Absturz der russischen Militärmaschine: Fatale Spekulationen
Über das abgestürzte russische Flugzeug tobt ein Informationskrieg mit unterschiedlichen Absichten – unabhängig vom tatsächlichen Hergang.
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D er Absturz einer russischen Militärmaschine am vergangenen Mittwoch in der Region Belgorod an der Grenze zur Ukraine ist derzeit in den Schlagzeilen. Aber auch über 24 Stunden später wissen wir lediglich, dass das Flugzeug vom Typ Iljuschin Il-76 vom Himmel gefallen ist – mehr nicht. Weder ist bislang klar, welche Fracht genau der Flieger geladen hatte und warum es zu dieser Bruchlandung kam, noch wer dafür die Verantwortung trägt.
Ein derartiger „Stoff“ bietet den idealen Nährboden für Spekulationen und Gedankenspiele aller Art, an denen sich auch Medien gern beteiligen. So wenig das der Wahrheitsfindung dient, so fatal können die Folgen sein.
Wie immer in solchen Fällen – und noch dazu in Zeiten des Krieges – beschuldigen sich beide Seiten gegenseitig. Die Adressat*innen dieses Informationskrieges sind an der jeweiligen Heimatfront und im Ausland zu suchen. Nehmen wir Moskaus unbestätigte Behauptung, dass sich an Bord des angeblich von der Ukraine abgeschossen Jets über 60 für einen Austausch vorgesehene ukrainische Kriegsgefangene befunden haben sollen.
Die Kategorie „Kriegsgefangene“ ist dabei ein Trigger schlechthin. Der Austausch von Gefangenen ist nämlich derzeit der einzige Bereich, in dem überhaupt noch ein Dialog stattfindet. Zudem dürfte dem Kreml nicht entgangen sein, dass der Unmut in der ukrainischen Gesellschaft ob des Schicksals von Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft wächst und bei Protesten entsprechend artikuliert wird. Last but not least: Sollte der Absturz ein Abschuss sein und auf das Konto der Ukraine gehen, würde das erneut Diskussionen über die (Nicht)-Lieferung bestimmter Waffengattungen befeuern.
Vielleicht wird die Wahrheit über das, was im Mittwoch in Belgorod passiert ist, nie ans Licht kommen. Gleichzeitig sollten wir gelernt haben, dass auch das unmöglich Erscheinende als reale Möglichkeit gedacht werden muss. Allein diese Erkenntnis ist schon erschreckend genug.
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