Affäre um Staatliche Ballettschule: Ein Recht auf Unversehrtheit
An der Staatlichen Ballettschule wurde nach den Gewaltvorwürfen viel aufgeklärt. Die Konsequenzen könnten entschlossener sein.
Leistungssport ist eine ziemlich harte und kompromisslose Sache, da sollte man sich keine Illusionen machen. Wenn man, wie die Kinder an der Staatlichen Ballettschule und Schule für Artistik, später in den großen Staatsballetts tanzen will, ordnet man diesem Ziel schon in Kindertagen alles andere unter. Und selbst dann ist der Erfolg nicht planbar. Gut möglich, dass man sich jahrelang umsonst schindet, weil mit 15 Jahren der Körper nicht mehr will oder das Quäntchen Glück fehlt bei den Engagements nach dem Abschluss.
Das ist brutal, und man darf vermuten, dass die TanzlehrerInnen an der Eliteschule in Prenzlauer Berg, die selbst aus der Praxis kommen und für die Tanzausbildung an der zum Abitur führenden Schule zuständig sind, das wissen. Kinder im wahrsten Sinne des Wortes fertigzumachen, weil man mit dem nüchternen Blick des Profis sieht, dass sie es nie an die Spitze schaffen werden, ist trotzdem ein pädagogisches und vor allem ein menschliches Versagen – und dass dies an einer staatlichen Schule so lange passieren konnte, wie der Abschlussbericht einer Untersuchungskommission im Auftrag der Bildungsverwaltung am Montag deutlich machte, ist wiederum ein politisches Versagen.
Viele Seiten dick ist der Abschlussbericht der Expertenkommission. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) will jetzt „demokratische Strukturen“ an der Schule entwickeln. Elternarbeit soll tatsächlich stattfinden, VertrauenslehrerInnen ihrem Namen auch gerecht werden, ein Kinderschutzkonzept soll her – übrigens für alle Berliner Schulen. Dass die ein solches nicht längst haben, ist an sich auch schon bemerkenswert.
Auch die Schulleitung hat Scheeres bereits ausgetauscht, gegen drei andere Lehrkräfte werde eine Kündigung geprüft, heißt es. Ein externer Fachbeirat soll eingerichtet werden, der neben der Schulaufsicht – die kläglich versagt hat – ein Auge auf die Schule hat. Und so weiter. Das klingt erst mal gut, weil nach entschlossenem Handeln.
Allerdings darf man auch schon wieder misstrauisch werden, wie viel Entschlossenheit bleibt, wenn zentrale Stellschrauben auf Nachfrage dann doch nicht gedreht werden. Ein Referendariat als Mindestvoraussetzung für das künstlerische Personal, wie es die Kommission im Bericht empfiehlt? Wird es nicht geben, dafür eine Art Grundkurs Pädagogik am Weiterbildungsinstitut der Bildungsverwaltung.
„Jedes Kind muss eine Chance haben“, hatte der Vorsitzende der Expertenkommission Klaus Brunswicker am Montag gesagt. Das ist wohl wahr. Denn auch, wenn der Trainingsfleiß längst nicht bei allen der BallettschülerInnen später in eine Tanzkarriere mündet: Sie müssen die Chance haben, unversehrt durch diese Schule zu kommen. Sie haben ein Recht darauf.
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