Agrarreform in Indien: Traktorenkorso heizt Regierung ein
Tausende Bauern stoßen am Tag der Republik mit der Polizei zusammen. Seit Wochen demonstrieren sie gegen die Deregulierung der Landwirtschaft.
Von Haryana aus startete auch der Student Firoz Alam mit einer ganzen Gruppe. Die bullige Zugmaschine, auf der er sitzt, wird von der 20-jährigen Sheetal Anitil gesteuert. Sie hat ihn am Morgen am Grenzpunkt Singhu mitgenommen und rattert samt Mutter und Oma zum knapp 30 Kilometer entfernten Roten Fort in der Altstadt.
Am frühen Abend erreichen sie den Ort, an dem zuvor die offizielle Parade mit Motivwagen der Bundesstaaten zum Tag der indischen Republik stattfand. Der Feiertag hatte mit einem Besuch des hindunationalistischen Premierministers Narendra Modi am Kriegsdenkmal begann. Doch in diesem Jahr müssen sich die herausgeputzten Soldat:innen und die donnernden Kampfjets die Liveschalten auf den TV-Bildschirmen mit den vielen protestierenden Bauern teilen.
„Es lebe die Einheit der Bauern und Arbeiter“, tönt es aus dem Traktorkorso immer wieder und „Inquilab Zindabad“ („Lang lebe die Revolution“), eine noch aus der indischen Unabhängigkeitsbewegung stammende Parole. Denn darum geht es an diesem Tag, an dem im Jahr 1950 die indische Verfassung in Kraft trat.
Bauern fürchten um Einkommen
„Heute ist der Tag des Volkes“, sagt Student Alam. Deshalb haben sich die Bauern genau diesen Feiertag aufgesucht, um zu unterstreichen, dass sie keine der neuen Agrargesetze der Regierung akzeptieren. Seit über 60 Tagen demonstrieren die Bauern nun schon. Sie fürchten, an Einkommen zu verlieren, wenn die Landwirtschaft dereguliert wird.
Marsch der Bauern auf Neu-Delhi
Schon seit November kampieren Tausende protestierende Bauern vor den Toren Delhis, da ihnen bisher der Zugang in die Stadt verwehrt wurde. Auch am Dienstag gerieten sie wieder mit der Polizei und Paramilitärs aneinander, was einen Schatten auf die offiziellen Feierlichkeiten warf. Videos zeigen den Einsatz von Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern. Ein Demonstrant soll zu Tode gekommen sein, mehrere Polizisten wurden verletzt.
Der Politiker und Bauernführer Yogendra Yadav verurteilte wie die Vereinigte Bauernfront, dass sich „einige Organisationen und Einzelpersonen verwerflichen Handlungen hingaben“. Denn Frieden sei die größte Stärke. Für Alam ist es der erste Protest dieser Größe. Er kommt wie Sheetal aus einer Bauernfamilie. Während sie sich in eine lange Traktorschlange einreihten, genoss die Bäuerin Sheetal das Gefühl, in der großen Gruppe nicht ohnmächtig zu sein.
Doch wissen beide um die verzwickte Lage. Zahlreiche Gespräche zwischen Bauern und Regierung sind bereits gescheitert. Zwar stoppte das Oberste Gericht die von der Regierung beschlossene Deregulierung der Landwirtschaft Mitte Januar und rief eine Kommission ein, um den Konflikt zu klären. Doch viele Bauern bezweifeln die Neutralität der Kommission, da dessen Mitglieder schon zuvor positiv über die umstrittenen Gesetze geäußert hatten. Die Regierung bot den Bauern bisher an, die Reformen um eineinhalb Jahre zu verschieben.
Gibt die Modi-Regierung stärker nach, könnte das für Unzufriedene aus anderen Bereichen als Einladung für Proteste verstanden werden. Bisher bleiben die Bauern hartnäckig. Ihr massiver und bereits seit Wochen anhaltender Protest entwickelt sich zur bislang größten Herausforderung für Modi.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?