeiten. Dort und in weiteren belgischen Städten sind Anfang Juni weitere Aktionen angedacht. Die niederländische Premiere ist diese Woche in Groningen geplant.

Facebook als Katalysator

Groenendijks kurzer Weg zum Aktivisten ist ein zeitgenössisches Phänomen. Eine Bewegung ist schnell gestartet – und oft ebenso schnell wieder verflacht. Soziale Medien sind ihr logischer Katalysator, schließlich kommen all die Schreckensberichte genau über diese Kanäle, ebenso wie die passenden Protest-Petitionen.

In Brüssel kommen über den Nachmittag verteilt einige Dutzend Aktivisten. Ein erster Schritt, findet Groenendijk. Was aber ist gewonnen, wenn der Müll im Supermarkt zurückbleibt, statt wie in Brüssel üblich in separate blaue Säcke sortiert wird? Zwar landet er nicht in Bächen und Flüssen, doch die Abfallmenge bleibt gleich.

Selbst Bioware kommt verhüllt daher, und das alternative, abbaubare Plastik hat hier noch keinen Einzug gehalten.

„Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen und zu signalisieren: wir wollen diese Verpackungen nicht“, sagt Groenendijk. Der Ball landet bei den Supermärkten, die, darauf verweist auch sein Aufruf, verpflichtet sind, das Plastik zurückzunehmen. Wodurch Druck auf die Politik entstehen kann, die Verpackungsmenge zu reduzieren.

Sehr viel Konsens

Und die Verpackungsmenge ist immens. Dreier-, Vierer- und Sechserpacks von Äpfeln, Paprika, Tomaten bestimmen das Bild, Erdbeeren gibt es wahlweise aus Belgien (in der Plastikschale) oder aus Spanien (Plastikschale mit Folie bedeckt). Selbst Bioware kommt verhüllt daher, und das alternative, abbaubare Plastik hat hier noch keinen Einzug gehalten. Jan De Jonghe, ein Stammkunde, der die Aktion beobachtet, ist skeptisch: „Eigentlich finde ich das positiv, aber morgen ist wieder alles beim Alten und die Gurken noch immer einzeln verpackt. Für Delhaize ist das Publicity.“

Roel Dekelver, der Kommunikationschef von Delhaize, spricht nach Ablauf sogar von einer Win-win-Situation. So viel Konsens kann einen schon stutzig machen. Oder ist es gerade günstig, diese Dynamik zu nutzen? Natürlich, sagt Dekelver, können Supermärkte dazu beitragen, die Verpackungen zu reduzieren. Eine Einladung für Aktivisten wie Groenendijk. Der sagt: „Plastic Attack wird global. Ganz sicher.“

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9 Kommentare

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  • Coole Aktion. Sind richtige schlaufüchsInnen und merken bereits nach 20 Jahren dass dies in jedem Supermarkt machen kann.

    Weiter so.

    P..s: altbatterien können auch dort zur Entsorgung abgegeben werden.

  • Cool, nur was mache ich mit: Verpackungen von saurer Sahne? Waschmittel? Shampoo?

    Aber gerade bei Gemüse ist das furchtbar: ich will gar nicht immer 6 Äpfel oder 500 g Champions. Aber dann kommen wieder die anderen, mit ihrem gestörtem Körperempfinden, die sich ekeln, dass schon mal jemand den Apfel angefasst haben könnte.....

    • @Energiefuchs:

      Warum, um alles in der Welt, kaufen Sie dann Ihr Gemüse im Discounter und nicht im Gemüseladen wo Ihnen jede gewünschte Menge verkauft wird? Etwa weil es dort teurer ist?

      Und wenn es Ihr "gesundes Körperempfinden" so will, schmiert, hustet und niest man Ihnen sicher gerne die Darm-, Mund- und Rachenflora auf Obst und Gemüse.

      Das bisschen Grippe, Mononukleose, EHEC oder Hepatitis a hat noch (fast) keinen umgebracht, nicht wahr?

      • @Saccharomyces cerevisiae:

        wochenmärkte sind eine sehr gute alternative,

        oder unverpackt Läden,

        gibt es zwar nicht überall,

        aber dort wo es beide oder zumindest ein Modell gibt,

        sind auch die Preise nicht teurer! und regional ist oft auch noch eine positive Begleiterscheinung.

