Abschaffung des 29-Euro-Tickets: Mindestens noch zwei Monate Schonzeit für Giffey-Abo
Das Ende des 29-Euro-Tickets ist zwar besiegelt. Auch das Prozedere der Rückabwicklung steht fest. Vor Februar wird das aber nicht umsetzbar sein.
Eines steht für die vertraglich eigentlich zwölf Monate an das Ticket gebundenen rund 200.000 Abonnent:innen nach Ende der Schonfrist demnach aber fest: Es soll ein Abschied auf einen Schlag sein.
Sofern die Kund:innen nicht von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen, sollen sie auf das dann bereits 58 Euro teure bundesweit gültige Deutschlandticket umgebucht werden. Alternativ können die bisherigen 29-Euro-Ticket-Kund:innen auch auf die Umweltkarte AB umsteigen. Die ist zwar übertragbar, kostet ab 2025 aber auch fast 76 Euro im Monat.
Die Senatsverkehrsverwaltung will sich zum Prozedere und zum Zeitplan nicht äußern. Nur so viel: „Es gibt ja offene Fragen“, sagt Petra Nelken, die Sprecherin von CDU-Verkehrssenatorin Ute Bonde. „Man muss abwarten, welche Fristen die Verkehrsunternehmen benötigen, um das seriös über die Bühne zu bringen.“ Allen Beteiligten sei schließlich an einer rechtssicheren, „sauberen Lösung“ gelegen, so Nelken zur taz.
Komplett vom Tisch scheint damit jedenfalls die Forderung der SPD, dass Inhaber:innen des Tickets dieses zu den vereinbarten Konditionen – eben 29 Euro im Monat – bis zum Ende der jeweiligen Vertragslaufzeit weiterführen könnten. Noch auf dem SPD-Parteitag vor einer Woche hatte Landeschefin Nicola Böcker-Giannini davon gesprochen, dass es „die CDU-Fantasie“ einer „Preiserhöhung auf dem Rücken der Abonnent:innen“ mit den Sozialdemokrat:innen „nicht geben“ wird.
Die Obsession der SPD
Nun ist klar: Es wird die Preiserhöhung sehr wohl geben. Egal, was die SPD meint. Das offenkundig nur wenig beachtete Kleingedruckte der Verträge macht's möglich. Der Tarif ist hier an die demnächst versiegenden Fördergelder des Landes geknüpft.
Die Obsession der Hauptstadt-SPD mit dem 29-Euro-Ticket kommt bekanntlich nicht von ungefähr. Vor den Abgeordnetenhauswahlen im Februar 2023 hatte die Partei praktisch nur die eine simple Botschaft: „Franziska Giffey. 29-Euro-Ticket für alle. SPD wählen!“ Die Wähler:innen beeindruckte das wenig. Die bis dahin Regierende Bürgermeisterin Giffey und ihre SPD verloren krachend und suchten ihr Heil in der Koalition mit der CDU als Juniorpartnerin.
Umso wichtiger war es der Partei, ihr einziges Wahlversprechen durchzusetzen – gegen alle Kritik und alle Warnungen mit Blick auf die Finanzierbarkeit. Im Juli dieses Jahres war es dann so weit. „Die SPD liefert“, hatte die zur Wirtschaftssenatorin abgestiegene Ex-Senatschefin Giffey mit Blick auf die Einführung des 29-Euro-Tickets schon zuvor erklärt. Und auch späterhin wurde sie nicht müde, den Erfolg des Berlin-Abos zu beschwören.
Bis zum Jahresende, erklärte Giffey Ende Juli, werde das anfangs eher mau nachgefragte Ticket sicher 300.000 bis 400.000 Abonnent:innen haben – und 2025 mit der Preiserhöhung beim Deutschlandticket von 49 auf 58 Euro noch viel mehr: „Dann wird es hier mehr Menschen geben, die sagen, das ist für mich nicht bezahlbar, dann wähle ich das Berlin-Abo.“ Aus und vorbei.
Berlin-Abo essen Deutschlandticket auf
Tatsächlich ging der Absatz des Berlin-Abos bereits seit der Einführung mindestens zum Teil zulasten des Deutschlandtickets. So sank die Zahl der Abonnent:innen des Deutschlandtickets bei der BVG seit Juni rapide von rund 665.000 im Juni auf etwa 570.000 im September, ein Minus von fast 100.000. Zeitgleich zählte die BVG für September gut 166.000 Abonnent:innen des 29-Euro-Tickets.
Das geht aus einer noch unveröffentlichten Antwort der Verkehrsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Abgeordneten Oda Hassepaß hervor. „Die Zahlen zeigen schön die Kannibalisierung des erfolgreichen Deutschlandtickets durch die kurzlebige Giffey-29-Euro-Abofalle“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.
Das Problem: Für beide Ticketarten muss Berlin tief in die Tasche greifen, wobei insbesondere das 29-Euro-Ticket den desolaten Hauptstadthaushalt überproportional teuer zu stehen kommt, weil die Zuschüsse allein vom Land gestemmt werden müssen, während beim zusätzlich zu finanzierenden Deutschlandticket der Bund immerhin die Hälfte übernimmt.
Der Antwort der Verkehrsverwaltung zufolge zahlt Berlin im Monat und pro verkauftem 29-Euro-Ticket insgesamt 38,40 Euro drauf. Allein im September summierten sich die Ausgleichszahlungen an die Verkehrsunternehmen dabei auf 6,2 Millionen Euro.
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