Abschied aus dem Bundestag: Der letzte Liberale
Für Verkehrsminister Volker Wissing war der Kompromiss ein hohes Gut in der Politik. Die FDP hat er verlassen. Nun scheidet er aus dem Bundestag aus.
E r gilt als einer der Kapitäne der Ampelregierung und nimmt den Anspruch ernst, als letzter von Bord zu gehen: Der parteilose Volker Wissing amtiert, bis die neue Bundesregierung steht, als Verkehrsminister. Seit dem Bruch der Ampel hat er dabei noch das Justizministerium im Schlepptau.
Dafür gab der Mann aus Landau in der Pfalz nach 26 Jahren Mitgliedschaft in der FDP sein Parteibuch ab, als er im November Christian Lindner spektakulär die Gefolgschaft aus der Ampelkoalition verweigerte. Den Kompass des Liberalismus hält der 54-Jährige dennoch in der Hand.
„Statt gefährlichen Vorbildern nachzueifern und Demut gegenüber Populisten zu predigen, müssen wir zeigen: Unsere Demokratie ist das Beste, was uns passieren konnte“, schrieb Wissing jüngst in einem kurzen Nachruf auf den verstorbenen Gerhart Baum.
Der Beitrag, der im Stern erschien, lässt sich auch als Mahnung an seine ehemaligen Parteikolleg*innen verstehen. Es gelte, die Weltordnung nicht den autoritären Kräften zu überlassen. „Wir sind alle gefordert, unsere Werte zu verteidigen.“
Vater der Ampel
Wissing gilt als einer der Urväter des Berliner Ampelprojekts. Das erste Treffen mit Lindner und seinen Counterparts von den Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, endete im September 2021 mit einem stolzen Selfie, das Wissing bei Instagram postete.
Sein Bemühen darum, Kompromisse zu schmieden, machte Wissing schon damals in der Bildunterschrift deutlich: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus.“ Unterschiede sind dazu da, um überbrückt zu werden – vorausgesetzt man teilt eine gemeinsame Vision.
Es war diese Vision, die vielen in der FDP schon in den Monaten nach der Regierungsbildung abhandenkam, als die FDP eine Landtagswahl nach der anderen zu verlieren begann. Doch Wissing hielt Kurs. Anders als Lindner sieht er bis heute in dem Ampelbündnis nicht den Quell allen Übels, das die Liberalen in den vergangenen Jahren ereilte und sie in Umfragen in Richtung 4 Prozent schickte.
Nach dem Bruch der Bundesregierung und Wissings Abschied von der FDP hätten ihn viele Zuschriften erreicht, erzählte der Politiker im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Dabei ließ er auch durchblicken, wie eisig die Stimmung im Haus von Parteichef Christian Lindner ist. Wissing sagte, ihn hätten Nachrichten von „Bekannten“ erreicht, die ihn öffentlich dafür kritisiert hätten, die Interessen seiner Partei hinter die des Landes zu stellen. „Ich glaube, dass diejenigen, die meine Haltung nicht nachvollziehen können, mich entweder nie kannten oder nie meine Freunde waren.“
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