Abschlusskonzert beim Musikfest: Nur mal eben kurz die Welt retten
Dass man mit dem „Weiter so“ nicht mehr weiterkommt, ist klar. Die Wende muss her, auch im Konzertsaal. Beim Musikfest Berlin hat man es versucht.
N ur mal kurz die Welt retten wollte man Anfang dieser Woche im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie, was ja erst mal ein ehrenwertes Vorhaben ist. Braucht man schließlich noch, die Welt.
Während sich der Saal langsam füllte, war wie in einer Sprechprobe aus den Lautsprechern zu hören: „Was für eine Zukunft erwartet uns?“ Eine erwachsene Stimme gab die Frage vor, eine Kinderstimme sprach unbeholfen nach: „Was für eine Zukunft erwartet uns?“ Hin und her ging das so, mittlerweile war der Saal bis auf nur wenige frei gebliebene Plätze besetzt. Darunter schon mit den Älteren im Publikum, die auch sonst bei den Konzerten des Musikfests zu sehen waren – der Abend mit dem Orchester Stegreif war der Abschluss des Berliner Festivals. Aber eben dazu sehr viel Jüngere, Jugendliche, gestylt im kleineren Schwarzen oder casual im Polohemd.
Also der Nachwuchs, den auch der Klassikbetrieb dringend braucht. „Zukunft“, plärrte es aus den Lautsprechern, oder eigentlich doch eher „Kufunft“, die auf den Rängen verteilten Musiker*innen des Orchesters Stegreif ließen erste tastende Töne in den Saal tropfen, es knarzte und schnalzte auf den Saiten, ein dabei geschrottetes Cello wurde wie eine Monstranz herumgezeigt, die Musik schwoll an zu einem Sog, aus dem sich schließlich ein mittelalterliches Singen herausschälte. In einer Prozession ging es für die Sängerinnen durch die Stuhlreihen auf die Bühne, angeführt wurden sie von einer Frau mit Topfpflanze.
Die musste wohl für die Natur ganz allgemein herhalten, die an dem Abend von dem Orchester Stegreif in seiner „Symphony of Change“ auch verhandelt werden sollte neben den Arbeiten von vier Komponistinnen – Hildegard von Bingen (1098–1179), Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758), Emilie Mayer (1812–1883) und Clara Schumann (1819–1896) –, die vom Ensemble noch einmal kompositorisch durchgeknautscht und mit reichlich anderem musikalischem Material drumherum garniert wurden.
Störgeräusche zwischendurch
Auch heftige Störgeräusche zählten da zwischendurch dazu, und dabei liefen dann alle wild durcheinander im Kammermusiksaal, nur das Publikum blieb natürlich sitzen; und schon formierten sich die jungen Musiker*innen des Orchesters zu einem neuen Bild, in einem neuen Spiel, wenn etwa gefällige Barockmusik mit aus den Lautsprechern kommenden ganz normalen Schreckensmeldungen der Gegenwart collagiert wurde.
Und später kam auch das sitzen gebliebene Publikum doch noch dran beim Mitmachen und durfte große leere Pappkartons durch die Reihen reichen, was sich – klar – zu einem perkussiven Zwischenspiel auswuchs. Immer passierte was in dieser theatralischen Inszenierung, mit der Musik als Verfügungsmasse, herumgereicht als Schauwert. Die klassische Musik gab es mit Easy-Listening-Touch, es klezmerte, man ließ es ordentlich rocken und hatte den Jazz.
So viel an den Armen untergehakte Geselligkeit, es schmeckte wie eine Konfirmandenfreizeit: jugendliche Gemeinschaft und viel guter Wille, der unbedingte Wille zu glauben und halt auch der Größenwahn, die ganze große Welt an einem selbst abzumessen.
Aufgepumpt wurde die Musik schließlich mit viel Programmatik. Die großen Fragen unserer Zeit. So wurde der Abend damit beworben, dass bei dieser „Symphony of Change“ immerhin „die 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen prominent in das Geschehen auf und neben der Bühne“ eingewoben seien. Und Ziel des Orchesters Stegreif ist es auch, „neue Wege aufzuzeigen, wie ein Orchester heute aussehen kann“. Kufunft? Ach ja.
So taumelte man musikalisch vom Mittelalter weg durch die Zeiten und irgendwie hörte es sich doch immer gleich glattgebügelt an. Von einem improvisierten Stegreif konnte auch nicht die Rede sein, da war alles im Ablauf einstudiert. Jubelnder Applaus und stehende Ovationen dankten. Aber sie haben sich auch wirklich angestrengt beim Orchester Stegreif. Um die Welt zu retten, wird das aber möglicherweise nicht reichen.
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