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Afroamerikaner in US-SerienSuperheld im Friseursalon

US-Serien haben wieder schwarze Helden entdeckt. Sie richten sich nicht an das weiße Publikum, sind aber auch bei ihm erfolreich.

Und ohne Referenzen an die reale schwarze Musikgeschichte läuft gar nichts: die Serie „Empire“ Foto: Chuck Hodes/FOX

Er ist schwarz, trägt einen Kapuzenpulli und an seinem Körper prallen Pistolenkugeln ab: Luke Cage gilt als der Superheld für die „Black Lives Matter“-Bewegung. Die Hauptfigur der gleichnamigen neuen Netflix-Serie ist aus klassischen Motiven einer afroamerikanischen Heldensaga zusammengestellt. Sein Vater ist Prediger und erst im Gefängnis wird aus Carl Lucas der Superheld Luke Cage – durch ein medizinisches Experiment. Wie alle Marvel-Helden ist auch Luke Cage Held wider Willen.

Kurz vor Ende der Präsidentschaft Barack Obamas haben US-Serien die Vielfältigkeit afroamerikanischer Identitäten für sich entdeckt. Sie erzählen von Ivy-League-Abbrechern, der schwarzen Unterhaltungsindustrie und einem Superhelden, der in Harlem etwa in einem Friseursalon jobbt. Nach seinem Outing als Superheld vergräbt er sich noch tiefer in seinen postheroischen Kapuzenpulli. Keine dieser Serien ist auf das weiße Publikum ausgerichtet, trotzdem erzielen sie gerade dort Erfolg.

Verhandelt wird darin nicht nur der US-Alltagsrassismus, sondern auch, wie man ein guter Vater wird oder was überhaupt das Gemeinsame einer afrodiasporischen Community sein könnte. Neu ist die Zeichensprache, in der diese Themen verhandelt werden: Alle bedienen sich des ausdifferenzierten Vokabulars von HipHop.

Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Vor fünf Jahren schilderte die HBO-Serie „Treme“, konzipiert von David Simon, der auch „The Wire“ schuf, die afroamerikanische Musikszene von New Orleans nach dem Hurrikan „Katrina“ 2004. New Orleans ist aber nicht nur Heimat von Blues und Jazz, sondern auch von „Twerking“, das in der queeren Sissy-Bounce-Szene der Stadt entstanden ist. In „Treme“ selbst rümpften die Serienfiguren regelmäßig die Nase, wenn von HipHop geredet wurde. Ohnehin wurde im US-Fernsehen noch die Nase gerümpft, als HipHop längst die Welt erobert hatte.

Porträt des Gangsta-Rappers

„Luke Cage“ ist dagegen eine einzige Hommage an die New Yorker HipHop-Szene. „Power to the people and Luke Cage the cause“, rappt Method Man vom Wu-Tang Clan in einer Folge. Sein Auftritt ist eine der vielen Referenzen an die „Goldene Ära des HipHop“ der späten Achtziger und frühen Neunziger. Cottonmouth, Chef von Harlems Unterwelt, vergleicht sich mit dem ermordeten Gangsta-Rapper Notorious B.I.G., dessen Porträt sein Büro ziert. Jede Folge ist nach einem Song des Old-School-HipHop-Duos Gang Starr benannt, das sich seinerzeit geschichtsbewusst durch die Soul- und Jazzgeschichte gesamplet hatte.

Über solche Referenzen wird „Luke Cage“ zur Geschichte der afroamerikanischen Community, die im real existierenden Harlem von heute weniger Raum hat. Harlem mutiert in der Serie zum Freilichtmuseum für den African-American Music Appreciation Month, den Präsident Obama 2016 ausgerufen hat. Sowohl Luke als auch seine Gegenparts sehnen sich nach einem Harlem, „wo man alten Frauen über die Straße geholfen hat“.

Die Geschichte afroamerikanischer Jungs, die von der Bronx aus ihre Stadt und die Welt erobern

Als Luke von einem Straßenräuber als „toter N+++er“ bezeichnet wird, hält er diesem einen Vortrag über den Revolutionär Crispus Attucks, einer Ikone der Abolitionisten. Wie die HipHop-Epoche, bei der sich die Serie bedient, diskutiert „Luke Cage“ Politik zuerst als Frage von Respekt und Selbstrespekt. Sie rollt Kulturkämpfe der Neunziger um das N-Wort wieder auf, anstatt aktuell die Gentrifizierung und Polizeigewalt in New York zu thematisieren – N+++az with Attitude statt Black Lives Matter.

„Luke Cage“ bedient damit eine kanonisierte HipHop-Geschichtsschreibung: Mitte der Neunziger tritt er seinen kommerziellen Siegeszug um die Welt an, was zugleich als künstlerische Stagnation wahrgenommen wird. Neue Copyrightgesetze erschwerten das Sampling. Damit ging HipHop der Rückgriff auf die eigene Geschichte verloren. Gleichzeitig begann der Aufstieg eines Produzententyps, für den Beherrschung von Studiotechnik und synkopierten Digitalbeats wichtiger war als das Wühlen in alten Soul- und Funk-Plattenkisten; konkret ist der Produzent Timbaland ein Vorbild, der etwa für Missy Elliott gearbeitet hat.

Bildgewordenes Angebertum

Timbaland fungiert auch als musikalischer Berater der erfolgreichsten US-HipHop-Serie „Empire“. Seit drei Staffeln läuft die Seifenoper beim Fernsehsender Fox. Im Mittelpunkt steht der Familienclan der Lyons um Vater Lucious. Dieser hat mithilfe seiner resoluten Ehefrau – und eigentlichen Hauptfigur – Cookie den Aufstieg vom Ghetto-Rapper zum Musik-Mogul geschafft und muss nun sein Imperium verteidigen.

Von allen Prime-Time-Serien der USA besitzt „Empire“ den höchsten Anteil afroamerikanischer Zuschauer. Sie gibt ihnen bildgewordenes Angebertum in Form von HipHop als Gelddruckmaschine. Wie bei anderen Soaps der Reichen und Schönen folgt „Empire“ dabei den klassischen Tropen: Eifersucht und Loyalität, Verrat und Versöhnung.

In der Familienaufstellung der Lyons werden Konflikte zwischen den Generationen verhandelt. Jedes Familienmitglied ist eine Collage von Figuren des afroamerikanischen Pop. In Labelpartriarch Lucious Lyon spiegelt sich nicht nur der Kontrollwahn von Motown-Gründer Barry Gordy, sondern auch der Karrierismus eines Jay Z. Wie der Rap-Millionär beharrt auch Lucious auf seiner mit Drogenhandel erworbenen Street Credibility.

Sein mittlerer Sohn Jamal outet sich zu Beginn der Serie als schwul, womit ihm die Darstellung der „neuen HipHop-Männlichkeit“ und ihrer postmaterialistischen Emotionalität zufällt. Wie der reale Star Frank Ocean changiert auch die Serienfigur Jamal je nach Gefühlslage zwischen R&B und HipHop. Der älteste Sohn André besitzt kein musikalisches Talent, wird aber als Manager mitgeschleift – Familie geht schließlich über alles. Hakeem, das Nesthäkchen, muss dagegen ein ganzes Arsenal unterschiedlicher Rapper verkörpern, die keine Berührungsängste mit EDM, Autotune und MDMA haben.

Durch Mutter Cookie Lyon wird „Empire“ zur Gegengeschichte. Sie ist als A&R dafür zuständig, Künstler unter Vertrag zu nehmen, kümmert sich um ihre Alben und zeigt so eine gerne vernachlässigte Episode des HipHop. An Schlüsselstellen der HipHop-Historie, etwa bei „Rapper’s Delight“ von 1979, dem ersten erfolgreichen Rap-Track überhaupt, waren es weibliche A&Rs wie Sylvia Robinson, die die Künstler gefördert haben. Den Ruhm haben dagegen die zumeist männlichen Rapper erhalten.

