Afrikas Weg in den Weltraum: Aus der Abhängigkeit befreien
Raumfahrt ist nicht mehr allein Sache der westlichen Hightechstaaten. Mehr als ein Dutzend afrikanische Satelliten fliegt bereits im Weltall.
Das Land in Ostafrika wäre das fünfte subsaharische Land mit einem Satelliten im Weltraum. Jahrzehntelang war die Welt der Raumfahrt fest aufgeteilt: Der Teil mit Geld und Spitzentechnologie fuhr ins All, der Rest durfte mitjubeln, wenn wieder ein großer Schritt für die Menschheit getan wurde. Doch 1999 erreichte der experimentelle Kleinsatellit „Sunset“ aus Südafrika auf der Spitze einer US-amerikanischen Delta-II-Rakete den Orbit. Seither haben zahlreiche afrikanische Länder Raumfahrt-Agenturen gegründet und vier weitere Länder unterhalb der Sahara sind zum angesehenen Club der Satellitenbesitzer gestoßen – Kenia, Ghana, Angola und Nigeria. Mehr als ein Dutzend afrikanische Satelliten fliegen bereits im All, fast die Hälfte davon seit 2017.
Dass ein Kontinent sich so rasant auf den Weg in den Weltraum macht, dessen Straßensystem hauptsächlich aus Dirt Roads besteht, erscheint allerdings nur auf den ersten Blick verwunderlich. Denn gerade aus diesem Grund ergibt Raumfahrt für Afrika einen Sinn. Seine lückenhafte Infrastruktur macht viele Orte unzugänglich. Satelliten hingegen kümmern sich nicht um schlechte Straßen. Ein gutes Beispiel ist das von Südafrika entwickelte Advanced Fire Information System, das Satellitenbilder auf Buschbrände hin auswertet. „Durch das enorm große Südafrika führen zahlreiche Stromtrassen“, sagt Valanthan Munsami, Direktor der südafrikanischen Raumfahrtagentur Sansa. Buschbrände bleiben in dem Land, viermal so groß wie die Bundesrepublik, am Boden oft lange unbemerkt – den Satelliten im Weltraum entgehen sie jedoch nicht.
„Wenn ein Feuer die Trassen beschädigt, ist es viel teurer, sie zu reparieren, als vorher jemanden zu warnen, ‚da ist ein Feuer, am besten fliegt jemand hin und löscht es‘. Die Verantwortlichen bekommen einfach eine SMS, die ihnen sagt, wo es brennt.“ Die Bilder erhält das Frühwarnsystem von europäischen und US-amerikanischen Satelliten – noch.
ist Psychoanalytiker in Zürich. Er ist Privatdozent für Klinische Psychologie an der Universität Zürich, Lecturer an der International Psychoanalyst University (IPU) in Berlin und beschäftigt sich mit wissenschaftsphilosophischen Fragen der Psychoanalyse und ihrer Geschichte. Außerdem ist er Kolumnist im Schweizer Radio und bei mehreren Zeitungen. Im Sommer erscheint sein neues Buch, „Normal, verrückt und gestört. Über psychiatrische Diagnosen“ (Schattauer).
Denn den Sinn von Satelliten haben auch die afrikanischen Regierungen für den ganzen Kontinent erkannt. Die Afrikanische Union hat deshalb Ende 2017 eine Raumfahrtstrategie verabschiedet. Ziel ist eine panafrikanische Raumfahrtagentur, um eine den speziellen Interessen Afrikas dienende Raumfahrt zu fördern und dabei schon vorhandene Ressourcen wie Bodenstationen und Teststände für Satelliten gemeinsam zu nutzen.
Bilder von Afrika für Afrika
Bereits 2009 hatten vier afrikanische Länder – Südafrika Nigeria, Algerien und Kenia – vereinbart, jeweils einen Erdbeobachtungssatelliten mit einer Auflösung von zweieinhalb Metern bereitzustellen, um Bilder von Afrika für Afrika aufnehmen zu können. Damit wollen die afrikanischen Regierungen sich langfristig aus der Abhängigkeit von Europa, den USA und auch kommerziellen Unternehmen befreien.
„In einigen Aspekten mag es okay sein, von Unternehmen abhängig zu sein“, meint Munsami. „Bei anderen sollte man eigenständig zu sein. Nehmen wir an, da ist ein Unternehmen, das den Hinterhof ihrer Ressourcen kennt. Wie können Sie sicher sein, dass ausschließlich Sie dazu Zugang haben? Das gilt auch für die Verteidigung. In Afrika gibt es zahlreiche Bürgerkriege, Militär bewegt sich ständig hin und her. Aus Sicht der Afrikanischen Union ist es daher wichtig, über Satellitenbilder zu verfügen.“
Doch Unabhängigkeit lässt sich nur dann wirklich erreichen, falls die Satelliten auch von afrikanischen Ingenieuren gebaut und betrieben werde. Das ist häufig – wie beispielsweise bei den nigerianischen Telekommunikationssatelliten NigeriaSat-1 und -2 nicht der Fall. „Die Satelliten werden nicht von Nigeria gebaut, sondern bezahlt“, so Thomas Weissenberg, zuständig für internationale Zusammenarbeit bei der Europäischen Raumfahrt-Agentur ESA. „Die Satelliten werden in Europa, den USA und in China gebaut, und von Raketen-Dienstleistern wie Arianespace hochgeschickt. Betrieben werden diese Satelliten dann entweder von großen Satellitenbetreibern wie Inmarsat und Intelsat oder von kleineren Firmen vor Ort, die allerdings Unterstützung brauchen.“
„Diesen Umstand nutzt auch China, das damit einen weiteren Weg gefunden hat, seinen ohnehin schon wachsenden Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent auszuweiten. Die ESA hingegen hilft in Afrika vor allem mit den Daten der eigenen Satelliten, um beispielsweise lokalen Regenfall vorherzusagen oder die Vorgänge in Nationalparks zu überwachen. „Space added value“ nennt die ESA das dann – aus der Raumfahrt abgeleiteter Nutzen.
Satelliten made in Südafrika
Laut Sansa-Chef Munsami ist bisher nur Südafrika als einziges afrikanische Land in der Lage, Satelliten selbst zu bauen – und auch nur Kleinsatelliten, nicht die Hunderte Millionen Euro teuren Kommunikationssatelliten. „Wir wollen auch keine Ingenieure für Satelliten ausbilden, die man nur einmal alle 15 Jahre benötigt“, so Munsami. Denn das ist die Zeit, die ein Kommunikationssatellit ungefähr hält.
Aus diesem Grund kommt afrikanischen Universitäten generell eine aktuelle Entwicklung zugute, von der auch westliche Wissenschaftler profitieren: Der Bau kleinster Satelliten und Instrumente mit günstiger Elektronik aus industrieller Serienproduktion. Damit lassen sich sogenannte Cube-Sats bauen, eine standardisierte Klasse kleiner und preiswerter Satelliten, die in erdnahen Umlaufbahnen durchaus respektable Daten sammeln können.
So soll der Ende Dezember gestartete „ZACube-2“ nicht nur illegale Fangschiffe und Ölreste an der Küste Südafrikas aufzuspüren, sondern auch Buschfeuer. Wenn er funktioniert wie erwartet, ist er der erste einer Konstellation von neun Cube-Satelliten. Es ist kein Zufall, dass alle afrikanischen Cube-Satelliten an afrikanischen Universitäten gebaut worden sind – häufig zwar mit japanischer Hilfe, aber doch eben im Inland.
