Abschottung der dänischen Grenze: „Kontrolle heißt Misstrauen“
Seit die dänische Regierung die Wiedereinführung der Grenzkontrollen beschlossen hat, wächst im Norden der Unmut über das Nachbarland.
Einmal berichtet, dann vergessen: Immer wieder bleiben im journalistischen Alltag Themen auf der Strecke. Die taz.nord möchte mit der Serie „Der zweite Blick“ dranbleiben an Themen, die wir für wichtig halten: Missständen, die wir kritisiert haben, Reformideen und Menschen, die losgezogen sind, die Welt zu verändern.
Der Regen lässt nach, es geht los – hinunter in Richtung Hafen. Flach ist es in Flensburg nicht, die Altstadt liegt in einem Tal. Es geht vorbei am „Deutschen Haus“. In den 1920ern spendierte die damalige Reichsregierung den FlensburgerInnen das Veranstaltungsgebäude – als Dank dafür, dass sie sich in einer Volksabstimmung für den Verbleib im Deutschen Reich entschieden hatten. Gegen Dänemark.
Am Hafen erzählt Müller von der alten Hafenbahn, die direkt bis zum Wasser fuhr. „Die Waren aus der Ostsee wurden hier umgeladen und zur Nordsee zum Weitertransport gebracht.“ Er weiß viel von der Geschichte Flensburgs. Und vom kulturellen Angebot. Nachdem der gebürtige Bremer 2003 nach Flensburg zog, war er bis 2013 Leiter des „Folkbaltica“, ein Festival für nordische und baltische Musik. Der studierte Musiker hat jetzt wieder mehr Zeit zum Spielen statt zu organisieren – Klavier, Gitarre, Ukulele.
Die alten Schiffe am Hafen sind inzwischen kleine Museen. „Die Region ist aus europäischer Sicht eine Vorzeigeregion“, sagt Müller. Der Süden Dänemarks, der Norden Deutschlands – beides Randgebiete. „Zusammen aber ist hier, natürlich mit vielen Fördermitteln, eine kulturell und touristisch total schöne Region entstanden.“ Vorbei die Zeit, in der man bei Flensburg an „Plopp, Punkte und Beate“ – also Flensburger Bier, das Kraftfahrtbundesamt und den Erotikversand – dachte.
Hier vom Hafen aus kann man Dänemark schon sehen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Flensburger Förde liegt Kollund. Dänemark ist aber nicht ein paar hundert Meter weit weg. Es ist auch hier am Hafen, in Flensburg. Vorbeigehende Familien sprechen Dänisch, die parkenden Autos haben dänische Kennzeichen, der Supermarkt am Ende der Straße zeigt auf Werbeanzeigen den Preis zuerst in Kronen, nachfolgend dann auch in Euro an.
Jens-Peter Müller, Bewohner des Grenzgebiets
Von den 93.000 EinwohnerInnen besitzen 2,5 Prozent die dänische Staatsangehörigkeit. Keine beeindruckende Zahl, allerdings haben viele Dänischstämmige den deutschen Pass. Das Stadtbild jedenfalls ist ziemlich dänisch geprägt. Der dänische Staat finanziert eine Zentralbibliothek, unweit davon entfernt hat der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der die dänische Minderheit im nördlichsten Bundesland vertritt, sein Büro. „Viele der Jüngeren, die zum Studieren wegziehen, gehen nach Kopenhagen, Aarhus oder Odense“, sagt Müller. Viele zieht es später wieder zurück. Flensburgs amtierender Bürgermeister lebte einige Jahre in Dänemark, ehe es ihn wieder in seine Geburtsstadt zog.
Weiter, nördlich, in Harrislee stehen ein paar Radfahrer mit ihren Seitentaschen unter einer Bushaltestelle. „Der Radweg entlang der Küste nach Norden ist beliebt“, sagt Müller. Hinter ihnen ist der Strand. Eine ältere Frau kommt gerade aus dem Wasser. Außentemperatur 23 Grad, Wassertemperatur weniger als die Hälfte davon.
Müller erzählt, wie er vor einigen Wochen von dänischen Grenzpolizisten kontrolliert wurde. Er war mit seinem Sohn unterwegs: „Wir machten eine kleine Fahrradtour durch die Natur“, sagt er. Dabei waren sie auf einem Feldweg über die Grenze nach Dänemark gefahren. Als sie zurückkamen, standen dort zwei Beamte. „Ich wollte eigentlich nur grüßen und weiterfahren“, erzählt Müller, „aber wir mussten uns ausweisen.“ Nicht nur in den Zügen oder auf den Autobahnen wird wieder kontrolliert, auch auf den kleinen Radwegen. Nicht nur Geflüchtete bekommen das zu spüren, auch die Menschen aus dem Grenzgebiet – wenngleich in anderer Form.
