Ärger um Hannovers Fahrradstraßen: Niemand will weichen
Nach einem Gerichtsurteil hat die Stadt alle Fahrradstraßen geprüft und nachgebessert. Nun gibt's Ärger bei Anwohnern, die um Parkplätze fürchten.
Das hatte sich unter anderem in einem spektakulären Twittervideo gezeigt, in dem sich eine Radfahrerin und ein LKW-Fahrer 40 Minuten lang gegenüberstanden, weil keiner weichen wollte – bis die Polizei eingriff und die Radfahrerin zum Ausweichen nötigte.
Die Freude über den Erfolg vor Gericht dürfte sich beim Kläger allerdings in Grenzen gehalten haben. Denn die Stadt reagierte nicht etwa mit einer Aufhebung der Fahrradstraße – sondern mit weiteren Einschränkungen für den Autoverkehr. Unter anderem wurde das Parken am Straßenrand untersagt und der Durchgangsverkehr wurde unterbunden.
„Wo Fahrradstraße draufsteht, muss auch Fahrradstraße drin sein“, fasst Tiefbauamtschef Andreas Bode das Urteil zusammen. Es reicht nicht, ein paar Schilder aufzuhängen, sondern der Radverkehr muss tatsächlich fühlbare, messbare Vorteile haben. Bodes Fachbereich stand nun vor der Aufgabe, sämtliche Fahrradstraßen der Stadt noch einmal überprüfen zu müssen. Das wiederum sorgt jetzt für viel Ärger, vor allem in Hannovers Südstadt. Hier verlaufen die meisten Fahrradstraßen der Stadt: acht von insgesamt 23. Und, so stellte die Stadt bei ihrer Überprüfung fest, die haben an vielen Stellen Nachbesserungsbedarf, wenn man die neuen Gütekriterien, die man aus dem Gerichtsurteil destilliert hat, zugrunde legt.
Viel Nachbesserungsbedarf
Die sehen zum Beispiel eine Fahrbahnbreite von mindestens vier Metern vor – damit Radfahrer auch dann noch nebeneinander fahren können, wenn Gegenverkehr kommt. Parken Autos am Straßenrand, muss noch ein Sicherheitsabstand dazukommen, um zu verhindern, dass es zu Unfällen mit plötzlich geöffneten Autotüren kommt.
Der Schmerzpunkt ist immer derselbe: Wo Parkplätze wegfallen, regt sich Protest – bei den Anwohnern und infolgedessen auch bei etlichen Bezirksratsmitgliedern. Im Bezirksrat Südstadt-Bult sehen sich Verwaltung und Grüne nun einer Kritiker-Phalanx aus CDU, FDP und SPD gegenüber. Obwohl hier – wie in der Stadt insgesamt – eigentlich Grüne und SPD zusammenarbeiten. Das wird vor allem deshalb aufmerksam registriert, weil die SPD auch auf Stadtebene gerade gegen das Verkehrskonzept des grünen Oberbürgermeisters Belit Onay schießt.
Doch in der Südstadt geht der Riss nicht nur entlang der Parteigrenzen – sondern auch quer durch die Einwohnerschaft. Wenn sich in der einen turbulenten Bezirksratssitzung vor allem wütende Autofahrer zu Wort melden, mobilisiert zur nächsten die – ebenfalls nicht kleine – Fahrradfahrerlobby, die darauf pocht, mit der lang angekündigten Verkehrswende mal Ernst zu machen.
Das hängt auch mit der sehr speziellen Struktur dieses Stadtteils zusammen. Die Südstadt ist eine der beliebtesten Wohngegenden Hannovers: sehr zentral, aber trotzdem idyllisch gelegen, zwischen Maschsee und dem Stadtwald Eilenriede, dicht bebaut und dicht besiedelt, eher bürgerlich, kinderreich und voller Grünen-Wähler. Mit einem S-Bahnhof, sieben U-Bahn-Linien und drei Buslinien ist der Stadtteil eigentlich optimal erschlossen, was den öffentlichen Nahverkehr angeht. Gleichzeitig ist bei den PKW der Parkdruck enorm, weil zahlreiche Kultureinrichtungen, Krankenhäuser, Firmen und andere Institutionen Autoverkehr von außen anziehen.
