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Acta-Protest und ShitstormAngst vor dem Mob

Zeitungen schreiben, die Anti-Acta-Proteste seien ein Shitstorm gewesen. Ihre tatsächliche Bedeutung wird so verkannt und ungebührlich klein geredet.

Man wird sich wohl daran gewöhnen müssen, dass „so Leute“ sich in die Politik einmischen. Gut so. Bild: reuters

Der Pöbel regiert. Schrieb kürzlich jedenfalls die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung über das Aus für das Handelsabkommen Acta: „Governance by Shitstorm“.

Die Acta-Gegner, so war zu lesen, seien eine „dröhnende anonyme Masse“, die Politiker vor sich hertreiben – die sich, bangend um ihr „Image bei der Netzgemeinde“, deren Diktat unterwerfen. Die Süddeutsche Zeitung pflichtet dem bei und schrieb vor dem Acta-Votum des EU-Parlaments am Mittwoch: „Würde die Politik Acta kippen, hätte sie vor dem Schwarmgeist kapituliert.“ Mehr Demokratie würde das nicht bedeuten, sei eher ein „revolutionärer Akt mit ungewissem Ausgang“.

Protestbewegungen sind unangenehm. Sie stören Routinen, verstopfen Postfächer und Straßen, einige ihrer Anhänger sind mitunter bescheuert. Aber sie sind Ausdruck einer lebendigen Demokratie, einer aktiven Zivilgesellschaft.

Die Anti-AKW-Bewegung – ein Shitstorm? Die Ostermärsche oder Stuttgart 21? Dass Printjournalisten offenbar analog auf die Straße getragenen Argumenten mehr politische Substanz zusprechen als digital kommunizierten, sagt mehr über deren Horizont als über die Acta-Gegner.

Ja, darunter sind schlimme Klugscheißer, nervige Dummschwätzer mit gefährlichem Halbwissen und Alarmisten. Leute, die es schwer machen, Verständnis für ihr Anliegen zu entwickeln. Sie gibt es aber in jeder Massenbewegung, übrigens auch in jeder Firma.

Was soll dieser pauschale Shitstorm-Vorwurf? Woher kommt die Lust an der Verachtung junger Menschen, die sich genötigt fühlen, sich politisch einzumischen, wenn es darum geht, wie andere ihre Lebenswelt regeln? Gerade bei der Diskussion ums Urheberrecht im digitalen Zeitalter – und auch darum ging es ja bei Acta – muss mehr Dialog in diesem merkwürdigen Kampf der Kulturen her. Nicht weniger.

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10 Kommentare

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  • T
    Tomate

    "Die Acta-Gegner, so war zu lesen, seien eine 'dröhnende anonyme Masse', die Politiker vor sich hertreiben – die sich, bangend um ihr 'Image bei der Netzgemeinde', deren Diktat unterwerfen."

     

    Sagte nicht letztens schon schon Bismarck etwas Ähnliches über das Demokratengeschmeiß? Bei solchen Aussagen kommt unwillkürlich raus, wo einer steht.

     

    "Ja, darunter sind schlimme Klugscheißer, nervige Dummschwätzer mit gefährlichem Halbwissen und Alarmisten."

     

    So nennt man in der Regel all diejenigen, die anderer Meinung sind als der jeweils redeführende Klugscheißer, Dummschwätzer, Halbwisser und Alarmist.

     

    Na, hoffentlich kommt bald Ipred2 und ganz besonders das "Leistungsschutzrecht" - lauter Würgestricke, durch die man direkt oder indirekt die freie Meinungsäußerung im Web 2.0 abwürgen kann. Dann sind wir den "meinungsfreien" Internet-Pöbel endlich los.

  • CS
    Carlo Schmidt

    Es tauchen immer wieder die gleichen Namen auf, wenn aus der sogenannten Netzgemeinde zitiert wird. Die meisten finden sich bei Plattformen wie " Ntzpolitik.org, die schon allein durch das Kürzel" org" so tun, als wäre da irgendein NPO dahinter.Jedoch sind diese entweder direkt in Instituten beschäftigt, welche von Google und Co finanziert werden, oder erhalten das ganz übliche Lobby Gehalt. Seltsamerweise üben diese wenigen auch einen enormen Einfluß auf Netzpolitiker aller Parteien, besonders den Grünen, aus. diese Politiker sind aber oft gleich selbst von google und co gesponsert, sei es für irgendwelche Studienarbeiten zur " Digitalisierung der Gesellschaft. Dahinter folgen die Deppen Legionen des Internets, diese sind ,wie im Falle des Gema Angriffes von " Anonymous" entweder pupertäre Kids, die halt neben den Onanieren auch anderen Spaß suchen, oder haben von acta eigentlich keinen blassen schimmer, aber der Protest klang irgendwie cool. Fragte man auf Anti Acta Demonstrationen in die Runde, was den das nun sein, wurde man blass vor Entsetzen, was für eine manipulierbare Masse mit Null Durchblick zu finden ist. Übrigens ich bin auch gegen Acta, aus dem Grund, dass es zu schwammig formuliert ist, und willkür ermöglichen könnte.Von den Netz Lobbyisten wird das ganze jedoch für das höhere Ziel, der Schwächung von Urheberrechten zur Profitmaximierung von Google und Co, eingesetzt. Es ist verwunderlich, wieso kein Journalist die Geldströme von z.b Netzpolitik.org durchleuchtet.