Ein Bekannter von Müller, der sich für Geflüchtete engagiert, und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, berichtet von rassistischen Kontrollen, die er an der Grenze erlebt habe. „Mittlerweile vermeide ich es, da einzureisen – schon aus Protest“, sagt er. Es seien ja immer sogenannte verdachtsunabhängige Kontrollen. Seit 30 Jahren wohnt er in Flensburg. „Ich habe gefeiert, als die Grenzkontrollen vor vielen Jahren beendet wurden.“
Im Grenzgebiet hat sich etwas verändert. Die dänische Flüchtlingspolitik sorgt für Unmut, sie ist der Auslöser für einen Wandel: Die euphorischen Zeiten, als das Schengen-Abkommen den freien Grenzübergang ermöglichte, sind vorbei. Am 4. Januar dieses Jahres beschloss die dänische Regierung die Wiedereinführung der Grenzkontrollen. Vorübergehend für zehn Tage, hieß es. Da Schweden an diesem Januarmorgen die Grenzen zu Dänemark wieder zu kontrollieren begänne, müsse Dänemark wiederum die Menschen, die aus Deutschland einreisen wollen, kontrollieren. Und notfalls nicht ins Land hineinlassen. Endstation Flensburg also.
Seit Beginn der steigenden Flüchtlingszahlen galt Dänemark als Transitland. Viele Geflüchtete wollten nach Schweden. Im vorigen November sagte die schwedische Regierung, sie sei mit den vielen Geflüchteten überfordert. Aus Sorge, dass die Geflüchteten in Dänemark bleiben könnten, hat die rechtsliberale Minderheitsregierung, die von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei gestützt wird, die Sozialleistungen für AsylbewerberInnen halbiert – zur Abschreckung.
Das Schengen-Abkommen soll noch bis kommenden November ausgesetzt werden. Müller ist aber skeptisch. „Jetzt setzen die auch schon das Militär ein“, sagt er. Seit Mitte Juni unterstützt die Hjemmeværnet, ein Reservistenverband der Streitkräfte, die Polizei bei den Grenzkontrollen. Das Unbehagen gegenüber den Nachbarn wächst in Flensburg, nicht nur bei FlüchtlingsunterstützerInnen. Auch Anke Spoorendonk vom SSW, die Kultur- und Europaministerin von Schleswig-Holstein ist, sagt: „Die Kontrollen an unseren Grenzen können keine Lösung auf Dauer sein.“ Mehr Kritik an der dänischen Regierung ist vom SSW aber auch nicht zu erwarten. Derzeit gebe es „im täglichen Zusammenleben keine größeren Probleme, auch wenn der eine oder andere gelegentlich murrt“, so Spoorendonk.
Müller hingegen formuliert es deutlicher: „Wir erleben gerade einen Roll-Back in alte Zeiten.“ Der Unmut gegen die dänische Regierung wächst. Und damit auch gegen die dänische Bevölkerung: „An dieser Politik stören sich dort ja nur ganz wenige.“ Das Leben im deutsch-dänischen Grenzgebiet wird durch die dänische Flüchtlingspolitik beeinträchtigt. Nicht nur durch vermehrte Staus an den Grenzübergängen.
„Kontrolle heißt Misstrauen“, sagt Müller. Er befürchtet, dass mit den Grenzkontrollen ein schleichender Abbau des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Deutschen und Dänen begonnen habe. In Wasserleben, dort wo Deutschland endet, gibt es eine kleine Holzbrücke direkt am Meer.
15 Meter lang, führt sie über den Fluss Krusau, der hier in die Ostsee fließt. Der kleine Fluss trennt Deutschland von Dänemark. In der Mitte der Brücke kann man mit zwei Beinen in zwei Ländern stehen. Zwei kleine Hütten stehen auf beiden Seiten der Brücke. Hinter den Fenstern sind die Jalousien heruntergelassen. Ein Schild steht am Wegrand, das auf den Arbeitsalltag der damaligen Grenzbeamten auf beiden Seiten hinweist.
Stationiert ist dort heute niemand mehr. Unregelmäßige Kontrollen hingegen würde es aber hier auch geben. Die Grenzschrankengilde hat das Schild dort aufgestellt. Der dänische Verein kümmert sich um den Erhalt kleiner Grenzübergänge, die nach dem Abschluss des Schengen-Abkommens eigentlich nur noch historische und touristische Bedeutung haben.
Müller liest von der Tafel vor: „Jahrein und jahraus überwachten sie die Strecke, die sie so gut kannten wie den eigenen Garten“, steht da geschrieben. Ganz am Ende steht dann noch: „Mit grenzenlosen Grüßen — Die Grenzschrankengilde“. Mit der erhofften Grenzenlosigkeit ist es hier, nördlich von Flensburg, vorerst vorbei.
Förderlich für das freundschaftliche Verhältnis zwischen Deutschen und Dänen ist das nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?