Enormer Parkdruck
Die Stadt hat hier gerade erst – nach langem Streit – neue Anwohnerparkzonen ausgewiesen. Man könne doch nicht, heißt es aus den Reihen der CDU und SPD, den Leuten erst teure Anwohnerparkberechtigungen aufdrängen und dann Parkplätze streichen.
Doch, doch, erwidert die Verwaltung nüchtern. Es gebe ja immer noch circa 1.700 Stellplätze für 1.900 berechtigte Anwohner. Das sei sogar ein vergleichsweise gutes Verhältnis, möglich wäre es nach aktuellem Recht, doppelt so viele Anwohnerparkausweise zu verkaufen wie Parkplätze vorhanden sind.
Und während die Verwaltung versucht, ihre Pläne als weitgehend alternativlos darzustellen, lassen die Gegner des Fahrradstraßenausbaus nichts unversucht, um die Grundlage anzuzweifeln. Das Urteil sei doch nur in der ersten Instanz gefallen und beziehe sich auch nur auf einen Einzelfall – warum die Stadt denn nicht vor das Oberverwaltungsgericht gezogen sei, will ein CDU-Abgeordneter wissen – und vermutet den ideologisch verblendeten grünen OB dahinter.
Ob diese vier Meter nun wirklich nötig seien, nur damit Radfahrer schwatzend nebeneinander herfahren können, will dagegen eine SPD-Abgeordnete wissen.
Tiefbauamtsleiter Andreas Bode und der Leiter der Straßenverkehrsbehörde, Carsten Siegert, lassen sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Das ist alles sehr sorgfältig geprüft worden, sagen sie.
Und der Bezirksrat könne sowieso nur hopp oder top sagen. Er kann Fahrradstraßen einrichten oder aufheben – aber nicht je nach Verkehrslage neu bestimmen, wie die Fahrradstraße nun an diesem Ort auszusehen habe.
Die Debatte ist erst der Auftakt
Diese Friss-oder-stirb-Logik kommt bei Kommunalpolitikern aber naturgemäß nicht gut an. Man könnte doch sehr wohl einzelne Maßnahmen zur Absicherung des Fahrradverkehrs beschließen, bohrt die SPD-Fraktionsvorsitzende Petra Adolph nach. Dann würde man das Ganze eben nicht mehr Fahrradstraße nennen, aber man könnte ja trotzdem zum Beispiel Durchgangsverkehre einschränken oder Sperrflächen für Radfahrer an Kreuzungen schaffen.
Das wiederum stößt den Grünen sauer auf, die gern darauf verweisen, dass man im Koalitionsvertrag eigentlich die Schaffung zusätzlicher Fahrradstraßen vereinbart hatte und keine Abschaffung.
SPD und CDU wollen außerdem eine stärkere Bürgerbeteiligung bei der Entscheidungsfindung, die Verwaltung weist dagegen daraufhin, dass es hier nicht nur um die Interessen der unmittelbaren Anwohner geht. „Dann müssen sie auch die fragen, die diese Straßen nutzen und nicht nur die, die dort wohnen“, mahnt Bode.
Entschieden ist dieser Streit noch lange nicht, die Debatte in der Novembersitzung des Bezirksrates war erst der Auftakt. Aufmerksam beobachtet wird sie allerdings auch weit über diesen kleinen, feinen Stadtteil hinaus. Denn es gibt entweder am Ende höhere Standards für Fahrradstraßen – oder eine Rolle rückwärts und insgesamt weniger Fahrradstraßen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung