Abstimmung über EU-Kommission: Stimmungstest für von der Leyen
Die Kommission muss sich im EU-Parlament einem Misstrauensvotum stellen. Den Antrag darauf hat ein rechter Abgeordneter eingebracht.

Mit einer Niederlage für die EU-Kommission (aus formalen Gründen wird über das gesamte 27-köpfige Team abgestimmt) rechnet kaum jemand. Die ganz große Koalition der EU-Freunde steht. Neben von der Leyens konservativer Europäischer Volkspartei EVP wollen auch Sozialdemokraten, Liberale und wohl auch die meisten Grünen gegen den Antrag des rumänischen Abgeordneten Gheorghe Piperea stimmen, der aus der rechtskonservativen EKR-Fraktion kommt.
Ein Ja würde nur den Rechten nützen und die EU in eine schwere Krise stürzen, heißt es in Brüssel. Der Misstrauensantrag sei „eine politische Inszenierung aus dem rechten Lager – angeführt von Kräften, die es auf eine Schwächung der EU und ihrer Institutionen abgesehen haben“, sagte René Repasi, Chef der SPD-Gruppe. „Putins Marionetten im Europäischen Parlament versuchen, die Einheit Europas zu untergraben“, schimpft EVP-Chef Manfred Weber.
Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Weber stützt sich bei wichtigen Abstimmungen im Parlament selbst immer wieder auf den EKR, aus dem nun der Misstrauensantrag kommt. Die viel beschworene „Brandmauer“ gegen rechts ist brüchig geworden, von der Leyens eigene Parteifreunde haben sie eingerissen. Und bei den Sozialdemokraten hat sich viel Ärger über die deutsche EU-Politikerin angestaut. Sie fordern einen Kurswechsel bis September.
Einiges schief gelaufen
Zuletzt ist einiges zusammengekommen. Da war zunächst, Mitte Mai, das Urteil des EU-Gerichts in Luxemburg. Es bescheinigte von der Leyen, gegen die eigenen Transparenzregeln zu verstoßen und forderte, besser zu begründen, warum sie SMS-Nachrichten mit dem Chef des US-Pharmakonzerns Pfizer nicht herausgeben will. Nicht nur die Rechten im Europaparlament mutmaßen, dass bei den Impfstoffverträgen mit Pfizer einiges schief gelaufen ist.
Neben SMS-Affäre und „Pfizergate“ kämpft von der Leyen aber auch mit anderen hausgemachten Problemen. Sozialdemokraten und Grüne werfen ihr vor, vom „Green Deal“ abzurücken und den Klimaschutz in der EU zu vernachlässigen. Parteiübergreifend ist die Klage, dass die Kommissionspräsidentin selbstherrlich agiert und ihre Behörde intransparent führt. Der Spottname „Queen of Europe“ ist in Brüssel in aller Munde.
Zuletzt hat das Parlament sogar eine Klage angekündigt, weil es sich beim 150 Milliarden Euro schweren neuen Rüstungsprogramm SAFE übergangen fühlt. Von der Leyen will den Plan im Eilverfahren am Parlament vorbei durchboxen, das geht sogar ihren Parteifreunden aus der EVP zu weit. Klagen kommen auch aus CDU/CSU – gerade erst haben sich NRW-Regierungschef Hendrik Wüst und CSU-Chef Markus Söder in Brüssel über zu viel Bürokratie beschwert.
Vor diesem Hintergrund wird die Vertrauensabstimmung in der kommenden Woche vielleicht keine Zitterpartie, wohl aber ein wichtiger Stimmungstest. Alle Augen richten sich auf von der Leyen und die Frage, ob sie ihre Truppen noch im Griff hat. Schon wenige fehlende Stimmen bei der EVP oder bei den Sozialdemokraten könnten von der Leyen den Nimbus der unverwüstlichen Krisenmanagerin nehmen. Auch ein Denkzettel sei nicht ausgeschlossen, heißt es in Brüssel.
Kommission schweigt
Wie brisant die Vertrauensabstimmung ist, zeigt auch die Reaktion der EU-Kommission: Sie schweigt – wie immer, wenn es unangenehm wird. Auch nach dem Urteil des EU-Gerichts in der SMS-Affäre Mitte Mai war sie in Deckung gegangen.
Umso lauter werden seither ihre Kritiker im Parlament. Sie finden sich übrigens nicht nur auf der parlamentarischen Rechten, sondern auch bei Linken und beim BSW. Das BSW will sogar für den Misstrauensantrag stimmen.
„Es ist erbärmlich, dass die Mehrheit des Europäischen Parlaments nicht einmal über die Rechtsbrüche von Frau von der Leyen in der Pfizer-Affäre diskutieren wollte“, erklärte der BSW-Europaabgeordnete Fabio De Masi. Er teile zwar nicht die Werte und die Politik der Rechten. Das Parlament müsse jetzt jedoch ein Zeichen setzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Dobrindt will Gespräche mit der Taliban
Abschieben für die AfD
Israels Pläne für Gaza und die Westbank
Deutschland bleibt Komplize
Geplantes Primärarztmodell
Ist da wirklich was, Frau Doktor?
Dobrindt will mit Taliban sprechen
Deutschlands „Migrationswende“ wird am Hindukusch verhandelt
Schwarz-rotes Stromsteuer-Fiasko
Vertrauen im Eiltempo verspielt
Ein Jahr Pflicht für Tethered Caps
Befreit die Deckel!