AfD-Landrat in Sonneberg: Sesselmann darf im Amt bleiben
AfD-Landrat Sesselmann besteht den „Demokratie-Check“. Der Fall zeigt rechtliche Schwachstellen. Auch bleiben Zweifel an der Neutralität des Landrats.
Fraglich ist nach dem AfD-Erfolg, wie tiefgreifend eine solche Prüfung sein sollte, aber auch, warum erst nach einer Wahl die Verfassungstreue eines Kandidaten geprüft wird und wie künftig mit ähnlichen Konstellationen umgegangen wird.
In der Pressemitteilung des zuständigen Landesverwaltungsamts vom Montag heißt es lediglich, „dass die Wahlvorschriften bezüglich der Feststellung der Wählbarkeit eingehalten wurden.“ Eine weitere Prüfung oder ein rechtsaufsichtliches Eingreifen sei derzeit nicht notwendig: „Unter Einbeziehung der Erkenntnisse des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen werden beim neu gewählten Landrat von Sonneberg, Robert Sesselmann, derzeit keine konkreten Umstände gesehen, die von hinreichendem Gewicht und objektiv geeignet sind, eine ernsthafte Besorgnis an dessen künftiger Erfüllung der Verfassungstreuepflicht auszulösen“, heißt es.
Gleichwohl habe die Rechtsaufsicht aufgrund der konkreten Anhaltspunkte in diesem Fall von Amts wegen prüfen müssen – eben weil die AfD in Thüringen als gesichert rechtsextrem gilt. Zugleich hält sich das Landesverwaltungsamt weitere Schritte bei etwaigen Verfehlungen vor: „Bei Bedarf stehen jederzeit geeignete aufsichtliche Mittel zur Verfügung, um die Durchsetzung aller in Thüringen geltenden rechtlichen Regelungen zu sichern.“
Schwachstelle im System
Bezüglich der offenen Fragen schreibt das Justiz-Portal LTO etwa von einer „Schwachstelle im System“, weil der Wahlausschuss, der vor dem Urnengang die Wählbarkeit der Kandidat*innen abklären soll, mit einer tiefgehenden Prüfung der Verfassungstreue überfordert sein dürfte. Der nämlich besteht aus Ehrenamtlichen und nicht Verwaltungsjuristen, die innerhalb sehr kurzer Zeit eine Entscheidung über die Eignung von Kandidat*innen treffen sollen.
Im Fall Sesselmann habe der Ausschuss laut LTO keine „öffentlich verwertbare Erkenntnisse“ zu Sesselmann eingeholt. Bisher stellt der Ausschuss lediglich fest, ob formelle Vorgaben erfüllt sind wie Mindest- oder Höchstalter sowie stimmige Unterlagen. Im konkreten Fall gab es auch wie bei allen anderen Kandidat*innen eine Prüfung einer früheren Zusammenarbeit mit der Stasi und eine Selbsterklärung, für ein Beamtenverhältnis geeignet zu sein.
An Sesselmanns Gesinnung gibt es indes wenig Zweifel: Er wird zwar gemeinhin als eher blass umschrieben, war aber nichtsdestotrotz unter Höcke Teil der AfD-Fraktion im Landtag und sprach vergangenen Herbst bei einer „Friedensdemo“ in Sonneberg im Reichsbürger-Sound davon, dass die Bundesrepublik als „Marionettenstaat der US-Politik“ dienen solle. Die USA führe einen Stellvertreterkrieg gegen die europäische und deutsche Wirtschaft, so der jetzige Landrat. Auf Anfrage der taz, ob etwa diese Rede in die Prüfung eingeflossen ist, gab es zunächst keine Antwort vom Landesverwaltungsamt.
Der Deutsche Landkreistag will nun laut T-online prüfen, „ob ein Wahlausschuss künftig mehr leisten muss, um eine umfassendere Prüfung zu realisieren“. Die Frage stelle sich erst mit dem Erfolg der AfD, weil jetzt Bewerber ins Amt kommen könnten, bei denen die Frage nach der Verfassungstreue nicht einfach zu beantworten sei. Möglich sei laut Verwaltungsamt auch, eine solche Prüfung per Gesetz verbindlich an den Anfang zu legen. Dafür sprach sich auch der Verfassungsrechtler Michael Brenner aus, weil dann die Überprüfung einer Entscheidung auch vor der Wahl möglich sei.
Zweifel an Neutralität
Dass Zweifel an Sesselmanns Amtseignung berechtigt erscheinen, zeigte unterdessen einer seiner ersten öffentlichen Auftritte, von dem ein Videomitschnitt in den sozialen Medien kursiert: Dort betrieb der eigentlich zur Neutralität verpflichtete Landrat während einer Ansprache auf einem Grundschulhof wenig verhohlene Wahlwerbung für die AfD: Wer mit der „bisherigen Politik“ nicht einverstanden sei, solle das Kreuz bei der Landtagswahl 2024 „an einer bestimmten Stelle oder einer richtigen Stelle“ machen, so der AfD-Landrat inmitten von Grundschüler*innen und Lehrkräften. Gerade die AfD klagte in Vergangenheit gerne und häufig gegen über Verletzungen der Neutralitätspflicht – etwa wenn Staatsdiener*innen angesichts einer sich gefährlich normalisierenden extrem rechten AfD ihre Besorgnis um die Demokratie formulierten.
Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) kritisierte den Auftritt umgehend: „Dieser Einstand bestätigt alle Befürchtungen.“ Die Kommunalaufsicht müsse einschreiten, wenn der Landtrat keine politische Zurückhaltung übe. Der Auftritt sei keine Lappalie, so Holter. Tatsächlich steht im Thüringer Schulgesetz: „Werbung für politische Parteien und politische Gruppierungen ist in der Schule grundsätzlich nicht zulässig.“
In Sonneberg organisiert sich unterdessen antifaschistischer Protest gegen die rechte Hegemonie: Letzten Sonntag demonstrierten mehrere hundert Personen „für eine lebenswerte Provinz für alle – ohne Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus“. Das Bündnis „Sonneberg gegen rechts“ forderte die Zivilgesellschaft auf „zu verhindern, dass rechte Hetzer den Diskurs in der Stadt bestimmen“ und zog vor das Landratsamt. Das Bündnis kündigte weitere Aktionen an. Letzte Woche hatte bereits die Punk-Band Feine Sahne Fischfilet mehrere Solidaritätskonzerte für antifaschistische Menschen vor Ort gespielt.
Die Thüringer Linken-Abgeordnete Katharina König-Preuss kommentierte die Zulassung Sesselmanns mit einem Zitat von der vor zwei Jahren verstorbenen Antifaschistin und Shoah-Überlebenden Esther Bejarano: „Wer gegen die Nazis kämpft, der kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern