Abschiebehaft in Schleswig-Holstein: Allein hinterm Stacheldraht
Seit Jahresbeginn ist die Abschiebehaft Glückstadt ohne Sozialberatung: Die Diakonie findet einfach niemanden, der sich der Belastung aussetzen will.
Für Thorsten Sielk, Geschäftsführer des regionalen Diakonischen Werks mit Hauptsitz in Elmshorn, war es eine schwere Entscheidung. „Wir hatten lange überlegt, ob wir uns bei einer Einrichtung, deren Existenz wir ablehnen, überhaupt einbringen“, sagt er der taz. Doch es überwog der Wunsch, „die Menschen in der Einrichtung auf dem Weg, den wir nicht verhindern können, zu begleiten und ihnen so gut wie möglich zu helfen“.
Im August 2021 ging die Abschiebehaft, die von Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern belegt wird, in Betrieb, seither bot die Diakonie dort Beratungen an. Zum Jahresende kündigte sie den Vertrag: „Wir konnten die Aufgabe nicht auf dem Niveau weiterführen, wie es nötig wäre.“ Die Fluktuation sei groß gewesen: „Unsere Fachkräfte fanden die Arbeit spannend, wichtig und sinnvoll – aber eben auch sehr belastend.“
Denn die Menschen in der Abschiebehaft stehen unter großem Stress, es bleibt wenig Zeit, um mit ihnen zu arbeiten, hinzu kommt das Umfeld: „Stacheldraht, Mauern, grelle Beleuchtung, das ist ein Gefängnisgefühl“, sagt Sielk. Allerdings herrsche noch größerer Druck als im Knast: „Im Gefängnis gibt es einige, die wissen, dass sie Mist gebaut haben, und sich damit auseinandersetzen wollen. Hier geht es um Menschen, die keine Verbrechen begangen haben, und die nicht wissen, wie ihre Zukunft aussieht.“
„Abschiebehaft ist für die Insassen eine Katastrophe“
Auch wenn sie in Einzelfall helfen könnten, sei die Arbeit für die Sozialberater:innen nicht immer befriedigend, sagt Sielk. Schließlich sei es nicht mehr möglich gewesen, freie Stellen adäquat zu besetzen – auch wegen Glückstadts Lage: „Für Beschäftigte aus Kiel oder Hamburg sind das weite Anfahrtswege.“
Die fehlende Beratung macht den Ehrenamtlichen der Besuchsgruppe Glückstadt, die sich um die Inhaftierten kümmern, Sorgen: „Abschiebehaft ist für die Insassen eine Katastrophe. Das Ende ihrer Träume, der behördlichen Willkür ausgesetzt und meist eine existenziell bedrohliche Situation“, sagt Dirk Rogge, Mitglied der Besuchsgruppe. „Nach dem Ausstieg der Diakonie nimmt sich niemand außer uns den Nöten und Wünschen der Gefangenen an. Wir fürchten eine noch höhere Zahl an Suizidversuchen als bisher schon.“
Zuständig für die Abschiebehaft ist das Justizministerium. Deren Sprecher bestätigt, dass die Diakonie den Vertrag gekündigt hat. Betroffen seien vor allem Beratungsgespräche und Gruppensitzungen innerhalb der Einrichtung, die das Land jenseits des gesetzlichen Anspruchs auf Einzelberatungen finanziere. Generell gebe es Hilfe und Gespräche, einerseits durch die Mitarbeiter:innen, die unter anderem Freizeitangebote machen. Für die medizinische und psychologische Versorgung seien die Ärzt:innen der Notarztbörse im Haus, zudem würden die beiden christlichen Kirchen sowie die türkische Gemeinde die Seelsorge sicherstellen.
Die Besuchsgruppe berichtet dagegen, dass es zurzeit keine evangelische Seelsorge gibt. Auch die medizinische Behandlung sei, gerade bei psychologischen Problemen, nicht optimal: „Gefangene berichten, dass sie meist mit Tabletten abgespeist oder nicht ernst genommen werden“, sagt ein Mitglied der Gruppe. Und Sielk weist darauf hin, dass die fachliche Beratung schwer durch Seelsorge zu ersetzen sein.
Im August 2021 eröffnete die Abschiebehaft in Glückstadt als gemeinsame Einrichtung der Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern mit insgesamt 60 Plätzen für Menschen, die abgeschoben werden sollen.
Aktuell fällt die Haft in den Aufgabenbereich der Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU). Ihre Kabinettskollegin Aminata Touré (Grüne), die für Migration und Integration zuständig ist, lehnte die Verantwortung für die Abschiebung ab.
Auch das Land hat Probleme, Mitarbeiter:innen für den Haftbetrieb zu finden. Aktuell sind laut Homepage des Ministeriums mehrere Posten zu besetzen.
Die Besuchsgruppe Glückstadt, die sich ehrenamtlich um die Menschen in der Haft kümmert, berichtet von Selbstverletzungen, Suizidversuchen sowie diskriminierendem Verhalten der Angestellten gegenüber den Gefangenen.
Vor wenigen Tagen kam es zu einem Brand in einer Zelle, ein Mann musste in Krankenhaus gebracht werden.
Das Abschiebungshaftvollzugsgesetz des Landes sieht die Sozialberatung ausdrücklich vor: „Die Einrichtung gewährleistet den Zugang zu einer behördenunabhängigen Beratung durch eine einschlägig tätige Hilfs- und Unterstützungsorganisation“, heißt es dort. Das Ministerium sucht bereits seit Oktober nach einem neuen Träger – bisher ohne Erfolg, mangels Angeboten freier Träger, teilt der Sprecher mit. Immerhin: „Derzeit wird mit zwei weiteren Trägern der freien Wohlfahrtspflege über eine Zwischenlösung verhandelt.“
Aus Sicht von Hamburgasyl, der Arbeitsgemeinschaft kirchlicher Flüchtlingsarbeit in Hamburg, sei das Wichtigste, „Strukturen zu stärken, die den inhaftierten Menschen rechtlich zur Seite stehen“. Denn in vielen Fällen würden Personen rechtswidrig in die Abschiebehaft gebracht. Die hohe Fehlerquote rechtlicher Entscheidungen zeige, dass es nötig ist, den betroffenen Menschen eine Lobby zu geben und sie zu unterstützen, heißt es auf der Homepage der Gruppe.
Die Sozialberatung sei nicht für rechtliche Fragen zuständig, betont zwar Thorsten Sielk. Aber in den Gesprächen könnten Kontakte zu Anwält:innen vermittelt werden. „Bei einer Überprüfung hat nicht jedes Urteil standgehalten“, sagt Sielk. „Es sind einige Leute aus der Anstalt entlassen worden, zumindest wurde ihre Haft ausgesetzt.“ Er wünscht sich daher, dass sich bald wieder ein Träger für die Sozialberatung findet.
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