AfD im Osten: Wappnen für den Ernstfall
Vor den Landtagswahlen im Herbst diskutiert die Politik in Thüringen, ob es eine blockadesicherere Verfassung braucht. Die hat einige Lücken.
Das nach einer Correctiv-Recherche aufgeflogene Geheimtreffen von AfD-Politiker*innen, Unternehmer*innen, CDU-nahen Akteur*innen und rechtsextremen Ideolog*innen hat viele aufgeschreckt. Im Landhaus Adlon in Potsdam haben sie Ende November 2023 über den Plan für millionenfache Deportationen nach rassistischen Kriterien– auch von deutschen Staatsbürger*innen mit Migrationsgeschichte – diskutiert.
Die Correctiv-Recherche wirft ein Schlaglicht darauf, was droht, wenn die extrem rechte AfD Macht bekommt. Geschichte und Gegenwart zeigen: Die größte Gefahr durch faschistische Formationen setzt meist mit Wahlerfolgen ein, die nächsten Etappen sind das Aushebeln der demokratischen Spielregeln und der Gewaltenteilung und das Ausweiten des staatlichen Gewaltmonopols. Der deutsche Rechtsstaat ist nicht so robust aufgestellt, wie viele meinen.
Auch institutionell beginnt die Wirkmacht autoritärer Formierungen wie der AfD nicht erst mit einer Regierungsbeteiligung. Ein demokratischer Härtetest droht im Herbst 2024 bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. In allen drei Bundesländern ist die AfD in Umfragen derzeit stärkste Kraft mit teils deutlichem Abstand und über 30 Prozent in den Umfragen.
33,3 Prozent sind dabei eine neuralgische Marke: Bekommt die AfD mehr als ein Drittel der Landtagsmandate, wird die extrem rechte Partei zu einem noch größeren Machtfaktor, weil sie eine Zweidrittelmehrheit verhindern könnte.
Mit dieser Sperrminorität könnte die AfD wichtige demokratische Prozesse wie Verfassungsänderungen, die Berufung von Verfassungsrichter*innen, die Ernennung von Richter*innen oder die für die Überwachung des Verfassungsschutzes zuständige Parlamentarische Kontrollkommission beeinflussen, blockieren oder behindern.
Höcke will Gelder für Kampf gegen Rechts streichen
Besonders komplizierte Verhältnisse drohen in Thüringen: Schon seit 2019 verhinderte die dort starke AfD klare Mehrheiten, weil ohne Linke oder AfD keine Regierungsbildung möglich war. Die CDU betont bis heute die Brandmauer zu den extrem Rechten, hält aber auch am Unvereinbarkeitsbeschluss zur Linken fest.
Das Ergebnis war der Schock nach der Wahl des Kurzzeitministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) im Februar 2020 – auch mit Stimmen der AfD. Nach bundesweiter Entrüstung trat Kemmerich zurück, seitdem regiert eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow (Linke) mit teils großen Schwierigkeiten, Gesetze durchzubringen. Und die CDU setzt im Vorwahlkampf die Minderheitsregierung auch unter strategischer Nutzung der AfD-Stimmen unter Druck.
Bei der Wahl in Thüringen hat der AfD-Landeschef, Rechtsextremist Björn Höcke, beste Chancen auf ein gutes Ergebnis. Als der Kopf des völkischen Parteiflügels kürzlich mit rund 88 Prozent zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl aufgestellt wurde, fantasierte er machttrunken gar von der absoluten Mehrheit und kündigte an, dass er als Ministerpräsident „die Machtfrage stellen“ werde. Als erste Amtshandlung wolle er alle Gelder im Kampf gegen rechts streichen und dann den Rundfunkstaatsvertrag kündigen.
Um sämtliche mögliche Szenarien durchzudeklinieren, haben die Jurist*innen vom Fachportal Verfassungsblog das „Thüringen Projekt“ gestartet. Ziel ist, genau auszuloten, wo es in der Landesverfassung Schwachstellen gibt. Kurzum: Wo bieten sich autoritären Parteien Angriffsflächen – und wie kann man sich dagegen wappnen?
Initiator des Projekts ist Maximilian Steinbeis, Chefredakteur des Verfassungsblogs. Er mahnt an, dass sich die rot-rot-grüne Minderheitsregierung sowie die CDU Gedanken machen müssten über verfassungsrechtliche Spielräume für autoritäre Parteien. Die sieht er insbesondere in der Formulierung im Artikel 70 der Landesverfassung, in dem es um die Ministerpräsidentenwahl bei der konstituierenden Sitzung des Landtags geht.
AfD könnte Ministerpräsident stellen
Ein mögliches Szenario: Nach zwei Wahlgängen ist noch kein Regierungsoberhaupt gewählt, weil die Kandidat*innen keine absolute Mehrheit erreichen konnten. Dann gilt im dritten Wahlgang laut Landesverfassung als gewählt, wer „die meisten Stimmen erhält“.
Das lasse Spielraum für verschiedene Auslegungen: Theoretisch könnte ein ohne Gegenkandidat antretender Ministerpräsident im dritten Wahlgang mit nur einer Jastimme gewählt sein, obwohl er deutlich mehr Neinstimmen bekommen hat. Die Auslegung ist rechtlich umstritten. Andererseits sichert die Meiststimmenregelung, die auch in anderen Landesverfassungen steht, dass das Parlament in jedem Fall seiner Kernfunktion nachkommt, eine Regierung zu bilden.
Steffen Dittes (Die Linke), Fraktionsvorsitzender in Thüringen
Hinzu kommt die politisch komplexe Lage. Denn praktisch könnte der dritte Wahlgang auch so ausgehen: Wenn die CDU auf ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linken beharrt und SPD, Grüne und Linke zusammen nicht auf mehr Abgeordnete als die AfD kommen, könnte Thüringen am Ende mit Höcke als Ministerpräsident dastehen, gewählt mit den „meisten“ Stimmen – denen der AfD.
Denkbar wäre auch eine Neuauflage des Kemmerich-Szenarios, wenn die AfD erneut vorsätzlich einen eigenen Kandidaten durchfallen lässt – etwa um einen CDU-Kandidaten mitzuwählen.
Steinbeis jedenfalls mahnt an, die Lücke zu schließen – „oder zumindest das Szenario abzuwenden, dass es eine Regierung gibt, die bis zur Klärung durch das Verfassungsgericht von der AfD als verfassungswidrig diffamiert werden kann“, wie er sagt.
Schlafwandelnd in ein Desaster
Für die Auslegung der strittigen Verfassungspassage ist am Ende der Landtagspräsident verantwortlich. Und hier lauert das nächste Problem: Bisher stellt laut Geschäftsordnung die stärkste Fraktion den Landtagspräsidenten – und die könnte nach der Wahl am 1. September die AfD sein.
Im Zweifel könnte also ein Rechtsextremer nach dem dritten Wahlgang das Ergebnis auslegen. Zwar könnten die anderen Fraktionen vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof klagen, aber die Hängepartie würde eine Verfassungskrise herbeiführen, Parlament und Amt beschädigen – eine Situation, die wie gemacht wäre für ein Ausschlachten durch autoritäre Parteien.
Um ein solches Chaos zu verhindern, hat jüngst der thüringische Innenminister Georg Maier (SPD) eine Verfassungsänderung gefordert, um das System „wetterfest“ zu machen – in der laufenden Legislatur könnte man diese noch per Zweidrittelmehrheit ohne die AfD beschließen, wenn CDU, Grüne und Linke mitspielten. Maier warnte in der Süddeutschen Zeitung davor, erneut in ein Desaster zu schlafwandeln.
Sein Ministerpräsident Ramelow widersprach allerdings vehement, er halte nichts von „apokalyptischen Zuspitzungen“, wolle eine Niederlage nicht schon vor dem Wahlkampf thematisieren oder „das Problem nur über juristische Spitzfindigkeiten lösen“, weil das nur bei der AfD einzahle.
Verfassungsänderung wäre Bärendienst
Auch Steffen Dittes, Fraktionsvorsitzender der thüringischen Linken, sagte der taz: Anzuzweifeln, ob die Verfassung und ihre Institutionen insbesondere bei der Ministerpräsidentenwahl „wetterfest“ seien, erweise der Demokratie einen Bärendienst. „Es ist ein Armutszeugnis, heute vom Scheitern der Demokraten auszugehen und daran eine Verfassungsregelung ausrichten zu wollen.“ Zunächst müsse über eigene Politik, aber auch in der Auseinandersetzung alles getan werden, was eine starke AfD verhindere, so Dittes.
Er warnte trotz drohender AfD-Sperrminorität auch davor, Minderheitenrechte etwa im Richterwahlausschuss zu beschneiden – das könnte sich schließlich auch ins Gegenteil verkehren, wenn sich die Kräfteverhältnisse veränderten: „Demokratieabbau zum Schutze der Demokratie ist eine schlechte Idee.“ Wehrlos sei die Demokratie deswegen aber noch lange nicht, sagt Dittes und verweist auf die in der Verfassung verankerte Möglichkeit eines Parteiverbots.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die CDU forderte unlängst zwar ein unübliches Vorabklärungsverfahren am Landesverfassungsgericht, rechnet aber mangels Einigkeit bei Rot-Rot-Grün auch nicht mehr mit einer Einigung. Die Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Madeleine Henfling sagte der taz, dass sie immer noch für ein Vereindeutigen der Passage sei, „damit wir uns nicht übertölpeln lassen“. Aber angesichts der festgefahrenen Postionen im Verfassungsausschuss ist eine Änderung bezüglich des dritten Wahlgangs der Ministerpräsidentenwahl nahezu ausgeschlossen.
Steinbeis vom Verfassungsblog findet es vor allem wichtig, dass die Diskussion über drohende Szenarien in Gang gekommen ist. Politik und Wähler*innen müssten sich vor der Wahl der systemischen Gefahren bewusst sein, die durch eine autoritäre Partei wie die AfD drohen – das Problembewusstsein steigere bereits die Resilienz. Steinbeis sagt: „Es gibt kein absolut wasserdichtes System. Man kann die autoritäre Bedrohung nicht durch Verfassungsdesign ausschließen.“ Letztlich bleibe es eine Frage der politischen Verantwortung – der Politiker*innen, aber auch der Wähler*innen.
Immerhin, eine Einigung dürfte unter den Demokrat*innen noch möglich sein. Der parlamentarische Geschäftsführer der Linken, André Blechschmidt, sagte der taz, dass gegenwärtig gemeinsam mit anderen Fraktionen die Geschäftsordnung mit Blick auf die Wahl des Landtagspräsidenten diskutiert werde. Denkbar sei, dass die Wahl geöffnet werde, wenn der vorgeschlagene Kandidat der stärksten Fraktion in mehreren Wahlgängen nicht auf eine erforderliche Mehrheit komme. Dann könnte der dritte Wahlgang für Kandidaten anderer Fraktion geöffnet werden. Gut möglich also, dass dann nicht die AfD den Landtagspräsidenten stellt, auch wenn sie stärkste Kraft wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Innereuropäische Datenverbindung
Sabotageverdacht bei Kabelbruch in der Ostsee