        Verstehe bis heute nicht woher dieser Irrglaube kommt, dass Wochenmärkte (auch Bio) teurer sind, als Discounter, die nur in Großgebinden vertreiben...

         

        DU bist der Wandel!!!

      • @Saccharomyces cerevisiae:

        Bei uns in der Provinz gibt es keinen Gemüseladen mehr :-(

        Der Markt schließt 16 Uhr. Einen Teil kann ich selber anbauen, ich kann aber nicht für das ganze Jahr anbauen. Sie sehen, ich muss in den Supermarkt. Plastik schützt übrigens nicht vor EHEC oder Hepatitis wenn der Erntearbeiter schon beim Arbeiten kacken musste.....

        • @Energiefuchs:

          "...Plastik schützt übrigens nicht vor EHEC oder Hepatitis wenn der Erntearbeiter schon beim Arbeiten kacken musste....."

          Diese Aussage ist fern der Realität. In Agrarbetrieben herrscht nicht mehr das lustige Landleben, wo man mal schnell ins Gemüse kackt. Bei Selbstbedienung muss die Ware nun mal verpackt sein. Sie mögen vielleicht an die "gute alte Zeit" erinnern, als die Butter aus dem Fass verkauft wurde usw. usw., jedoch belegen die sinkenden Infektionszahlen der letzten Jahrzehnte eindeutig die Wirksamkeit hygienischer Maßnahmen. Und dazu gehört nun mal die Lebensmittelverpackung.

          Dass Sie "in der Provinz" nicht vollversorgt sind verstehe ich gut. Warum regen Sie sich über Umverpackungen auf, während Sie gleichzeitig durch die Herumfahrerei vermehrt Treibstoff verbrauchen und somit die Umwelt ungleich mehr belasten?

          • @Saccharomyces cerevisiae:

            "Bei Selbstbedienung muss die Ware nun mal verpackt sein" - wieso "muss" das in den BioLäden nicht sein. Und auch in den "normalen" Supermärkten gibt es loses Gemüse! Also worauf begründen Sie Ihre Behauptung?

          • @Saccharomyces cerevisiae:

            Also von "muss in Plastik verpackt sein" kann nicht die Rede sein.

            Es gibt weiterhin in manchen Märkten Einzelware zum Selbstverpacken. Beim Edeka nebenan auch mit Papiertüten.

            Gemüse gare ich eh durch und das Obst wird gewaschen. Was dann noch dran klebt ist auch nicht schlimmer als ne Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, von der Viren- und Bakterienlast her gesehen.

            Einfach mal abregen. Und während es so sein mag, dass in manchen Betrieben die guten alten Zeiten vorbei sein mögen, so gilt das doch mit Sicherheit nicht für die ganze Welt. Ich will sagen: Krankheitserreger sind überall und essen tun wir sie auch so oder so. Absolute Hygiene ist außer in dafür vorgesehenen Räumen im Krankenhaus eine absolute Illusion.

            • @Sophie Kowalski:

              @Katalin Nemeth:

               

              Die Begründung heißt HACCP.

               

              Entsprechende EG-Verordnungen:

              Nr. 2073/2005

              Nr. 852/2004

              Nr. 853/2004

              Nr. 854/2004

               

              Wenn die entsprechenden Kontrollorgane, in der Regel die Unteren Lebensmittelüberwachungsbehörden, den Offenverkauf von Lebensmitteln unbeanstandet lassen so geschieht das falls:

              Die Lebensmittel nicht unbeaufsichtigt sind.

              Die äußeren Schichten des Lebensmittel zum Verzehr ungeeignet sind.

              Die Lebensmittel in der Regel zum Verzehr erhitzt werden.

              Sehr geehrte Frau Kowalski, es geht nicht darum, sich "aufzuregen". Der Kunde hat einen Anspruch auf einwandfreie Ware. Ekel erregende Zustände können juristisch als (versuchte) Körperverletzung aufgefasst werden (vgl. z.B. https://www.ksta.de/ekel-erregende-zustaende-13234764)

              Ihre legeren Ausführungen zu ÖPNV, ubiquitären Keimen und "absolute Hygiene" (sic!) lassen auf nicht vorhandenes Fachwissen schließen.

              Im übrigen sind in der VerpackV (ab 01.01.19 im VerpackG) die Rücknahmeverpflichtung von Transport- und Umverpackung geregelt.