Abschiebungen in den USA: „Macht die Türen nicht auf“

Der US-Präsident will am Sonntag Papierlose in einer großangelegten Aktion abschieben. Tausende gingen dagegen in US-Städten auf die Straße.

Polizisten führen einen Mann ab und schieben ihn in ein Auto

Die Abschiebepolizei soll in mehreren Städten Razzien durchführen (Archivbild 2017) Foto: Charles Reed/ICE via ap

NEW YORK taz | MenschenrechtsaktivistInnen und AnwältInnen raten papierlosen Immigranten auf Spanisch und Englisch: „Macht nicht auf, wenn ICE klopft“. Für Sonntag hat US-Präsident Donald Trump den Beginn von mehrtägigen Razzien angedroht. Dabei soll seine Abschiebepolizei ICE in zehn Städten Papierlose verhaften und in Lager bringen, um sie anschließend abzuschieben. Trump hat 2.000 Menschen im Visier: Einige haben bereits eine Abschiebeanordnung erhalten, es werden aber auch diejenigen von ICE mitgenommen, die keine vorherige Ankündigung erhalten haben. Bei landesweiten Demonstrationen haben am Freitagabend tausende Menschen angekündigt, dass sie versuchen werden, die Abschiebungen zu verhindern.

„Let my People stay“, singen DemonstrantInnen auf dem Foley Square am Freitagabend in New York. Sie haben Gebete einer Priesterin, einem Rabbiner und einer muslimischen Religiösen, sowie Reden von ImmigrantInnen, AnwältInnen und mehreren Kongressabgeordneten gehört. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit schwören die DemonstrantInnen mit erhobenen Händen, dass sie ihre papierlosen NachbarInnen verteidigen und dafür kämpfen werden, dass ihr Land weiterhin Einwanderer aufnimmt. Sie halten Kerzen in den Nachthimmel.

Der Platz, auf dem sie stehen, liegt zwischen zwei Machtzentren, die am Sonntag gegeneinander arbeiten werden. Auf der Südseite befindet sich das New Yorker Rathaus, das die Razzien ablehnt und das eine Hotline für betroffene EinwandererInnen eingerichtet hat. Auf der Westseite ist der örtliche Sitz der Bundesbehörden, in dem auch Büros und Haftzellen der Abschiebepolizei ICE untergebracht sind. Als der Gesang „Let my People stay“ endet, fordert eine Rednerin die Menge auf, sich vom Rathaus abzuwenden und auf das andere Hochhaus zu schauen. „Schweigt“, sagt sie zu der Menge. Einen Moment später: „Schreit!“. Tausende brüllen gegen das Hochhaus an. Allmählich verwandelt sich ihre Wut in Worte und politische Slogans. „Schließt die Lager“, ruft die Menge. Und: „Löst ICE auf!“

Trump hat auch diese neue Krise in der Einwanderungspolitik eigenmächtig und absichtsvoll geschaffen. Schon im Juni kündigte er einen Termin für die Massenabschiebungen an. Weniger als einen Tag bevor ICE zur Tat schreiten sollte, sagte er die Aktion wieder ab und verschob sie ohne Datum. Mit dieser Drohung verfolgte er mehrere Ziele gleichzeitig: Zum einen wollte er EinwandererInnen verunsichern und abschrecken. Zugleich wollte er seiner Basis, eineinhalb Jahre vor den nächsten Wahlen, das Gefühl geben, dass er knallhart gegen „Illegale“ durchgreift.

Seither geht unter den geschätzt elf Millionen Papierlosen noch größere Angst um als zuvor. Weil die meisten von ihnen in den USA geborene Kinder haben, die Staatsangehörige sind, und weil viele mit PartnerInnen zusammen leben, die legal in den USA sind und bleiben werden, führen die Razzien zwangsläufig zur Zerstörung von Familien. Falls die Umsetzung von Trumps Androhung dieses Mal zustande kommt, werden ab Sonntag erneut tausende Kinder von Eltern getrennt werden. Es werden zusätzlich zahlreiche Familien mittellos zurückbleiben, weil sie ihre HauptverdienerInnen verlieren.

„Wir werden gejagt, wie Tiere“, sagt eine Einwandererin aus New York, deren Mann im vergangenen Sommer von ICE abgeholt worden ist. Sie ist mit drei Kindern ans Mikrofon gekommen. Von dort aus fordert sie auf Spanisch den US-Kongress auf, die Finanzierung von ICE zu stoppen. „Kein öffentliches Geld für Hass“, sagt sie. Ihre Tochter übersetzt die Rede ins Englische. Dann lässt das Mädchen die Menge gemeinsam mit ihr rufen: „Ich bin ein Mensch! Ich verdiene Gleichheit! Hier und jetzt!“

Örtliche Behörden verweigern ICE die Unterstützung

Die meisten Großstädte, in denen Trump Razzien angedroht hat, haben BürgermeisterInnen aus der Demokratischen Partei an der Spitze, die ihre Städte zu „Zufluchtsorten“ erklärt haben. Das bedeutet, dass Menschen dort nicht wegen mangelnder Aufenthaltspapiere von der örtlichen Polizei verfolgt werden und dass die örtlichen Behörden ICE die Unterstützung für Razzien verweigern. Am Sonntag werden ICE-Einheiten in New York, aber auch in Denver, San Francisco, Los Angeles und anderswo wie Besatzungsmächte auftreten und Menschen verhaften, während die örtlichen Polizeibehörden untätig bleiben.

Die Erfahrung zeigt, dass ICE bei Razzien oft nicht einmal rechtsgültige richterlich unterschriebene Haftbefehle mitbringt. Daher kommt der Rat an Betroffene, sich die angeblichen Haftbefehle von ICE unter der verschlossenen Türe zuschieben lassen, sie mit dem Handy zu fotografieren und an AnwältInnen zu schicken, um Rat zu holen.

„Dies sind sehr gefährliche Zeiten“, sagt eine Rednerin auf dem Foley Square ins Mikrofon, „wir sind schon durch Zweieinviertel Jahre Elend gegangen und Trump will uns alle nach Rasse, nach Geschlecht und nach Religion spalten“. Dann ruft der Aktivist Ravi Ragbir von der „New Sanctuary Coalition“, der vor wenigen Monaten noch selbst deportiert werden sollte, den Menschen zu: „Wir müssen aus unserer Komfortzone herausgehen. Und dort, wo wir leben, sichere Zufluchtsorte schaffen“.

Ein kleines Flugblatt macht die Runde. „Ein Kumpel sein“, steht in der Überschrift. Darunter wird US-amerikanischen NachbarInnen und UnterstützerInnen in wenigen Worten erklärt, was sie im Notfall tun können: „Filmt! Macht den Mund auf. Verlangt einen richterlich unterzeichneten Haftbefehl. Tretet vor, ohne Schaden anzurichen. Und fordert andere Bürger auf, es Euch gleichzutun“.

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