  • KB
    Kasimier Buchcik

    Ich denke man kann dieses Thema mit der CISPA-Geschichte in den USA vergleichen. Es tut weh, soviel Dünnsinn der USA Represantives zu hören wie im Folgenden und leider nicht nur vereinzelt:

    http://www.youtube.com/watch?NR=1&feature=endscreen&v=tZuQYWM-fig

     

    Es ist einfach Zorn und Empörung zu entfachen, wenn dubiose Argumente so naiv und leicht durschaubar vorgelegt werden.

     

    Noch einmal: Es ist immer ein Shit-Hoch, welches von einem "Shitstorm" begleitet wird.

     

    Best regards

  • KB
    Kasimier Buchcik

    Ein "Shitstorm" ist leider notwendig, da Wissen und Entscheidungen noch nie gut in wenig Köpfen aufgehoben waren. Politiker, Journalisten, etc. leben wie alle übrigen Menschen in ihrer eigenen Scheinwelt, welche durch Erfahrung, Lobbyismus und den Grad an eigenem Interesse und Muße für ein spezifisches Thema bestimmt wird.

     

    Was ich mich frage: da der "Shitstorm" ja nun vom Shit zum Gold befördert wurde: wie kann man sicherstellen, dass soetwas nicht noch einmal geschieht? I.e. wie können *wir* sicherstellen, dass die wenigen politischen, journalistischen, etc. Köpfe, welche am lautesten vor sich hin posaunen dürfen, weil sie davon leben, die nötige Kopfwäsche erhalten, um so einen Shit schon im Vorfeld zu vermeiden? Oder ist dies eine Tradition, welche man unbedigt jedes Jahr von neuem auffährt, und guckt, ob der Shit durchkommt.

     

    I.e. den Shit sieht man im Spiegel (nicht der Zeitung ;-)).

     

    Best regards

  • T
    Tillmann

    Meine Zustimmung, nur habe ich das Gefühl, es würde durchaus Sinn machen Kommentare (nicht Leserkommentare) deutlicher von richtigen Artikeln zu Unterscheiden.

  • M
    Micha

    Ich finds auch verwunderlich, wie schnell Acta ad acta gelegt wurde. Bei anderen Themen rennt die Mehrheit der Politiker nicht so schnell dem Protest hinterher. Vielleicht, weil grenzübergreifend protestiert wurde. Zur Entstehung des Protests gegen Acta:

     

    http://iley.de/index.php?pageID=20000000&article=00001738&die_europaeische_digitale_buergerrechtsbewegung

  • J
    Jörn

    Die Diffamierung des Protests wundert u so mehr als das Abkommen auf denkbar undemokratische Weise entworfen wurde. Das Einzige, was ich kritisieren würde, ist, dass sich die Parlamente nur nach massivem Bürgerprotest gegen ihre eigene Entmündigung wehren.

    Gesetzgebung ist neben dem Haushaltsrecht das ureigenste Recht des Parlaments. Internationale Abkommen binden die nationalen Gesetzgeber. Daher dürfen internationale Abkommen keinem Geheimbund von Wirtschaft und Exekutive überlassen werden. Schade dass SZ und FAZ davor die Augen verschliessen.

  • A
    aurorua

    So einen "SHITSTORM" wünschte ich mir auch einmal für Erwerbslose, Armutsrentner und Leihsklaven mit Aufstockung.

    Diese Menschen i.d.R. unverschuldet in dieser Situation müssen nach Warmmiete als Einzelperson mit 374 Euro im Monat, ihr Essen, Strom, Gas, Telefon, Kleidung, einfach alles finanzieren, während sich GRÜNE um die Besteuerung von Menschen mit 50.000 (fünfzigtausend) Euro im Monat Gedanken machen, um sich einen sozialen Anstrich zu verpassen.

  • A
    aurorua

    "Ja, darunter sind schlimme Klugscheißer, nervige Dummschwätzer mit gefährlichem Halbwissen und Alarmisten."

     

    Davon gibt es leider auch viel zu viele Parteibuchkarrieristen in Führungspositionen!

  • J
    Jan

    "Die Acta-Gegner, so war zu lesen, seien eine „dröhnende anonyme Masse“, die Politiker vor sich hertreiben – die sich, bangend um ihr „Image bei der Netzgemeinde“, deren Diktat unterwerfen."

     

    Wenn man die dröhnende Masse weglässt und Netzgemeinde durch eine beliebige Interessensgemeinschaft (Solar-Lobby, Auto-Kobby, Waffen-Lobby) ersetzt, passt dieser Ausdruck auf die Lobbyarbeit in deutschen Landen wie maßgeschneidert.