Die Tatsache einer afrikanischen Raumfahrt schmeckt nicht allen in Europa, wo viele nach wie vor genau zu wissen glauben, was Afrikaner tun und lassen sollen. „Angesichts der Höhe des nigerianischen Raumfahrtprogramms, ist es nicht zu rechtfertigen, Gelder nach Nigeria zu überweisen“, kritisierte 2013 Philip Davies, Mitglied der konservativen Torys im britischen Unterhaus laut der Zeitung Daily Mail. Hintergrund war die Debatte über Milliardenhilfen für die ehemalige britische Kolonie. Schließlich glitt die Kritik sogar ins Rassistische ab. „Wie können wir Milliarden Pfund nach Bongo-Bongo-Land schicken, wenn wir selbst Schulden haben“, tönte Godfrey Bloom, damals noch krawalliges Mitglied der rechtslastigen britischen Ukip-Partei.
Tatsächlich wird Raumfahrt von vielen Menschen als Luxus wahrgenommen und weniger als technische Voraussetzung für Wettervorhersagen, Kommunikation und Überwachungsinstrumente im Kampf gegen Umweltzerstörung. „Das Interessante ist, dass jede Regierungsinstitution in Südafrika eine Abteilung für Geoinformation besitzt“, so Munsami. „Womit auch immer sie sich beschäftigen, Wasser, Wald, sie benutzen Satellitenbilder.“
Teil des weltweiten Raumfahrt-Geschäfts
Hinzu kommt: Auch das subsaharische Afrika hat eine Raumfahrt-Tradition. Ihr Ursprung liegt unter anderem in den ersten Raumfahrt-Programmen der USA. „Wir sind Teil des Deep Space Networks“, so Munsami. „Wir haben alle Apollo-Missionen unterstützt und auch das erste Bild vom Mars kam über Südafrika.“ Um Funkkontakt mit ihren von Florida nach Osten abgeschossenen Raketen halten zu können, errichteten die Amerikaner eine Kette von Stationen, mit der sie die Flugbahnen überwachen konnten. Das ist heute immer noch so. „Der Standort kann jeden Start in den USA oder Französisch-Guayana verfolgen. Die Satelliten werden über unserem Gebiet ausgestoßen und wir erledigen die ersten Tests. Wir sind Teil des weltweiten Raumfahrt-Geschäfts.“
Aus dieser Tradition erwächst das Know-how für die aktuelle südafrikanische Raumfahrt, die auf dem Kontinent führend ist. „Die Nasa hat es uns damals überlassen, die Anlagen zu warten. Als sie sich in den siebziger Jahren dann aus Südafrika zurückgezogen hat, haben wir die Expertise am Boden in Astronomie-Know-how umgewandelt.“ Denn die Technik eignet sich auch vorzüglich für die Beobachtung des Weltraums. Aus diesem Grund wird Südafrika Standort des „Square Kilometre Array“ (SKA), ein riesiger Verbund von Radioteleskopen. Dieser soll helfen, in ganz Afrika Raumfahrt- und Technologie-Expertise aufzubauen.
„Wir starteten das von einem wissenschaftlichen Projekt heraus. Beim SKA ist es wichtig, die enormen Mengen an empfangenen Daten zugänglich zu machen“, sagt Munsami. „Deswegen haben wir begonnen, Rechenzentren zu bauen. Zudem haben wir in den vergangenen 15 Jahren etwa 900 Studenten ausgebildet. Wenn die Anlagen fertig sind, benötigt man Menschen, um sie zu betreiben.“ Dabei wirkt Südafrika als Wissensexporteur. „Den anderen afrikanischen Teilnehmer-Ländern des SKA-Projekts helfen wir, Hochleistungs-Rechenzentren zu bauen und trainieren sie, diese zu nutzen.“
Allerdings kämpfen die afrikanischen Länder bei ihren Plänen mit erheblichen Verzögerungen – nicht anders als bei Nasa und ESA. Von der vor zehn Jahren geplanten Satellitenkonstellation ist aber bisher lediglich der nigerianische Satellit im All – und das hat einen handfesten wirtschaftlichen Grund: Der damalige nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo wollte damit die für Überfälle anfällige Ölindustrie des Landes überwachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl