AfD-Kandidat für Bundestagspräsidium: Der Trick mit der Geschäftsordnung
Es gibt einen Weg, wie man den AfDler Albrecht Glaser als Vizepräsident des Bundestags verhindern kann. Doch dass es so kommt, ist unwahrscheinlich.
Die AfD-Fraktion wird sich für den Posten des Bundestagsvizepräsidenten voraussichtlich einen neuen Kandidaten suchen müssen. Führende Politiker von SPD, Linken, Grünen und FDP haben angekündigt, den AfD-Kandidaten Albrecht Glaser nicht zu wählen. Die AfD kündigte an, an Glaser festhalten zu wollen. Ein Sprecher der CDU-/CSU-Fraktion wollte sich gegenüber der taz nicht zur Personalie und zum Abstimmungsverhalten der Fraktion äußern.
Doch selbst wenn sich die Union der Stimme enthalten würde, hätte Glaser keine Chance. Nötig für die Wahl ist die einfache Mehrheit der Stimmen: Ein/e Kandidat/in braucht somit mehr Ja- als Nein-Stimmen. Der AfD-Politiker Albrecht Glaser hatte im Frühjahr auf einer AfD-Veranstaltung gefordert, dass man Muslimen das Recht auf freie Religionsausübung „entziehen“ müsse, weil der Islam „dort, wo er das Sagen hat, jede Form von Religionsfreiheit im Keim erstickt“. Mehrere Politiker der AfD haben sich in der Vergangenheit islamfeindlich geäußert. Das Besondere am Fall Glaser ist, dass es um eine wichtige Personalie des Bundestags geht – und dass die Äußerungen auf Video dokumentiert sind.
Der grüne Fraktionsvorsitzende Cem Özdemir hat der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Montag gesagt: „Wer die Religionsfreiheit in Frage stellt, hat sich disqualifiziert. Ich kann so jemanden nicht wählen.“ Ähnlich äußerten sich Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch und Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion. Sein Amtskollege Carsten Schneider von der SPD sagte, dass Kandidaten „natürlich auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und insbesondere die Grundrechte respektieren“ müssten. „Das bezieht sich auf Albrecht Glaser“, konkretisierte Fraktionssprecher Rüdiger Petz gegenüber der taz.
Entzug der Religionsfreiheit verfassungswidrig
Im Grundgesetz ist die freie Ausübung jeder Religion geschützt. Die Religionsfreiheit gehört zu den so genannten Grundrechten – ein „Entzug“ der Religionsfreiheit wäre klar verfassungswidrig, erst recht, wenn er sich gegen eine einzelne Religion wenden würde. Das dürfte auch der erfahrene Politiker Albrecht Glaser wissen, der jahrzehntelang Mitglied der CDU und in den 90er Jahren Stadtkämmerer in Frankfurt am Main war.
Wahrscheinlich ging es ihm mehr darum, mit einer bewusst gesetzten Provokation innerparteiliche Zustimmung zu erheischen und weniger um eine ernst gemeinte politische Forderung. Für die umstrittene Rede-Passage auf der AfD-Veranstaltung bekam Glaser starken Beifall.
Theoretisch könnte die strittige Personalie gelöst werden, indem der Bundestag die Geschäftsordnung des Bundestags ändert und die Zahl der Vizepräsidenten reduziert. Seit 1994 – damals rückten die Grünen mit Antje Vollmer erstmals in das Bundestagspräsidium auf – steht jeder Fraktion „mindestens ein Vizepräsident oder eine Vizepräsidentin im Präsidium“ zu. Vorher gab es diese Regelung nicht, und sie könnte jederzeit wieder geändert werden. Dem erteilte der Sprecher der SPD-Fraktion gegenüber der taz aber eine Absage. „Wir wollen der AfD nicht die Opferrolle ermöglichen. Die Fraktion soll gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben“, sagte Petz.
Selbst wenn man die Geschäftsordnung ändern würde, wäre es schwer zu begründen, warum ausgerechnet die AfD-Fraktion keinen Posten im Bundestagspräsidium bekommen sollte. Die AfD bildet nach Union und SPD die drittgrößte Fraktion. Das wahrscheinlichste Szenario dürfte sein, dass die AfD an Albrecht Glaser auch nach mehreren gescheiterten Wahlgängen festhält und den Posten notfalls für unbestimmte Zeit vakant lässt.
Die Situation erinnert an das Jahr 2005 und den damaligen Kandidaten der PDS, Lothar Bisky, der vier Mal antrat und jedes Mal durchfiel. Ein halbes Jahr später schließlich gab die PDS auf und stellte die Abgeordnete Petra Pau auf. Pau ist bis heute Vizepräsidentin des Bundestags.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!