Die AfD will’s noch extremer als normal

Die AfD vertagt auf ihrem Parteitag ihre Spitzenkandidatenfrage, zieht mit dem Slogan „Deutschland. Aber normal“ in den Wahlkampf – und verschärft ihr Wahlprogramm

Befinden sich im vorläufigen Burgfrieden: die AfD-Bundes­chefs Tino Chrupalla und Jörg Meuthen (rechts) Foto: Fo­to: ­Mat­thi­as Rietschel/reuters

Von Sabine am Orde

Jörg Meuthen und Alexander Gauland sind nur noch selten gleichermaßen über AfD-Interna empört. Zu sehr haben sich der Parteichef und der Fraktionsvorsitzende in entgegengesetzten Lagern in der AfD verschanzt. Doch am Samstagabend beim Bundesparteitag in der Dresdener Messe war diese Seltenheit zu beobachten.

Zuvor hatten sich beide zu Wort gemeldet, doch sie konnten die Mehrheit der Delegierten nicht umstimmen. Diese sorgten dafür, dass der „Dexit“, der Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union, nun als Ziel im Wahlprogramm der AfD für die Bundestagswahl zu finden ist. Es ist eine von mehreren Verschärfungen, für die die Delegierten, auffällig häufig mit rhetorischer Unterstützung von Björn Höcke, dem rechtsextremen Landeschef aus Thüringen, im Entwurf des Wahlprogramms stimmten. Eine andere: die grundsätzliche Absage von Familiennachzug bei Geflüchteten. Die Ablehnung einer Pflicht zum Masketragen aus Infektionsschutzgründen. Oder eine harte Zuwanderungsbeschränkung nach japanischem Vorbild.

Jenseits der Programmdebatte aber gab sich die AfD große Mühe, den Eindruck von Streit zu vermeiden. Den Ton dafür setzt Meuthen bereits bei seiner Auftaktrede. Während er beim vergangenen Parteitag in Kalkar Teilen seiner Partei die Leviten las, ist jetzt der politische Gegner das Ziel. „Die Union ist nach 16 Jahren Merkel leer, entkernt, skandalgeschüttelt und ohne jede verbliebene Substanz – und zwar inhaltlich wie personell“, ruft er den fast 600 Delegierten des Präsenzparteitags zu. Überraschend ist Meuthens Fokus nicht. Schließlich ist der Parteitag der Einstieg der AfD in den Bundestagswahlkampf. Da will die zutiefst gespaltene Partei Geschlossenheit ausstrahlen, so gut es eben geht.

Als eigentlichen Gegner macht Meuthen aber nicht wie früher die Union, sondern die Grünen aus. Und holt dafür den alten CDU-Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ aus der Mottenkiste: Für Freiheit steht aus seiner Sicht die AfD, die Grünen sind für den Sozialismus zuständig. „Maximaler Einsatz“ aber sei nicht nur für die Bundestagswahl im September notwendig, sondern auch für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni, fährt Meuthen fort. Bei dieser Wahl habe die AfD die große Chance, erstmals stärkste Kraft zu werden, was ein Auftrag zur Regierungsbildung sei. Die AfD müsse geschlossen in diese Wahlkämpfe ziehen.

Das sehen selbst seine parteiinternen Gegner vom „Flügel“-Netzwerk so. Und so schafft es ein Antrag, der Meuthens Abwahl fordert und ihn für Strafzahlungen wegen der Annahme illegaler Spenden persönlich belangen will, gar nicht erst auf die Tagesordnung. Auch die Kür von Spit­zen­kan­di­dat:innen für die Bundestagswahl wird verschoben. Zuvor hatte sich in einer Onlinebefragung eine große Mehrheit der teilnehmenden Parteimitglieder für eine Urwahl ausgesprochen, die meisten Delegierten fühlen sich an diesen Beschluss gebunden – obwohl die Befragung ein machtstrategischer Schachzug war, um bestimmte Kan­di­da­t:in­nen zu verhindern.

Während in den Dresdner Messehallen die AfD tagte, begrüßten am frühen Samstagmorgen Gegendemonstranten den laut ihren Plakaten „faschistischen Haufen“. Schon um 7 Uhr begann ein Fahrradkorso, der in letzter Minute juristisch durchgesetzt wurde. Dieser sollte stationär verharren, sickerte aber von Löbtau zum Messegelände durch. Vor Ort versammelten sich bis zu 250 Protestierer, die den Halleneingang mit Sprechchören und ihrem Lautsprecherwagen lautstark beschallten. „Keine Bühne für die AfD“ oder „Willkommen im Tal der Ahnungslosen“, stand auf Plakaten.

