piwik no script img

Abschaffung des 29-Euro-TicketsMindestens noch zwei Monate Schonzeit für Giffey-Abo

Das Ende des 29-Euro-Tickets ist zwar besiegelt. Auch das Prozedere der Rückabwicklung steht fest. Vor Februar wird das aber nicht umsetzbar sein.

Geliefert wie bestellt: SPD-Werbung zur Abgeordnetenhauswahl 2023 Foto: Imago/Future Image

Berlin taz | Das von der schwarz-roten Koalition beschlossene Aus für das „Berlin-Abo“ genannte 29-Euro-Ticket kommt frühestens im Februar nächsten Jahres. Nach taz-Informationen drängt vor allem die BVG darauf, das Angebot Ende Januar zu beerdigen, die S-Bahn Berlin hätte wohl gern etwas mehr Zeit für die Rückabwicklung des hauptstädtischen Sondertarifs. Die Verhandlungen laufen noch.

Eines steht für die vertraglich eigentlich zwölf Monate an das Ticket gebundenen rund 200.000 Abon­nen­t:in­nen nach Ende der Schonfrist demnach aber fest: Es soll ein Abschied auf einen Schlag sein.

Sofern die Kun­d:in­nen nicht von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen, sollen sie auf das dann bereits 58 Euro teure bundesweit gültige Deutschlandticket umgebucht werden. Alternativ können die bisherigen 29-Euro-Ticket-Kund:innen auch auf die Umweltkarte AB umsteigen. Die ist zwar übertragbar, kostet ab 2025 aber auch fast 76 Euro im Monat.

Die Senatsverkehrsverwaltung will sich zum Prozedere und zum Zeitplan nicht äußern. Nur so viel: „Es gibt ja offene Fragen“, sagt Petra Nelken, die Sprecherin von CDU-Verkehrssenatorin Ute Bonde. „Man muss abwarten, welche Fristen die Verkehrsunternehmen benötigen, um das seriös über die Bühne zu bringen.“ Allen Beteiligten sei schließlich an einer rechtssicheren, „sauberen Lösung“ gelegen, so Nelken zur taz.

Komplett vom Tisch scheint damit jedenfalls die Forderung der SPD, dass In­ha­be­r:in­nen des Tickets dieses zu den vereinbarten Konditionen – eben 29 Euro im Monat – bis zum Ende der jeweiligen Vertragslaufzeit weiterführen könnten. Noch auf dem SPD-Parteitag vor einer Woche hatte Landeschefin Nicola Böcker-Giannini davon gesprochen, dass es „die CDU-Fantasie“ einer „Preiserhöhung auf dem Rücken der Abonnent:innen“ mit den So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen „nicht geben“ wird.

Die Obsession der SPD

Nun ist klar: Es wird die Preiserhöhung sehr wohl geben. Egal, was die SPD meint. Das offenkundig nur wenig beachtete Kleingedruckte der Verträge macht's möglich. Der Tarif ist hier an die demnächst versiegenden Fördergelder des Landes geknüpft.

Die Obsession der Hauptstadt-SPD mit dem 29-Euro-Ticket kommt bekanntlich nicht von ungefähr. Vor den Abgeordnetenhauswahlen im Februar 2023 hatte die Partei praktisch nur die eine simple Botschaft: „Franziska Giffey. 29-Euro-Ticket für alle. SPD wählen!“ Die Wäh­le­r:in­nen beeindruckte das wenig. Die bis dahin Regierende Bürgermeisterin Giffey und ihre SPD verloren krachend und suchten ihr Heil in der Koalition mit der CDU als Juniorpartnerin.

Umso wichtiger war es der Partei, ihr einziges Wahlversprechen durchzusetzen – gegen alle Kritik und alle Warnungen mit Blick auf die Finanzierbarkeit. Im Juli dieses Jahres war es dann so weit. „Die SPD liefert“, hatte die zur Wirtschaftssenatorin abgestiegene Ex-Senatschefin Giffey mit Blick auf die Einführung des 29-Euro-Tickets schon zuvor erklärt. Und auch späterhin wurde sie nicht müde, den Erfolg des Berlin-Abos zu beschwören.

Bis zum Jahresende, erklärte Giffey Ende Juli, werde das anfangs eher mau nachgefragte Ticket sicher 300.000 bis 400.000 Abon­nen­t:in­nen haben – und 2025 mit der Preiserhöhung beim Deutschlandticket von 49 auf 58 Euro noch viel mehr: „Dann wird es hier mehr Menschen geben, die sagen, das ist für mich nicht bezahlbar, dann wähle ich das Berlin-Abo.“ Aus und vorbei.

Berlin-Abo essen Deutschlandticket auf

Tatsächlich ging der Absatz des Berlin-Abos bereits seit der Einführung mindestens zum Teil zulasten des Deutschlandtickets. So sank die Zahl der Abon­nen­t:in­nen des Deutschlandtickets bei der BVG seit Juni rapide von rund 665.000 im Juni auf etwa 570.000 im September, ein Minus von fast 100.000. Zeitgleich zählte die BVG für September gut 166.000 Abon­nen­t:in­nen des 29-Euro-Tickets.

Das geht aus einer noch unveröffentlichten Antwort der Verkehrsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Abgeordneten Oda Hassepaß hervor. „Die Zahlen zeigen schön die Kannibalisierung des erfolgreichen Deutschlandtickets durch die kurzlebige Giffey-29-Euro-Abofalle“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.

Das Problem: Für beide Ticketarten muss Berlin tief in die Tasche greifen, wobei insbesondere das 29-Euro-Ticket den desolaten Hauptstadthaushalt überproportional teuer zu stehen kommt, weil die Zuschüsse allein vom Land gestemmt werden müssen, während beim zusätzlich zu finanzierenden Deutschlandticket der Bund immerhin die Hälfte übernimmt.

Der Antwort der Verkehrsverwaltung zufolge zahlt Berlin im Monat und pro verkauftem 29-Euro-Ticket insgesamt 38,40 Euro drauf. Allein im September summierten sich die Ausgleichszahlungen an die Verkehrsunternehmen dabei auf 6,2 Millionen Euro.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!