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Ärz­t:in­nen zum Charité-Streik„Bräuchten ein großes Investment“

Am Mittwoch legen Ärz­t:in­nen an der Charité die Arbeit nieder. Zwei Me­di­zi­ne­r:in­nen erklären, was sie in ihrem Job unzufrieden macht.

Hunderte Ärz­t:in­nen streiken am Dienstag vor dem Bettenhochhaus der Charité in Mitte Foto: picture alliance/dpa | Fabian Sommer
Interview von Hanna Fath

taz: Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund hat die Ärz­t:in­nen an der Charité zu einem eintägigen Warnstreik am Dienstag aufgerufen. Worum geht's den Mediziner:innen?

Lam-Thanh Ly: Wir Ärz­t:in­nen sind schon seit vielen Jahren unzufrieden mit den Arbeitsbedingungen. Trotz der großen Unzufriedenheit hat sich die Ärz­t:in­nen­schaft bislang noch nicht wirklich organisiert, um bessere Arbeitsbedingungen einzufordern. Das liegt auch daran, dass der Job so stressig ist, dass man sich neben der Arbeit kaum noch engagieren kann. Seit der Beginn der Covid-Pandemie wurde es nochmal schlimmer. Die Arbeitsbelastung ist gestiegen. Und kleine Corona-Prämien für Pflegende oder Ärz­t:in­nen sind für uns wertlos, wenn langfristig nichts an den Arbeitsbedingungen verändert wird.

In den aktuell laufenden Tarifverhandlungen fordert die Gewerkschaft 6,9 Prozent mehr Lohn. Welche konkreten Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht außerdem noch zentral?

Ly: Wir fordern eine Begrenzung der Bereitschaftsdienste. Zur Zeit übernehmen Kol­le­g:in­nen teilweise acht bis zehn Bereitschaftsdienste pro Monat. Dazu kommt, dass diese Dienste gar nicht für das Arbeitszeitkonto zählen. Die Nachtdienste werden als „Ruhezeit auf Abruf“ verbucht, tatsächlich ist es aber so, dass man in der Nacht oft überhaupt nicht schläft, maximal ein bis zwei Stunden. Wir bestreiken jetzt auch die Entgeldtabelle, aber uns liegt viel mehr daran, gleichzeitig bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen und eine bessere Planbarkeit, damit wir nicht ständig einspringen müssen.

Im Interview: Lam-Thanh Ly und Julian Gabrysch

arbeiten als Ärz­t:in­nen an der Berliner Charité und sind Mit­grün­de­r:in­nen der Berliner Ärzt:inneninitiative, die sich ebenfalls an dem Streikaufruf der Gewerkschaft Marburger Bund beteiligt.

Was Sie beschreiben, sind das Charité- oder berlinspezifische Probleme?

Julian Gabrysch: In Berlin wurde 15 Jahre lang massiv an der Krankenhausinfrastruktur gespart, Investitionen wurden verschoben. Es geht um Gebäudesanierungen, aber auch um die IT-Infrastruktur. Eigentlich bräuchten wir ein großes Investment in ein modernes Krankenhaus-Datenverarbeitungssystem. Das ist aktuell nicht drin, obwohl es auch der Vorstand befürwortet. Hier fehlen die Finanzen auf der Ebene der Landespolitik.

Sie wollen sich nun in der neu gegründeten Berliner Ärz­t:in­nen­in­itia­ti­ve zusammenschließen. Warum braucht es diese Ebene der Vernetzung?

Gabrysch: Einerseits erleben wir, dass sich der Marburger Bund weit entfernt hat von den „einfachen Klinikärzt:innen“, die Rückkopplung zwischen Charité und dem ärztlichen Personal ist über die Gremien des Marburger Bundes nicht mehr gut gegeben. Wir haben den Bedarf für eine Art Grassrootsbewegung gesehen, damit wir direkt in den Austausch gehen können. Außerdem hat der Marburger Bund zwar in den letzten Jahren ganz ordentliche Tarifabschlüsse durchgesetzt, aber mit Blick auf die Arbeitsbedingungen hat er seine Aufgabe als Gewerkschaft nicht wirklich gut erfüllt. Wir gründen deshalb eine Art progressiven Flügel in der Hoffnung, den Marburger Bund auf einen Kurs zu bringen, der die Arbeitsbedingungen aktiver angeht.

Wie wird sich der Streik auf den Krankenhausbetrieb auswirken?

Gabrysch: Es wird eine Sonntagsbesetzung geben: Notfälle und die Rettungsstelle werden selbstverständlich versorgt, geplante Untersuchungen werden auf die nächsten Tage verschoben. Wir haben eine Notdienstvereinbarung angeboten, die wurde von der Charité bislang nicht angenommen, aber die Kol­le­g:in­nen sind sehr bemüht und besorgt um die Patient:innen, die aktuell im Haus sind. Das hat Priorität bei allen.