30 Demonstranten blockierten zwischenzeitlich auch die Zufahrt zum Parkplatz,Polizeikräfte leiteten die Autos der AfD-Delegierten um. Die Polizei vermeldete eine Identitätsfeststellung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Eine Sprecherin des Protests zeigte sich mit den Aktionen zufrieden. Das AfD-Parteitagsmotto „Deutschland. Aber normal“ kritisierte sie deutlich: Dieses sei „die Absage an eine offene und pluralistische Gesellschaft, die Äußerung der Sehnsucht nach der Neuauflage der Barbarei“. (miba)

Der Parteitag beschließt lediglich, dass ein Duo die AfD in die Wahl führen soll. Wahrscheinlich ist, dass einer der beiden Meuthens Co-Chef Tino Chrupalla sein wird. Der „Flügel“-nahe Malermeister gilt als Kandidat der Ostverbände, auch hat ihn sein Verband in Sachsen an die Spitze der Landesliste gewählt. Chrupalla hat außerdem Gaulands Segen, der selbst zwar wieder für den Bundestag kandidiert, aber aus Altersgründen nicht mehr für den Spitzenjob antreten will.

Offen aber ist die zweite Person, die wohl aus dem Westen kommen soll. Co-Fraktionschefin Alice Weidel hatte am Samstag mitgeteilt, dass sie auf dem Parteitag nicht als Kandidatin zur Verfügung stehe. Ob sie jedoch bei der Urwahl antrete, sei noch nicht entschieden. Weidel – in der AfD wirtschaftsliberal gestartet, inzwischen aber durchaus „Flügel“-kompatibel – steht in der Partei in der Kritik: Wie Meuthen ist sie in eine Spendenaffäre verstrickt, in der Fraktion werden der Chefin Führungsschwäche und häufige Abwesenheit nachgesagt. Auch dass Markus Lanz jüngst öffentlich machte, dass Weidel mehrfach Auftritte in seiner Talkshow ausgeschlagen hatte, macht die Lage nicht besser für sie. Zudem steckt Weidel in einem Kleinkrieg mit Meuthen, in dem sie bislang wenig Punkte machte.

Als mögliche Gegenkandidatin schickt das Meuthen-Lager die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar ins Rennen, die erst in Kalkar in den Bundesvorstand gewählt worden ist. Ihr Nachteil: Sie ist bundesweit nicht sehr bekannt. Zudem steht Cotar in Hessen nur auf Listenplatz 2. Weidel allerdings ist in ihrem Landesverband Baden-Württemberg noch gar nicht gewählt, dort ist noch keine Liste aufgestellt. Baden-Württemberg hat sich, wie die AfD in Bayern, für ein schriftliches Verfahren entschieden, was dauern kann – und möglicherweise nicht abgeschlossen ist, wenn die Mitglieder über die bundesweiten Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen abstimmen. Das Ergebnis der Urwahl soll Ende Mai vorliegen. Weil Kan­di­da­t:in­nen sich einzeln oder als Team bewerben könnten, dürfte viel davon abhängen, ob Chrupalla sich für eine Partnerin entscheidet.

In seiner Rede kritisiert Chrupalla die „innerparteilichen Kleinkriege“ der vergangenen Monate, von denen die politischen Gegner profitiert hätten, und fordert „Schluss mit dem Lagerdenken“ in der AfD. Das Sticheln gegen seinen Co-Chef Meuthen allerdings kann er nicht lassen. Dieser habe ja recht gehabt, als er in Kalkar mehr parteiinterne Disziplin einforderte. Aber diese, so Chrupalla, müssen eben auch für den Bundesvorsitzenden gelten.

Anders als sonst meldet sich immer wieder Rechtsaußen Höcke zu Wort

Chrupalla, der meist ungelenk und hölzern spricht, schlägt auch den Bogen zur Wahlkampagne der AfD, die bereits am Freitagabend vorgestellt worden war. Ihr Slogan: „Deutschland. Aber normal“. Das folgt der Strategie der AfD, sich harmloser darzustellen, als sie ist, und so die Barriere zur bürgerlichen Mitte einzureißen. Aber was normal ist, will letztlich natürlich die AfD bestimmen.

Bevor die Delegierten in die Programmdebatte einsteigen, verabschieden sie noch eine Coronaresolution, die es in sich hat. Darin lehnt die Partei PCR-Tests als ungeeignet ab, um eine Infektion sicher nachzuweisen. Auch spricht sie sich gegen jedweden Testzwang aus, also auch in Altenheimen oder Schulen. Auch dazu meldet sich Höcke zu Wort: „Die Testung und die Anzahl der Testungen führt überhaupt dazu, dass wir eine Pandemie haben.“

Überhaupt tritt Höcke, der sonst auf Bundesparteitagen meist schweigt, in Dresden auffällig häufig ans Saalmikrofon. Und zeigt mit seinen Interventionen, dass er Mehrheiten drehen kann. Damit wird mit ihm wohl noch zu rechnen sein.

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