Abtreibung in den Niederlanden: Weg mit der Bedenkzeit
Das Parlament der Niederlande hat zugestimmt: Frauen sollen nach dem Arztgespräch nicht mehr fünf Tage bis zum Schwangerschaftsabbruch warten müssen.
taz | Eine deutliche Mehrheit des niederländischen Parlaments hat am Donnerstag für eine Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs gestimmt. Der Gesetzesentwurf der liberalen Regierungspartei D66 sieht eine Reform des Abtreibungsgesetzes vor, bei der die obligatorische Bedenkzeit von fünf Tagen für Frauen zwischen einem ärztlichen Beratungsgespräch und einem Schwangerschaftsabbruch abgeschafft wird.
101 Abgeordnete unterstützten die Novelle, 38 waren dagegen. Die größte Regierungspartei VVD sowie die oppositionellen Sozialdemokraten von der PvdA und die grüne Partei GroenLinks unterstützen den Antrag ohnehin. Auch die Abgeordneten der sozialistischen SP sowie die Tierschutzpartei stimmten dafür.
Die in der Koalition vertretenen Christdemokrat*innen (CDA) und die calvinistische ChristenUnie (CU) sind gegen den Entwurf. Bevor das neue Gesetz in Kraft tritt, muss der Senat ebenfalls zustimmen.
In den Niederlanden finden jährlich rund 30.000 Schwangerschaftsabbrüche statt. Die seit 1984 gültige bisherige Regelung sollte den betroffenen Frauen zu einer “wohl überlegten Entscheidung“ verhelfen. Dieser Passus ermöglichte damals einen Kompromiss zwischen feministischen und christlichen Strömungen, der zur Quasi-Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen führte.
„Falsch, paternalistisch und nicht zeitgemäß“
Nach dem neuen Gesetzesentwurf beeinträchtigt dieses Vorgehen die Autonomie der Frauen. Diese müssten als Personen respektiert werden, die „im Stande sind, selbstständig Entscheidungen zu treffen“, heißt es. D66-Fraktionschef Jan Paternotte erklärte dem öffentlich-rechtlichen TV-Sender NOS im Vorfeld der Abstimmung, Frauen hätten ohnehin die Möglichkeit, gemeinsam mit Ärzt*innen ihre Entscheidung zu überdenken. Die meisten aber hätten ihren Entschluss längst getroffen. Ein gesetzliche Bedenkzeit sei daher „falsch, paternalistisch und nicht zeitgemäß“.
Aus den Reihen der christlichen Parteien hieß es dagegen, das neue Gesetz beende das bisherige Gleichgewicht zwischen weiblicher Selbstbestimmung und dem Schutz ungeborenen Lebens. Der umstrittene Kompromiss gibt in den Niederlanden seit Jahrzehnten Anlass zu Diskussionen, doch wegen der stetigen Regierungsbeteiligung christlicher Parteien blieb er in Kraft.
Als der Entwurf vor einem Jahr eingereicht wurde, sah der damalige Koalitionsvertrag vor, in der laufenden Legislaturperiode keine „medizinisch-ethischen Fragen“ zu behandeln. Mit dem Antritt der neuen Regierung in Den Haag im Januar hat sich die Sachlage verändert. Zwar ist die Zusammensetzung der Parteien identisch, doch sieht der aktuelle Vertrag vor, dass sich die Abgeordneten in entsprechenden Abstimmungen frei und unbeeinflusst von Fraktionsdisziplin entscheiden können.
Dass der Gesetzesentwurf in der neuen Legislaturperiode zur Abstimmung kam, zeugt von den Kräfteverhältnissen in der neuen Koalition, in der die liberalen Parteien VVD und D66 dominant sind. Auch in den Niederlanden fanden in den letzten Jahren heftige Debatten zwischen den Befürworter*innen einer Wahlmöglichkeit und den Gegner*innen von Schwangerschaftsabbrüchen statt. Mehrfach kam es zu aggressiven Protesten sogenannter „Pro Life“-Gruppierungen vor Abtreibungskliniken.
Zur Zeit wird im Parlament über eine weitere Reform diskutiert. Demnach soll die sogenannte “Abtreibungspille“ für Abbrüche bis zur neunten Schwangerschaftswoche künftig vom Hausarzt verschrieben werden können. Bislang ist diese Behandlung an eine Abtreibungsklinik gebunden.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert