Abstimmung über Koalitionsvertrag: Unmut in der Berliner SPD
Berlins SPD-Landeschef:innen empfehlen den Gegner:innen der Koalition auf Bundesebene, jetzt mal „beiseitezutreten“. Das kommt nicht gut an.

Anlass war ein Pressestatement der Berliner SPD-Chef:innen Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel, in dem sie „die deutliche Entscheidung der SPD-Mitglieder“ begrüßen, „die angesichts der Wahlniederlage der SPD und der globalen Lage, aber auch des Erstarkens der AfD eine vernunftgetriebene Entscheidung ist“. So weit, so erwartbar.
Allerdings garnierten die dem konservativen SPD-Flügel zugerechneten Vorsitzenden ihre Einschätzung der Lage zusätzlich noch mit einem scharfen Hinweis an diejenigen, die sich gegen das Bündnis mit der Union aussprachen. „Für die parteiinternen Gegner dieser Koalition ist dies auch die Chance, einmal einen Schritt beiseitezutreten und sich auf die SPD zuzubewegen“, ließen Böcker-Giannini und Hikel wissen.
Ein Satz, der rasch für massiven Unmut unter den traditionell linker tickenden Funktionär:innen der Partei sorgte. Vize-Landeschef Mathias Schulz etwa keilte umgehend zurück: „Die Aussage der Landesvorsitzenden ist eine Ohrfeige für unsere Mitglieder.“ Auch wenn er selbst mit Ja gestimmt habe. Es gehe nicht an, dass die Gegner:innen der Koalition nun gemaßregelt werden. Vor allem aber: „Sie müssen sich nicht auf die SPD zubewegen. Sie sind Teil der SPD.“
Widerspruch aus den unterschiedlichsten Ecken
In Berlin hatten die Jusos und die Arbeitsgruppe Migration im SPD-Landesverband dazu aufgerufen, gegen die Koalition zu stimmen. Zudem hatte etwa ein Viertel der 35 Mitglieder umfassenden SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus angekündigt, gegen den Koalitionsvertrag zu votieren.
Die ablehnenden Stimmen kamen dabei aus den unterschiedlichsten Ecken. So warb der Sprecher für Antidiskriminierung, Orkan Özdemir, ein Intimus des mächtigen Fraktionschefs Raed Saleh, ebenso für ein Nein wie die umweltpolitische Sprecherin Linda Vierecke, die wie Mathias Schulz der Saleh-kritischen Gruppe „links und frei“ angehört.
Saleh selbst hatte sich mit Bewertungen von Schwarz-Rot im Bund zurückgehalten. Am Mittwoch sprang er den Kritiker:innen der Landesvorsitzenden gleichwohl dezent bei. „Die Partei steht vor der Notwendigkeit, beieinander und links der Union sichtbar zu bleiben, die Gremien vor der Herausforderung, die Bedenken gegen die Koalition ernst zu nehmen“, gab Saleh den Ladenzusammenhalter.
Nun hat das Führungsduo ohnehin keinen leichten Stand zwischen den unterschiedlichen Machtzentren der Berliner SPD. Nur zweieinhalb Stunden später sahen sich Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel dann auch gezwungen, ihre Botschaft „noch einmal neu klarzustellen“.
Die Formulierung habe, wie sie es nannten, „zu vereinzelten Missverständnissen“ geführt. Daher jetzt die Korrektur: „Mit der ursprünglichen Version sollte zu keinem Zeitpunkt der Eindruck erweckt werden, dass einzelne Genoss:innen nicht (mehr) zur Partei gehören würden. In Zukunft braucht es alle Mitglieder, um die SPD neu aufzustellen.“
Ende Mai trifft sich die Hauptstadt-SPD zu ihrem Landesparteitag, dem ersten großen Treffen der Genoss:innen seit dem Absturz bei der Bundestagswahl, bei der es in Berlin gerade noch für 15,1 Prozent gereicht hat. Nicht wenige in der einstigen „Berlin-Partei“ – insbesondere auf dem linken Flügel – machen dafür die Politik der schwarz-roten Koalition in Berlin mindestens mitverantwortlich. Es dürfte einiges zu bereden geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die SPD und Saskia Esken
Sozialdemokratische Unkultur
Studie zu NS-Gedenken
Mehrheit in Deutschland will den „Schlussstrich“
Besonders klimaschädliche Lebensmittel
Neuer Agrarminister Rainer gegen höhere Steuer auf Fleisch
Trumps Migrationspolitik
Absolute Willkür
100 Tage im Amt
Trumps Wirklichkeit steht im Kontrast mit der Realität
Stromausfall in Spanien und Portugal
Ratlosigkeit nach Blackout