Wie geht es nach dem Streiktag heute weiter?

Gabrysch: Wir hoffen, dass wir mit dem einen Streiktag mit praktisch 100 Prozent Streikbeteiligung ein so starkes Zeichen setzen, dass sich niemand traut, schlechte Angebote in die Tarifverhandlungen einzubringen. Wir haben das Gefühl, dass der Vorstand an konstruktiven Lösungen interessiert ist und hoffen, dass ein guter Tarifabschluss möglich ist. Als Berliner Ärz­t:in­nen­in­itia­ti­ve werden wir uns darauf fokussieren, politisch unsere eigene Lobby zu bilden. Weil nicht alles im Tarifvertrag geregelt werden kann, sondern durchaus auch politische Dimensionen hat, die wir innerhalb der Tarifverhandlungen nicht adressieren können.

Auch die Situation in der Pflege war Anlass für Streiks in den letzten Monaten – findet hier eine Vernetzung statt?

Gabrysch: Die Vernetzung ist sehr gut, wir haben viel Unterstützung von der Berliner Krankenhausbewegung bekommen und von ihren Erfolgen lernen können. Wir stehen weiterhin im Austausch und haben vor, das gemeinsam anzugehen. Es geht um zwei verschiedene Berufsgruppen, aber die schlechte Finanzierung und die schlechte Infrastruktur teilen wir uns und da können wir gemeinsam an einem Strang ziehen.

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2 Kommentare

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  • Mediziner und Pflegekräfte greifen häufig deshalb zu diesen Berufen, weil es empathische Menschen sind, die anderen helfen wollen.

    Seit der Privatisierung des Gesundheitswesens wird das in meinen Augen hinterrücks und systematisch ausgenutzt.

    So gut wie nirgends sonst würde irgendwer dieses Arbeitspensum durchziehen, auch nicht für mehr Geld.

    Mehr Geld ist dennoch wichtig, damit mehr Menschen für die Berufe gewonnen werden können und die durch Corona beschleunigte Abwärtsspirale durchbrochen wird. Zusätzlich müssen klare Ziele definiert werden bzgl. Reduktion der Arbeitsbelastung und realistische Maßnahmen, die das erreichen können.

    Es muss erstmal Vertrauen in die Strukturen geschaffen werden, um überhaupt eine Chance zu haben, wieder mehr Menschen für die Berufe zu gewinnen.

    • @Co-Bold:

      Am Geld liegt es eindeutig nicht, sondern an den Arbeitsbedingungen, hier gilt es den Hebel anzusetzen. Wer viel arbeitet soll auch viel verdienen, wer weniger arbeitet( work-live Balance) verdient weniger. Die Gründe für weniger arbeiten liegen eben im privaten Bereich und sind vielfältig. Mangel an Ärzten ist im Vergleich zu anderen Europa Ländern kaum festzustellen, und wenn dann nur lokal. In Berlin , München und Hamburg gibt es ein Überangebot an Ärzten, sodass Zulassungsbeschränkungen eingeführt wurden, auch für Psychotherapeuten. Ausländische Ärzte würden auch für die Hälfte des Gehaltes arbeiten( Polen, Rumänen, Ukrainer, Russen, Spanier, Griechen), aber auch hier wurden die Schranken geschlossen, vermutlich weil diese Ärzte dann in deren Heimatländern fehlen und das dortige Gesundheitssystem noch maroder ist und ohne Bakschisch gar nichts läuft. Verbandswechsel nach Fingeramputation 250 Euro und dies 2x/ Woche. Arzt sein in Deutschland ist immer noch ein Privileg das gut honoriert wird. Diese mit dem Pflegepersonal in einen Topf zu werfen, ist Äpfel mit Birnen vergleichen. Vergleichbare Berufsgruppen wären eher Erzieher oder Lehrer, auch gemessen an der gesellschaftlichen Verantwortung. Das Pflegepersonal hat auch Verantwortung, die gemessen an der Entlohnung, nur als Beleidigung empfunden werden kann. Selbst bei einer 30% Erhöhung kämen sie noch lang nicht in die Nähe der Ärzte. Bevor jetzt ein Sturm der Entrüstung losbricht: Jedem Arzt an der Charité ist klar, dass dies nur vorübergehend ist und dass man dies nur 10- 15 Jahre durchhält, dann erfolgt ein Wechsel oder die Niederlassung im ambulanten Berich. Kein langjähriger Facharzt oder Oberarzt macht 10-15 Nachtdienste neben der normalen 42h-Woche, höchstens Rufbereitschaft. Das Pflegepersonals muß den Beruf 45 Jahre ausüben