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Abschied von Thomas MüllerÜberall nur ganz große Liebe

Mit Thomas Müller verlässt den FC Bayern die perfekte Projektionsfigur ohne Ecken und Kanten. Unterschiedlichste Menschen waren ihm zugetan.

Alles nur Müller: Bei den Meisterschaftsfeierlichkeiten stand die scheidende Vereinslegende im Mittelpunkt Foto: Kai Pfaffenbach/reuters

ber den Fußballer Thomas Müller wurde bei der pompösen Abschiedsgala am Samstagabend in München kaum gesprochen. Ein wenig mag das auch am dichten Programm gelegen haben. Zwischendurch musste schließlich noch die Meisterschale ausgehändigt werden. Die scheidende Vereinslegende war selbstverständlich der erste Empfänger.

Einst wurde für Müller eigens das Wort „Raumdeuter“ geschöpft, weil er manches Defizit mit seinem außergewöhnlichen Spielverständnis wettmachte. Mit ronaldohafter Besessenheit hat er angesichts seiner Möglichkeiten das Maximum erreicht und strahlte zugleich wie kein anderer in diesem Geschäft gewitzte Gelassenheit, Lockerheit und maximale Zugänglichkeit aus.

Was für eine faszinierende Kombination! Selbst nach frustrierendsten Niederlagen bei Großturnieren lief Müller nie wie fast alle anderen am Pulk der Journalisten vorbei. Er stand Rede und Antwort, wie man in solch schwierigen Situationen sagt. Genau genommen hielt er jedoch nur ein lockeres Schwätzchen, um noch den ein oder anderen Spruch abzusetzen und in geselliger Runde das gerade Geschehene irgendwie zu verarbeiten.

Auch am Samstag bewegte er sich mit traumwandlerischer Leichtigkeit durch seinen letzten Abend als Fußballprofi in München. Mit den Anführern der Ultras in der Kurve kumpelte er auf deren Podest herum wie mit Schulfreunden. Er ließ seinen Gedanken vor den 75.000 Menschen in der ausverkauften Arena so unbeschwert freien Lauf, als spräche er gerade in der Mannschaftskabine. „Ich liebe euch alle, tatsächlich“, sagte er zum Abschluss.

Sagenhafte Anschlussfähigkeit

Dass das tatsächlich auf Gegenseitigkeit beruht, war danach hörbar. Einen Witz, der ihm gerade in den Sinn kam, gab er auch noch zum Besten. Angesichts dieser großen Gefühligkeit war es doch kein Zufall, dass Müllers fußballerisches Wirken eher nebensächlich blieb.

Der FC Bayern verliert mit Thomas Müller,der einst als Kind in Bayern-Bettwäsche träumte, eine perfekte Projektionsfigur mit einer sagenhaften Anschlussfähigkeit. Eine Rarität in einer Zeit, die so polarisierend wirkt. Der redselige Müller beherrscht die Kunst, Meinungsfreude, ohne wirkliche Kanten zu zeigen.

Er hat seine Freundinnen und Freunde im linken Spektrum wie auch in der AfD-Wählerschaft. Anders etwa als sein Teamkollege Leon Goretzka wird er nicht von Abgrenzungsbedürfnissen geleitet. Ein Stadion voller Zuneigung, für Thomas Müller kann es einfach nichts Schöneres geben.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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