Anachronistische Verweise

Auch in der 120 Millionen US-Dollar teuren Netflix-Produktion „The Get Down“ von Baz Luhrmann dürfen Frauen lediglich singen. Stattdessen erzählt sie die Geschichte von puertoricanischen und afroamerikanischen Jungs, die von der Bronx aus mit zwei Plattenspielern, einem Mikrofon und Wortgewandtheit zuerst ihre Stadt und dann den Rest der Welt erobern. Dabei streut die Serie immer wieder historische Referenzen an das New York von 1977 ein, die sich als Anachronismen erweisen.

Anstelle von DJ Kool Herc erfindet etwa Grandmaster Flash in „The Get Down“ eine klassische HipHop-Technik: Er wechselt zwischen zwei Platten; während eine läuft, dreht er die andere zurück, um einen durchlaufenden Loop zu erzeugen. Luhrmann erzählt ein Märchen aus der Bronx, und wie Lee Daniels, der Schöpfer von „Empire“, tut er dies in einem Moment, in dem das reale New York auf der HipHop-Landkarte immer unbedeutender wird.

Die Signatur-Sounds von HipHop im Jahr 2016 – die nachhallende Bassdrum, zischelnde Hihats, das vernuschelte Rappen – kommen aus dem Süden, genauer aus Atlanta, der schwarzen US-Hauptstadt. Der Rap des Dirty South besitzt seine eigene Mythologie: die von anstrengungslosem Glamour. In dieser Erzählung geht es um Partys und leicht verdientes Geld, aber Skills an den Plattenspielern oder dem Mikrofon sind nicht nötig.

Die Musik von Future, dem bekanntesten Rapper aus Atlanta, lebt vom exzessiven Einsatz des Stimmeneffekts Autotune, sein Kollege Gucci Mane gründet seinen Ruhm auf verzerrten Bassdrums und seine zahlreichen Verhaftungen. Und für die Rap-Crew Migos hat der „Dap“, ein Tanzschritt, zum viralen Erfolg gereicht.

Wenn der Song viral geht

Auch Paper Boi ist einer dieser Rapper, die ohne großes Können berühmt werden. Eigentlich verkauft er Marihuana, am gleichen Tag, als das Video eines seiner Songs viral geht, gerät er in eine Schießerei – das ist der Start seiner Karriere. Paper Boi ist eine der Hauptfiguren aus „Atlanta“, der neuen Comedy-Show von Donald Glover.

Für den Millennial-Schlauberger-HipHop seines Alter Egos Childish Gambino war Glover schon für einen Grammy nominiert, in „Atlanta“ spielt er Earn, den Cousin von Paper Boi und seinen Manager. Earn muss dafür sorgen, dass der Hype um Paper Boi nicht abkühlt. Er schmiert den Angestellten eines Radiosenders, um Airplay zu erhalten, und läuft einem Clubmanager hinterher, der ihn um die Gage für einen Auftritt prellen will. Der Ruhm des Anstrengungslosen beruht auf harter Arbeit.

„Atlanta“ ist eine Alltagskomödie. Earn hat kein Geld für die Miete und keine Zeit für seine Tochter, mit deren Mutter er nicht mehr zusammen ist. Acht Jahre nach Obamas Wahlsieg und dem Versprechen einer „postrassistischen Gesellschaft“ zeigt die Serie, wie die „Color line“ immer noch den Alltag in den USA strukturiert. Earn, der in Princeton studiert hat, wird von einem weißen Radiomitarbeiter mit „Ni+++a“ begrüßt. Auf einer Party muss er sich vor dem weißen Gastgeber dafür rechtfertigen, noch nie in Afrika gewesen zu sein, was für den afroamerikanophilen Hausherrn den Höhepunkt eines schwarzen Lebens darstellt.

In „Atlanta“ sind die Oldschool-Gesten von Credibility und staatstragenden schwarzem Geschichtsbewusstsein zum Problem geworden, weil sie nichts mehr bedeuten. Und gerade deshalb erzählt die Serie wie keine zweite von aktuellen afroamerikanischen Identitäten – zum Soundtrack der vibrierenden 808-Bassdrum und vernuschelter Raps mit Nabelschau.

Seltsam, dass aus solchen Geschichten bisher noch niemand ein HipHop-Album gemacht hat.

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