■ Ägypten: Die islamistische Szene gerät völlig außer Kontrolle: Attacke auf den Staatshaushalt
Die Opfer sind mit Bedacht und absoluter Skrupellosigkeit ausgewählt. Touristen sind Ägyptens wichtigste Devisenbringer, ein Anschlag auf die in auffällige Reisebusse gepferchten Fremden ist leicht durchzuführen und eine direkte Attacke auf den Staatshaushalt. Um den nicht zu gefährden, wird Ägyptens Regierung auch jetzt betonen, bei dem Anschlag handele es sich um einen „Einzelfall“, Ägyptens militante Islamisten seien längst zerschlagen.
Mit der Realität hat diese Darstellung nichts zu tun. Seit 1992 in Ägypten Islamisten der nur mäßig demokratisch herrschenden Regierung den Krieg erklärten, sterben in dem Land am Nil wöchtenlich Menschen durch Kugeln und Bomben, mehr als 1.100 Opfer soll der Konflikt bereits gefordert haben. In der Brutalität unterscheiden sich beide Seiten kaum. Beim Krieg zwischen Militanten und Militärs gilt: Gefangene werden nicht gemacht. Und wer von den Behörden auch nur der Sympathie mit Islamisten verdächtigt wird, landet im Gefängnis – häufig ohne Prozeß und ohne einen Anwalt gesehen zu haben.
Doch den gewünschten Erfolg hat die rigide Verfolgung der Islamisten bisher nicht gebracht – im Gegenteil: Die Militanten wurden radikalisiert. Je härter die Repression, desto brutaler wurden die Anschläge, desto rücksichtsloser die Ziele ausgewählt. Richteten sich die Attentate anfangs gegen Repräsentanten der verhaßten Staatsführung, standen bald Dorfpolizisten auf der Abschußliste, dann die christliche Minderheit des Landes und schließlich Touristen. Und je unnachgiebiger die Regierung islamistische Organisationen verfolgen ließ, desto weniger verließen sich die Bewaffneten auf deren Strukturen. Bei Anschlägen haben inzwischen nicht mehr die Gamaat al-Islamia (Islamische Gruppen) die Befehlsgewalt, sondern selbsternannte „Feldherren“. Den im Oktober zum Tode verurteilten beiden Männern, die für einen Anschlag auf einen vollbesetzten Touristenbus in Kairo verantwortlich waren, konnte keine organisatorische Verbindung zu den Islamischen Gruppen nachgewiesen werden, nur eine ideologische Nähe. Ägyptens islamistische Szene gerät außer jeglicher Kontrolle.
Im Juli boten die Islamischen Gruppen der Regierung einen Waffenstillstand an. Der Vorschlag sei eine „Farce“, hieß es aus Kairos Präsidentenpalast. Beim nächsten Angebot sollte die Regierung bedachter reagieren – solange die islamistischen Organisationen bei ihren Sympathisanten noch Gehör finden. Sonst drohen am Nil tatsächlich „algerische Verhältnisse“. Thomas Dreger
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