Abschied vom Okjökull: Wie wir unsterblich werden

Island hat sich von einem Gletscher verabschiedet – und die Zeitgenossen mit einer Gedenktafel an ihre Verantwortung für den Klimawandel erinnert.

Mensch auf dem ehemaligen Okjökull-Gletscher.

Auf den Menschen kommt es an: Wanderer auf dem ehemaligen Okjökull-Gletscher in Island Foto: ap

Island ist schon lange das Bali des Nordens, eine Projektionsfläche für hitzefeindliche Zivilisationsmüde, die dort von der scheinbar unberührten Natur bis zur Elfen-Mystik alles suchen, was sie daheim nicht zu finden glauben.

Da ist es eine so hübsche wie traurige Ironie, dass die am Sonntag zum Gedenken an den Okjökull-Gletscher auf Island angebrachte Plakette sich mit ihrer Inschrift jeder Romantik verweigert. Hart wie ein gutes Brecht-Gedicht nagelt sie die Konsequenzen menschlichen Handelns beziehungsweise eben Nichthandelns fest. In den kommenden 200 Jahren würden alle isländischen Gletscher das Schicksal des Okjökull teilen, heißt es dort und weiter: „Dieses Denkmal bezeugt, dass wir wissen, was geschieht und was getan werden muss. Nur ihr wisst, ob wir es getan haben.“

Nun wird man einwenden können, dass der Okjökull bereits 2014 die wissenschaftliche Einstufung als Gletscher aberkannt bekam: Weil er, wie wir inzwischen gelernt haben, schon damals nicht mehr schwer genug am eigenen Eis trug, um sich fortzubewegen. Der Okjökull ist kein dynamisches Gebilde mehr, er ist im Fachjargon „Toteis“ und ein Symbol. „Ein Gesicht der Klimakrise“ nannte ihn denn auch die isländische Ministerpräsidentin Katrin Jakobsdóttir, die an der Zeremonie im Westen der Insel teilnahm.

Wie es aber mit Symbolen und Gesichtern wie dem des Klimanotstands so geschieht: Lange kann es nicht dauern, bis Schlaumeier hinausposaunen werden, dass die Zeremonie für den armen Okjökull mehr CO2 in die Luft geblasen hat, als wenn man auf sie verzichtet hätte: Auf der Gedenktafel ist ja nicht umsonst die im Mai gemessene CO2-Konzentration vermerkt, der höchste jemals von Menschen ermittelte Kohlendioxid-Gehalt in der Erdatmosphäre.

Die Natur des Menschen

Wer sich so im Klein-Klein verliert, verkennt die Größe des Problems. Was wir heute tun – eher: was wir heute gegen die großen privatwirtschaftlichen Interessen und ihre Irren in der Politik durchsetzen –, kommt nicht mehr uns zugute, sondern den Nachgeborenen. Der Okjökull ist schon weg, so wie ja auch die verbliebenen Gletscher in Deutschland sich verabschieden. Der Klimawandel ist deswegen ein so faszinierendes Phänomen, weil er die globale Gesellschaft auf die Probe stellt beziehungsweise sie vielleicht überhaupt erst schafft: Heißt es „nach uns die Sintflut“? Gibt es in der menschlichen Natur überhaupt so etwas wie Verantwortungsgefühl für die zukünftige Menschheit?

Es sind diese gesellschaftlichen Fragen, an denen sich die Zukunft entscheidet, nicht bare naturwissenschaftliche Fakten wie Gradzahlen oder CO2-Konzentrationen. Die Gedenktafel auf dem nackten Felsen fragt, ob wir in der Lage sind, für eine Zukunft Sorge zu tragen, die wir selbst nicht mehr erleben werden. Man könnte auch sagen: Ob wir unsterblich werden wollen, weil Zukünftige sich unserer erinnern – mit Zuneigung, hoffentlich.

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